Corona: Kreis „kurz vor kritischer Phase“
Bevölkerung drohen Einschränkungen – Testzentrum und Klinik für Anstieg vorbereitet
- Das Coronavirus ist mit Wucht zurück: Innerhalb von drei Tagen hat es im Landkreis Tuttlingen 42 positive Tests gegeben – am Freitag bis mittags noch einmal zehn. Sollte sich der Anstieg am Wochenende fortsetzen, droht schon bald eine Einschränkung des gesellschaftlichen Lebens. „Wir sind kurz vor der kritischen Phase“, sagt Landrat Stefan Bär. Bereits am Dienstag wird mit den Bürgermeistern darüber beraten.
Ausgangspunkt ist eine Hochzeitsfeier Ende September gewesen. Bei rund 20 der 85 Gäste ist das Virus bisher nachgewiesen worden. Die weiteren Fälle sind Reiserückkehrer aus Italien und der Türkei. Durch die hohe Zahl der Infektionen stieg die Sieben-Tages-Quote auf 27,6 pro 100 000 Einwohner an. Wird die „Vorwarnstufe“von 35 Infizierten überschritten, muss der Landkreis handeln. Dann sinkt die erlaubte Teilnehmerzahl bei privaten Feiern in gemieteten oder öffentlichen Räumen von 100 auf 50 Personen. Für Veranstaltungen in privaten Räumen könne die Verwaltung die Größe von maximal 25 Menschen nur „empfehlen.“
Noch drastischer wird der Einschnitt, wenn die Marke von 50 Infektionen pro 100 000 Menschen überschritten wird. Dann sind bei Feiern in gemieteten oder öffentlichen Räumen nur noch 25 erlaubt, in privaten Lokalitäten nur zehn Anwesende „empfohlen“. „Je größer die Belastung durch Corona ist, desto kleiner wird die Teilnehmerzahl“, sagt Bär. Bernd Mager macht deutlich, dass die Maßnahmen vor allem die „Gastronomie wieder hart trifft.“Und womöglich auch den Touristikbereich. Mit mehr als 50 Infektionen in sieben Tagen sei man ein Risikogebiet, mahnt Bär.
Und die Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens deuten sich immer wahrscheinlicher an. Bei den zehn Fällen, die bis Freitagmittag dem Gesundheitsamt vorlagen, werde es noch vor dem Wochenende nicht bleiben. Am Corona-Testzentrum in Spaichingen habe man allein am Freitag 150 Personen getestet. „Das ist soviel wie noch nie“, meint Mager.
Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Das Gesundheitsamt hat mit der Nachverfolgung der Kontaktpersonen deutlich mehr zu tun. „Die Reiserückkehrer wussten, dass sie einen Test machen müssen. Da gab es nur eine geringe Anzahl an Kontaktpersonen. Wegen der Feier haben wir einen dramatischen Anstieg“, erklärte Dr. Siegfried Eichin, Leiter des Gesundheitsamtes. Um dem Ausbruch Herr zu werden, wurden wieder Mitarbeiter aus anderen Abteilungen zur Nachverfolgung abgezogen. „Wir haben die Leute wieder aktiviert, weil wir es sonst nicht schaffen“, sagt Mager. Schließlich müssten nicht nur 85 Hochzeitsgäste sowie zwei Mitarbeiter samt der Kontaktpersonen
überprüft werden. Viele Personen seien in der Zwischenzeit auch noch arbeiten gegangen. „Die Betriebe haben wir bei den Überprüfungen noch gar nicht erfasst“, deutet Bär das Ausmaß des Ausbruchs an. Bei der Vielzahl der abzufragenden Menschen sei es schwer, auf Ballhöhe zu bleiben.
Die zehn Fälle vom Freitag verteilen sich auf Tuttlingen (vier), Spaichingen und Emmingen-Liptingen (je drei). Zwei der zehn Fälle – ein Ehepaar (76 und 70 Jahre) – liegt im Krankenhaus. Genauso wie ein 57Jähriger, dessen Infektion in der Vorwoche festgestellt worden war. Eine Beatmung sei bisher aber nicht notwendig, sagt Bär, der das Klinikum gut aufgestellt sieht. „Da mache ich mir keine Sorgen. Wir haben da gute Kapazitäten geschaffen.“Mit dem Mobilbau habe man einen Bereich, in dem auch geschossweise Corona-Infizierte isoliert werden könnten. Derzeit gebe es aber „keine Notwendigkeit, den normalen Krankenhausbetrieb und geplante Operationen herunterzufahren.“Dennoch habe man den Zugang für Besucher zum Klinikum reglementiert. „Es haben in den vergangenen Wochen zu viele Personen in einem Zimmer gesessen“, sagte Bär.
Auch bei den Testkapazitäten habe man sich auf einen Anstieg vorbereitet. „Da haben wir keine Sorgen“, sagte Mager. So würde das Testzentrum in Spaichingen die Testkits „regelmäßig und in großer Zahl“erhalten. „Und die Ergebnisse liegen in einem bis zwei Tagen vor“, sagte Mager. Insgesamt habe man die Strategie aber verändert. Weil die Nachweisbarkeit nach fünf Tagen größer sei, werde mittlerweile erst später getestet. „Früher haben wir eher getestet mit mehr Unschärfe.“Zu den Fällen am Freitag gehören auch ein schulpflichtiges sowie ein Kindergarten-Kind. Welche Einrichtung betroffen sei, wollten die Verantwortlichen noch nicht sagen. „Das ist noch nicht sprechfähig“, sagt der Landrat. Bisher sind neben dem Wurmlinger Kindergarten „Dörfle am Bach“auch die Tuttlinger Schulen Otto-HahnGymnasium, Immanuel-Kant-Gymnasium, Ferdinand-von-Steinbeis- und die Schildrainschule betroffen.
Das Ziel, appellierte Bär, müsse sein einen zweiten Lockdown zu vermeiden. „Wenn wir das schaffen wollen, dann müssen wir auch etwas dafür tun und unser Alltagsverhalten anpassen. Wir haben es selbst in der Hand, mit mehr Achtsamkeit und Vorsicht.“So müsste jeder, der Kontaktperson sei und auf sein Testergebnis wartet, daheim bleiben. „Die Personen zählen für uns als Verdachtsfall“, sagte Bär. Und Eichin macht deutlich: „Das Virus hat nichts von seiner Bösartigkeit verloren und muss ernst genommen werden.“Deshalb sei die Einhaltung der AHA-Regeln – Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmaske tragen – zusammen mit dem notwendigen Lüften in Herbst und Winter umso wichtiger.