Wirte zittern vor demWinter
Heizpilze und Wärmekissen lindern die Existenznot in der Gastronomie kaum – Hoffen auf Hilfen von Land und Bund
Eigentlich sollte sich dieser Text in erster Linie mit der Frage befassen, welche technischen Alternativen es zu Heizpilzen, die mit Gas betrieben werden, gibt. Damit die Saison im Freien länger dauern kann – und zwar nicht zulasten des Klimaschutzes. Und Gastronomen, deren Existenz die Corona-Krise bedroht, umweltverträglich über einen ungewissen Herbst und Winter kommen. „Das spielt für mich keine Rolle mehr“, sagt Herr S. am Telefon, der im ländlichen Raum zwischen Schwäbischer Alb und Bodensee eine Gastwirtschaft betreibt. Es klingt nach Fatalismus: „So schlimm, wie wir gedacht haben, ist es im Sommer zwar nicht gewesen. Aber der Eindruck, dass wir über den Berg sind, der täuscht gewaltig.“Bei gutem Wetter habe der Gastgarten, der voll gewesen sei, zwar einiges aufgefangen. Doch große Tischabstände im Garten bei zugleich teilweise leeren Innenräumen bedeuteten, dass ein kostendeckender Betrieb nicht möglich sei. „Was ich jetzt sicher nicht machen werde, ist Heizpilze anschaffen.“Das würde nämlich bedeuten, Geld in eine unsichere Zukunft zu investieren, das er gar nicht mehr habe. Besonders entmutigend: Diese trüben Perspektiven äußerte Herr S., noch bevor die Landesregierung jüngst schärfere Corona-Maßnahmen beschlossen hat. Und noch bevor die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland so richtig nach oben geschossen ist.
Der Sprecher des Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Baden-Württemberg, Daniel Ohl, kennt solche Geschichten wie jene des Herrn S. Und er weiß: „Die Lage ist prekärer, als sie aussieht.“Es stimme zwar, dass es für bestimmte Betriebsarten im Sommer eine erfreulich gute Nachfrage gegeben habe – etwa Betriebe mit Außengastronomie oder Ferienhotels am Bodensee, im Schwarzwald oder auf der Schwäbischen Alb, aber: „Die Branche hat Stand jetzt 3,5 Milliarden Euro Umsatz eingebüßt.“Allein in Baden-Württemberg. Erlöse, die nicht wieder aufgeholt werden können. „Ein Bett, in dem niemand geschlafen hat, kann umsatzmäßig nicht nachgeholt werden.“Ohl fürchtet, die Bilder gut gefüllter Café-Terrassen und Biergärten erweckten den Eindruck bei Politik und Bevölkerung, die Krise sei überwunden. Besonders notleidend seien Diskotheken und Clubs, die noch immer geschlossen sind. Oder Stadthotels, die sich auf Geschäftsreisende spezialisiert haben, die ihre Geschäfte nicht mehr auf Reisen, sondern vom Homeoffice aus machen.
„Die erste Herausforderung besteht darin, die Außenbereiche so lange wie möglich offen zu halten“, sagt Ohl – und kommt damit dann doch noch auf die Heizpilze zu sprechen. Nicht nur für Klima- und Umweltschützer sind die Geräte eine Zumutung, weil sie viel Energie in Form von Gas oder Elektrizität verbrauchen. Und das, um einen nur verhältnismäßig kleinen Bereich zu erwärmen. Das meiste der Wärmeenergie verfliegt sprichwörtlich. Damit gleicht das Bestreben, eine winterliche Terrasse mit Heizpilzen wirkungsvoll und dauerhaft aufzuwärmen, dem Versuch, mit Tauchsiedern die Badesaison am Bodensee zu verlängern. Dennoch: Praktisch alle Kommunen in der Region, die teils im Innenstadtbereich Heizpilze verboten haben, lockern ihre Restriktionen – zumindest befristet. Das gilt etwa für die größeren Städte Friedrichshafen, Ravensburg und Ulm. „Wir brauchen nun dieses Entgegenkommen“, betont der DehogaSprecher und wünscht sich außerdem, dass die Stadtverwaltungen bei der Errichtung von Bedachungen oder Windschutz ebenfalls nicht ganz so genau hinsehen wie in normalen Zeiten.
Normale Zeiten erlebt auch Lars Keussen im Augenblick nicht. Der Mann ist Geschäftsführer der Firma Moonich im bayerischen Sauerlach. Die sprichwörtlich heißeste Ware in seinem Sortiment: das mobile Akku-Heizkissen „heatme“. „Ich kann ohne Übertreibung sagen, die Nachfrage ist enorm.“Das mag auch daran liegen, dass es – so versichert es Keussen – augenblicklich noch nicht besonders viele Mitbewerber gibt. Das Prinzip seines Produkts ist simpel: Die Sitzauflage wird warm, wenn sich etwa ein Gast auf einer kühlen Terrasse darauf niederlässt. Steht er wieder auf, unterbricht das
Sitzkissen selbständig den Heizvorgang, damit der Akku geschont wird. „Das Produkt schließt die Wärmelücke unterm Tisch“, erklärt Keussen, dessen Unternehmen auch elektrisch betriebene Heizstrahler im Sortiment hat. Das Prinzip des Sitzkissens lasse sich zudem in Sonderanfertigung auch in vorhandene Polster einbauen und fix verkabeln, sodass der Gastwirt nicht auf Akkus angewiesen sei. Entscheidet er sich doch für die flexible Batterie-Variante, verspricht der Hersteller zwei bis zweieinhalb Stunden ununterbrochene Wärme. Je nach Mengenstaffelung deutlich unter 100 Euro das Stück. Mieten ebenfalls möglich. „Wir arbeiten außerdem an einem Regal, das in der Lage ist, die Akkus auch ohne Kabel wieder aufzuladen. Man kennt das von modernen Handys“, sagt Kaussen.
Der Vorteil der elektrisch beheizten Sitzpolster: Sie verbrauchen nur wenig Energie und auch nur dann, wenn tatsächlich jemand auf ihnen sitzt. Die Lieferzeit betrage im Augenblick drei Wochen. Es gibt auch ein Konkurrenzprodukt mit dem Namen „Stoov“eines holländischen Anbieters.
Und wie fühlt sich das „heatme“Sitzkissen in der Praxis an? Das von Herrn Keussen zugesandte Muster hat eine kompakte Form von 40 auf 40 Zentimetern. Es ist blau, aber auch in anderen Farben lieferbar – bis hin zum Wunschdesign des Kunden. Tatsächlich springt beim Draufsitzen sofort ein kleines Licht auf der seitlichen Lasche an. Die Auflage ist dick genug, um weich zu sitzen. Es vergeht kaum eine Minute, da wird eine angenehme Wärme von unten spürbar. Beim Aufstehen erlischt das Licht, womit angezeigt wird, dass der Heizvorgang unterbrochen ist. Das Sitzkissen ist aber auch per Knopfdruck manuell schaltbar. Eine Trageschlaufe macht es bequem transportabel und soll auch dabei helfen, die Polster gegen Diebstahl fest mit dem Stuhl zu verbinden.
Von den beheizbaren Sitzkissen abgesehen existieren sogenannte Pellet-Heizpilze. Dabei handelt es sich um säulenähnliche Geräte, die nachwachsende Holzpellets verbrennen – eine Flamme hinter Gittern sorgt für Wärme, die CO2neutral ist. Allerdings: Die PelletHeizpilze können bis zu 1600 Euro kosten. Zum Vergleich: Klassische gasbetriebene Heizpilze kosten nur ab 100 Euro. „Aber wir halten sie nicht für sinnvoll“, sagt Fritz
Mielert, Umweltreferent beim BUND Baden-Württemberg.
Dabei geht es ihm nicht nur um den CO2-Ausstoß durch das Verbrennen von Energieträgern, sondern „es geht auch um Müll“. Mielert gibt zu bedenken, dass Kommunen die Nutzung der Heizpilze bald wieder verbieten könnten. „Und dann?“Gut verkaufen ließen die sich dann nicht. Im Ergebnis würden sie nach nur kurzer Nutzungsdauer zu Schrott.
Viel wichtiger ist dem Umweltreferenten aber die „sehr negative Signalwirkung“fürs Klima. „Wir werden, wenn wir anfangen, wirklich Klimaschutz zu betreiben, was wir bisher nicht konsequent getan haben, die minimalen Einschränkungen nicht immer sofort wieder aufweichen können.“Er kritisiert das „fatale Signal“, das von der Genehmigung der Heizpilze ausgehe. „Ich würde doch darauf pochen, dass wir es auch ohne schaffen und an die Verantwortung appellieren“, sagt Fritz Mielert, der glaubt, dass das Problem anders zu lösen sei. „Man kann Decken zur Verfügung stellen.“Es tue ihm schon sehr leid für die wichtige Branche der Gastronomie, „aber wir müssen einfach auch gucken, dass wir mit dem Klimaschutz vorankommen“. Mielert ist sich sicher, dass die Corona-Krise im Vergleich zur Klimakrise „minimal“ist. Zu der Idee mit den Decken, die vom einen zum anderen wandern, sagt der Dehoga, dass sie vor dem Hintergrund von Infektionsgefahren keine wirkliche Alternative seien.
Für den Gastronomen S., der eigentlich nicht mehr so recht daran glaubt, dass er mit seinem Gasthof das Frühjahr noch erleben wird, hat diese Haltung des Umweltschützers freilich einen zynischen Klang. Obwohl der betont, dass in seinem Fall die Investition in Freiluft-Heizpatente keinerlei Sinn ergäbe. „Kollegen in Ortszentren und Innenstädten bringt das schon was.“Warum er das Handtuch noch nicht geworfen habe, erklärt der Gastwirt mit der leisen Hoffnung, dass der Staat oder das Land vielleicht doch noch Mittel zur Verfügung stellen, um die Zeit bis zu einer funktionierenden Impfung, die ja schon irgendwie absehbar sei, zu überbrücken.
Dass ein Massensterben in der Gastronomie bislang noch nicht eingetreten ist, könnte am Ende auch mit den gelockerten Regelungen im Insolvenzrecht zu tun haben. Bis Jahresende ist die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, ausgesetzt. Das bedeutet: Danach könnten die Insolvenzen – auch in der Gastronomie – verstärkt zum Tragen kommen. Und Herr S. ebenfalls pleite sein.
Wie hatte Daniel Ohl, der Dehoga-Sprecher, doch noch gleich unaufgeregt und trocken gesagt? „Eine Umfrage ergab, dass sich 55 Prozent der Gastronomen in ihrer Existenz bedroht sehen.“Kein übertriebenes Gejammer sei das. In den Betrieben, die geöffnet hätten, bedeuteten Abstandsregelungen von mindestens 1,5 Metern, dass von hundert Plätzen 40 leer bleiben müssten. Das sei die Realität und keine heiße Luft. Wie sie aus Heizpilzen kommt und deren Einsatz am Ende für die meisten Gastgeber kein entscheidender Punkt in der Überlebensfrage ist. Herr S. jedenfalls kann sich nur eine Lösung vorstellen: „Corona verschwindet plötzlich, oder es gibt ein Impfung.“Und für ihn damit eine Zukunft.
„Die Branche hat Stand jetzt 3,5 Milliarden Euro Umsatz eingebüßt“
Daniel Ohl, Sprecher des Hotel- und Gaststättenverbands Baden-Württemberg