Heuberger Bote

Wirte zittern vor demWinter

Heizpilze und Wärmekisse­n lindern die Existenzno­t in der Gastronomi­e kaum – Hoffen auf Hilfen von Land und Bund

- Von Erich Nyffenegge­r

Eigentlich sollte sich dieser Text in erster Linie mit der Frage befassen, welche technische­n Alternativ­en es zu Heizpilzen, die mit Gas betrieben werden, gibt. Damit die Saison im Freien länger dauern kann – und zwar nicht zulasten des Klimaschut­zes. Und Gastronome­n, deren Existenz die Corona-Krise bedroht, umweltvert­räglich über einen ungewissen Herbst und Winter kommen. „Das spielt für mich keine Rolle mehr“, sagt Herr S. am Telefon, der im ländlichen Raum zwischen Schwäbisch­er Alb und Bodensee eine Gastwirtsc­haft betreibt. Es klingt nach Fatalismus: „So schlimm, wie wir gedacht haben, ist es im Sommer zwar nicht gewesen. Aber der Eindruck, dass wir über den Berg sind, der täuscht gewaltig.“Bei gutem Wetter habe der Gastgarten, der voll gewesen sei, zwar einiges aufgefange­n. Doch große Tischabstä­nde im Garten bei zugleich teilweise leeren Innenräume­n bedeuteten, dass ein kostendeck­ender Betrieb nicht möglich sei. „Was ich jetzt sicher nicht machen werde, ist Heizpilze anschaffen.“Das würde nämlich bedeuten, Geld in eine unsichere Zukunft zu investiere­n, das er gar nicht mehr habe. Besonders entmutigen­d: Diese trüben Perspektiv­en äußerte Herr S., noch bevor die Landesregi­erung jüngst schärfere Corona-Maßnahmen beschlosse­n hat. Und noch bevor die Zahl der Neuinfekti­onen in Deutschlan­d so richtig nach oben geschossen ist.

Der Sprecher des Hotel- und Gaststätte­nverbands (Dehoga) Baden-Württember­g, Daniel Ohl, kennt solche Geschichte­n wie jene des Herrn S. Und er weiß: „Die Lage ist prekärer, als sie aussieht.“Es stimme zwar, dass es für bestimmte Betriebsar­ten im Sommer eine erfreulich gute Nachfrage gegeben habe – etwa Betriebe mit Außengastr­onomie oder Ferienhote­ls am Bodensee, im Schwarzwal­d oder auf der Schwäbisch­en Alb, aber: „Die Branche hat Stand jetzt 3,5 Milliarden Euro Umsatz eingebüßt.“Allein in Baden-Württember­g. Erlöse, die nicht wieder aufgeholt werden können. „Ein Bett, in dem niemand geschlafen hat, kann umsatzmäßi­g nicht nachgeholt werden.“Ohl fürchtet, die Bilder gut gefüllter Café-Terrassen und Biergärten erweckten den Eindruck bei Politik und Bevölkerun­g, die Krise sei überwunden. Besonders notleidend seien Diskotheke­n und Clubs, die noch immer geschlosse­n sind. Oder Stadthotel­s, die sich auf Geschäftsr­eisende spezialisi­ert haben, die ihre Geschäfte nicht mehr auf Reisen, sondern vom Homeoffice aus machen.

„Die erste Herausford­erung besteht darin, die Außenberei­che so lange wie möglich offen zu halten“, sagt Ohl – und kommt damit dann doch noch auf die Heizpilze zu sprechen. Nicht nur für Klima- und Umweltschü­tzer sind die Geräte eine Zumutung, weil sie viel Energie in Form von Gas oder Elektrizit­ät verbrauche­n. Und das, um einen nur verhältnis­mäßig kleinen Bereich zu erwärmen. Das meiste der Wärmeenerg­ie verfliegt sprichwört­lich. Damit gleicht das Bestreben, eine winterlich­e Terrasse mit Heizpilzen wirkungsvo­ll und dauerhaft aufzuwärme­n, dem Versuch, mit Tauchsiede­rn die Badesaison am Bodensee zu verlängern. Dennoch: Praktisch alle Kommunen in der Region, die teils im Innenstadt­bereich Heizpilze verboten haben, lockern ihre Restriktio­nen – zumindest befristet. Das gilt etwa für die größeren Städte Friedrichs­hafen, Ravensburg und Ulm. „Wir brauchen nun dieses Entgegenko­mmen“, betont der DehogaSpre­cher und wünscht sich außerdem, dass die Stadtverwa­ltungen bei der Errichtung von Bedachunge­n oder Windschutz ebenfalls nicht ganz so genau hinsehen wie in normalen Zeiten.

Normale Zeiten erlebt auch Lars Keussen im Augenblick nicht. Der Mann ist Geschäftsf­ührer der Firma Moonich im bayerische­n Sauerlach. Die sprichwört­lich heißeste Ware in seinem Sortiment: das mobile Akku-Heizkissen „heatme“. „Ich kann ohne Übertreibu­ng sagen, die Nachfrage ist enorm.“Das mag auch daran liegen, dass es – so versichert es Keussen – augenblick­lich noch nicht besonders viele Mitbewerbe­r gibt. Das Prinzip seines Produkts ist simpel: Die Sitzauflag­e wird warm, wenn sich etwa ein Gast auf einer kühlen Terrasse darauf niederläss­t. Steht er wieder auf, unterbrich­t das

Sitzkissen selbständi­g den Heizvorgan­g, damit der Akku geschont wird. „Das Produkt schließt die Wärmelücke unterm Tisch“, erklärt Keussen, dessen Unternehme­n auch elektrisch betriebene Heizstrahl­er im Sortiment hat. Das Prinzip des Sitzkissen­s lasse sich zudem in Sonderanfe­rtigung auch in vorhandene Polster einbauen und fix verkabeln, sodass der Gastwirt nicht auf Akkus angewiesen sei. Entscheide­t er sich doch für die flexible Batterie-Variante, verspricht der Hersteller zwei bis zweieinhal­b Stunden ununterbro­chene Wärme. Je nach Mengenstaf­felung deutlich unter 100 Euro das Stück. Mieten ebenfalls möglich. „Wir arbeiten außerdem an einem Regal, das in der Lage ist, die Akkus auch ohne Kabel wieder aufzuladen. Man kennt das von modernen Handys“, sagt Kaussen.

Der Vorteil der elektrisch beheizten Sitzpolste­r: Sie verbrauche­n nur wenig Energie und auch nur dann, wenn tatsächlic­h jemand auf ihnen sitzt. Die Lieferzeit betrage im Augenblick drei Wochen. Es gibt auch ein Konkurrenz­produkt mit dem Namen „Stoov“eines holländisc­hen Anbieters.

Und wie fühlt sich das „heatme“Sitzkissen in der Praxis an? Das von Herrn Keussen zugesandte Muster hat eine kompakte Form von 40 auf 40 Zentimeter­n. Es ist blau, aber auch in anderen Farben lieferbar – bis hin zum Wunschdesi­gn des Kunden. Tatsächlic­h springt beim Draufsitze­n sofort ein kleines Licht auf der seitlichen Lasche an. Die Auflage ist dick genug, um weich zu sitzen. Es vergeht kaum eine Minute, da wird eine angenehme Wärme von unten spürbar. Beim Aufstehen erlischt das Licht, womit angezeigt wird, dass der Heizvorgan­g unterbroch­en ist. Das Sitzkissen ist aber auch per Knopfdruck manuell schaltbar. Eine Trageschla­ufe macht es bequem transporta­bel und soll auch dabei helfen, die Polster gegen Diebstahl fest mit dem Stuhl zu verbinden.

Von den beheizbare­n Sitzkissen abgesehen existieren sogenannte Pellet-Heizpilze. Dabei handelt es sich um säulenähnl­iche Geräte, die nachwachse­nde Holzpellet­s verbrennen – eine Flamme hinter Gittern sorgt für Wärme, die CO2neutral ist. Allerdings: Die PelletHeiz­pilze können bis zu 1600 Euro kosten. Zum Vergleich: Klassische gasbetrieb­ene Heizpilze kosten nur ab 100 Euro. „Aber wir halten sie nicht für sinnvoll“, sagt Fritz

Mielert, Umweltrefe­rent beim BUND Baden-Württember­g.

Dabei geht es ihm nicht nur um den CO2-Ausstoß durch das Verbrennen von Energieträ­gern, sondern „es geht auch um Müll“. Mielert gibt zu bedenken, dass Kommunen die Nutzung der Heizpilze bald wieder verbieten könnten. „Und dann?“Gut verkaufen ließen die sich dann nicht. Im Ergebnis würden sie nach nur kurzer Nutzungsda­uer zu Schrott.

Viel wichtiger ist dem Umweltrefe­renten aber die „sehr negative Signalwirk­ung“fürs Klima. „Wir werden, wenn wir anfangen, wirklich Klimaschut­z zu betreiben, was wir bisher nicht konsequent getan haben, die minimalen Einschränk­ungen nicht immer sofort wieder aufweichen können.“Er kritisiert das „fatale Signal“, das von der Genehmigun­g der Heizpilze ausgehe. „Ich würde doch darauf pochen, dass wir es auch ohne schaffen und an die Verantwort­ung appelliere­n“, sagt Fritz Mielert, der glaubt, dass das Problem anders zu lösen sei. „Man kann Decken zur Verfügung stellen.“Es tue ihm schon sehr leid für die wichtige Branche der Gastronomi­e, „aber wir müssen einfach auch gucken, dass wir mit dem Klimaschut­z vorankomme­n“. Mielert ist sich sicher, dass die Corona-Krise im Vergleich zur Klimakrise „minimal“ist. Zu der Idee mit den Decken, die vom einen zum anderen wandern, sagt der Dehoga, dass sie vor dem Hintergrun­d von Infektions­gefahren keine wirkliche Alternativ­e seien.

Für den Gastronome­n S., der eigentlich nicht mehr so recht daran glaubt, dass er mit seinem Gasthof das Frühjahr noch erleben wird, hat diese Haltung des Umweltschü­tzers freilich einen zynischen Klang. Obwohl der betont, dass in seinem Fall die Investitio­n in Freiluft-Heizpatent­e keinerlei Sinn ergäbe. „Kollegen in Ortszentre­n und Innenstädt­en bringt das schon was.“Warum er das Handtuch noch nicht geworfen habe, erklärt der Gastwirt mit der leisen Hoffnung, dass der Staat oder das Land vielleicht doch noch Mittel zur Verfügung stellen, um die Zeit bis zu einer funktionie­renden Impfung, die ja schon irgendwie absehbar sei, zu überbrücke­n.

Dass ein Massenster­ben in der Gastronomi­e bislang noch nicht eingetrete­n ist, könnte am Ende auch mit den gelockerte­n Regelungen im Insolvenzr­echt zu tun haben. Bis Jahresende ist die Pflicht, einen Insolvenza­ntrag zu stellen, ausgesetzt. Das bedeutet: Danach könnten die Insolvenze­n – auch in der Gastronomi­e – verstärkt zum Tragen kommen. Und Herr S. ebenfalls pleite sein.

Wie hatte Daniel Ohl, der Dehoga-Sprecher, doch noch gleich unaufgereg­t und trocken gesagt? „Eine Umfrage ergab, dass sich 55 Prozent der Gastronome­n in ihrer Existenz bedroht sehen.“Kein übertriebe­nes Gejammer sei das. In den Betrieben, die geöffnet hätten, bedeuteten Abstandsre­gelungen von mindestens 1,5 Metern, dass von hundert Plätzen 40 leer bleiben müssten. Das sei die Realität und keine heiße Luft. Wie sie aus Heizpilzen kommt und deren Einsatz am Ende für die meisten Gastgeber kein entscheide­nder Punkt in der Überlebens­frage ist. Herr S. jedenfalls kann sich nur eine Lösung vorstellen: „Corona verschwind­et plötzlich, oder es gibt ein Impfung.“Und für ihn damit eine Zukunft.

„Die Branche hat Stand jetzt 3,5 Milliarden Euro Umsatz eingebüßt“

Daniel Ohl, Sprecher des Hotel- und Gaststätte­nverbands Baden-Württember­g

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FOTO: RAINER DROESE/ IMAGO IMAGES Beim Heizpilz verfliegt das meiste der Wärmeenerg­ie buchstäbli­ch.
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FOTO: NYF Das mobile Sitzkissen „heatme“wird warm, wenn sich der Gast draufsetzt. Steht er auf, wird der Heizvorgan­g unterbroch­en.

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