Dem Erpresser droht Gefängnis
Sachverständiger rät trotz depressiver Störungen von Einweisung in psychiatrische Klinik ab
- Was ist die angemessene Strafe für einen wie den jungen Mann aus dem Kreis Tuttlingen, der androhte, Menschen in Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten, Flugzeugen oder im Europa-Park mit Krankheitserregern, Chlorgas und anderen Chemikalien zu töten, wenn er nicht MillionenZahlungen erhalte – dem aber der psychiatrische Gutachter verminderte Schuldfähigkeit wegen depressiven Störungen attestiert hat? Das ist die Frage nach der Beweisaufnahme und vor der Verkündung des Urteils im Landgericht Rottweil.
Die engsten Verwandten scheinen wenig Interesse an einem möglichst gerechten Urteil zu haben. Sie sind als Zeugen geladen und sollen vor allem Auskunft darüber geben, wie sich die Depressionen des Angeklagten entwickelt haben. Als erster kommt ein Onkel, 59 Jahre alt, in den Gerichtssaal. Er erklärt, dass er von seinem Recht Gebrauch machen will, die Aussage zu verweigern. Es folgt die Oma, 81 Jahre, die es ihm gleichtut. Ebenso die Mutter, 60 Jahre. Sie lässt es – nach einer fünfminütigen Bedenkzeit – auch nicht zu, dass die Aussagen verlesen werden, die sie nach der Festnahme ihres Sohnes am 16. Januar dieses Jahres bei der Polizei gemacht hat. Vielleicht schreckt sie auch ab, dass der Angeklagte am vorigen Verhandlungstag erklärt hatte, er wolle keinen Verwandten sehen; sie seien schuld an seiner Krankheit.
Die Depressionen begannen mit zehn Jahren
Damit ist Charalabos Salabasidis, der psychiatrische Gutachter, darauf angewiesen, was der 32-Jährige ihm in Einzelgesprächen und bei seinem umfassenden Geständnis zum Prozess-Auftakt gesagt hat. Trotzdem fällt die Diagnose des Sachverständigen „ganz klar“, wie er erklärt, aber auch differenziert aus. Schon mit zehn Jahren hätten sich erste Krankheitssymptome gezeigt. Zwar habe es kurzzeitige Behandlungen der Depression gegeben, aber nie eine grundsätzliche Therapie.
Und so zogen sich die Depressionen über die Pubertät, als auch noch die eskalierende Trennung der Eltern erschwerend hinzu kam, über die Jugend bis ins erwachsene Alter. Und sie erreichten einen Höhepunkt, nachdem er monatelang ohne Außenkontakte völlig isoliert in seinem Zimmer „verwahrloste“, wie es der Gutachter ausdrückt.
Zu einer starken Verminderung des Selbstwertgefühls sei noch eine „narzisstische Wut“gekommen. „Das kann massive Beeinträchtigungen
herbeiführen“, betont Salabasidis. Man dürfe eine solche „mittelgradige Depression“nicht unterschätzen, sie gehe direkt in alle Bereiche des Körpers.
Das bedeute, dass die Steuerungsfähigkeit des 32-Jährigen zwar eingeschränkt, aber nicht aufgehoben gewesen sei. Und er schließe eine Schuldunfähigkeit aus, habe aber eine verminderte Schuldfähigkeit zur Folge. Ein Rückfall zu ähnlichen Taten sei nicht zu erwarten, meint der Gutachter. Die soziale Prognose sei aber eher negativ.
Aus dem gesamten Persönlichkeitsbild sei eine Einweisung in die Psychiarie nicht zu empfehlen, sagte Salabasidis. In der U-Haft habe sich gezeigt, dass der junge Mann, wie er selbst bestätigte, auch im Gefängnis durch gezielte Medikamente und die Unterstützung einer Psychotherapeutin gut behandelt werden könne.
Wichtig sei zu beachten, dass der Patient „sein Gesicht wahren kann“.
Der Sachverständige gibt damit die Richtung vor: in Richtung Gefängnis.
Karlheinz Münzer, der Vorsitzende Richter, lässt erahnen, dass dahin auch eine erste Überlegung der 1. Großen Strafkammer geht, als er den Gutachter nach eventuellen Folgen einer Haftstrafe befragt: ob dann auch eine gute Behandlung möglich wäre, oder ob der junge Mann auch die ersehnte berufliche Ausbildung beginnen könne.
Am Ende bietet Münzer der Mutter an, wenn sie ihren Sohn noch sprechen wolle, werde man das ermöglichen. „Wenn er will, gerne!“, antwortet sie. Er nickt. So kommt es, dass Mutter und Sohn sich nach langer Zeit zum ersten Mal wieder begegnen, ganz allein im großen Gerichtssaal.
Das Urteil soll am Montag verkündet werden.