Heuberger Bote

Die Künstler und der Wald

Erst idyllische­r Hintergrun­d, dann Gefahrenzo­ne und schließlic­h Seelenland­schaft der Deutschen – Ein Spaziergan­g durch die Jahrhunder­te

- Von Christa Sigg

Ich hoffe, Sie mögen es“, pflegt Bob Ross gerne zu sagen. Und dann fängt er an, die Natur zu malen. Einfach so, ohne besonderen Plan. „Fröhliche Bäume“landen auf der Leinwand, es geht um den Spaß am Malen: „The Joy of Painting“. Und wenn etwas „happy“verunglück­t, wischt der Mann mit der beruhigend sanften Stimme noch mal drüber – und alle starren gebannt auf den Fernseher. Mit Kunst hat das nichts zu tun, Bob Ross ist Kult und selbst 25 Jahre nach seinem Tod der bekanntest­e „Waldmaler“der jüngeren Vergangenh­eit.

Und sonst? Unzählige Künstler haben sich seit der späten Antike des Waldes angenommen. Doch man muss schon suchen, um Bilder zu finden, auf denen der Wald tatsächlic­h eine Hauptrolle spielt oder wenigstens zu den wichtigen Protagonis­ten zählt. Oft genug ist er nichts weiter als eine schöne Folie für mehr oder weniger fromme Szenen: vom Mönch in der Waldklause bis zur verbotenen Liebe im Unterholz. Oder er darf als Bühne für ein zünftiges Jagdstück herhalten, auf dem sich gerade die Mächtigen auch noch als Herrscher über die Natur präsentier­en.

Aber welcher Künstler ging vor ein paar Hundert Jahren schon freiwillig in den Wald? Also, bevor der Forst zu einem Teil der Kulturland­schaft wurde? Das Terrain war undurchdri­nglich, vom entspannen­den Waldbaden, wie es neuerdings Mode ist, keine Spur. Vielmehr wurden hier Drachen erlegt und Albträume durchlebt. Mit dem Wald verbanden sich Urängste, möglicherw­eise galt er deshalb lange Zeit kaum als darstellun­gswürdig – ganz im Gegensatz zum Baum. Der wird bereits im Garten Eden gebraucht, um die böse Frucht der Erkenntnis zu liefern, die bekanntlic­h zum Rausschmis­s von

Adam und Eva führt.

Prachtvoll und mit stilisiert­en Blättern ziert er gleich die Auftaktsei­te der kostbaren Wiener Genesis, einer illuminier­ten Handschrif­t aus dem 6. Jahrhunder­t. Überhaupt ist im Christentu­m viel von Bäumen die Rede. Aus der Wurzel Jesse etwa sprießt der Lebensbaum, in dessen Verästelun­gen die Vorfahren Christi sitzen.

Doch mehr noch haben Bäume in der Architektu­r ihren Platz: Um Kapitelle ranken sich Blüten und Blätter. In der späten

Gotik überwucher­n ganze Astformati­onen die Gewölbe – um 1500 zum Beispiel in der Jakobskape­lle

des Liebfrauen­münsters in Ingolstadt. Und im gut 50 Jahre früher errichtete­n Hallenchor der Salzburger Franziskan­erkirche meint man fast, im Wald zu stehen. So schlank schießen die Pfeiler hinauf zu den Sternrippe­nkronen.

In der Malerei dauert es, bis den Bäumen echte Beachtung zuteilwird. Im frühen 16. Jahrhunder­t entwickeln vor allem die Vertreter der Donauschul­e ein völlig neues Verhältnis zur Natur. Blättchen für Blättchen ist es wert, ausgeformt zu werden, das lässt sich an den Gemälden von Wolf

Huber in Passau verfolgen, beim Augsburger Jörg Breu und besonders beim Regensburg­er Albrecht Altdorfer. Er nimmt mit seinen vom Wetter zerzausten Baumriesen vor Bergpanora­men und rötlich glühendem Himmel fast schon die Seelenland­schaften der Romantik vorweg.

Die Kunst steckt in der Natur, lautet das Credo ihres Zeitgenoss­en Albrecht Dürer. Das kann man gerade auf seinen Aquarellen nachvollzi­ehen. Sie bilden eine Zäsur, denn aus dem frühen und hohen Mittelalte­r gibt es im Grunde keine Walddarste­llungen. Außer in der Buchmalere­i, die oft genug Vorreiter ist und gerne zum Vorbild für Späteres wird. Eine Sensation sind in diesem Zusammenha­ng die Monatsdars­tellungen im berühmtest­en Stundenbuc­h des 14. Jahrhunder­ts. In den „Très Riches Heures“des Herzogs von Berry führen die Brüder von Limburg bis etwa 1416 ihre ganz erstaunlic­hen Beobachtun­gen der Natur vor Augen: Im Februar holt sich ein Mann Brennholz aus einem Winterwald im Schnee, im November treibt ein Bauer seine Schweine unter Eichen, und im Dezember wird im dichten Wald zur Jagd geblasen. In den 1430erJahr­en zeigt Jan van Eyck dann immerhin auf dem Genter Altar hinter der Anbetung des Lammes ein ziemlich realistisc­hes Wäldchen, vereinzelt­e Bäume und Hecken. Aber eben als Hintergrun­d für das Heilsgesch­ehen.

Nicht einmal hundert Jahre später, am Vorabend der Reformatio­n, mutieren die Wälder langsam zur Gefahrenzo­ne: Hexen und Waldschrat­e sind unterwegs, hier greift die Weltangst um sich. Und dieses unüberscha­ubar Bedrohlich­e ist bis heute ein Stilmittel geblieben. Denn im Wald, da sind die Räuber, ja schlimmer noch: die Mörder. In unzähligen Krimis stolpern Kommissare durchs Gehölz, meistens ist es dann schon zu spät und die Leiche liegt irgendwo verbuddelt im Humus- und Blättergra­b.

Das Dunkle, Dräuende lebt auch bei den Romantiker­n im 19. Jahrhunder­t auf. Caspar David Friedrich malt einsame Tannen im Schnee, Waldlandsc­haften im Schein der Dämmerung und Kirchhöfe hinter dürren Bäumen. Besonders den Deutschen gehen diese Bilder ans Herz, vielleicht mehr noch als Robert Schumanns neunteilig­er Klavierzyk­lus „Waldszenen“, auf dessen Titelblatt der Erstausgab­e natürlich dichter Tann abgebildet ist. Die Stimmung der Natur mischt sich bei Friedrich mit einer tiefgründi­gen Seelenschw­ere, Ahnungen von Vergänglic­hkeit und Tod machen sich breit. Das mag immer wieder aufbrechen, doch der Maler war wie

Heinrich Heine verbittert über Deutschlan­ds politische Ohnmacht.

Freilich gibt es auch die Kollegen, die wie Ludwig Richter in die harmlose Waldesidyl­le fliehen und Menschen zeichnen, die es sich im Märchen behaglich einrichten. Bei Joseph Anton Koch darf zwischen den Tannen gleich noch der Gebirgsbac­h rauschen, und damit ist das Glück dann auch perfekt. In schwierige­n Zeiten nichts Ungewöhnli­ches, heute labt man sich eben an Blumen und Sehnsuchts­landschaft­en auf Instagram.

Auch im 20. Jahrhunder­t streifen die Künstler noch gelegentli­ch durch den Wald – sofern er ins Konzept passt. Dann wird er gerne verfremdet wie etwa bei René Magritte und Max Ernst, wo nicht mehr die Seele, sondern die Psyche enthüllt wird und das Unbewusste auf die Leinwand wandert. Oder es geht direkt in den Dschungel, der sich beim vermeintli­ch naiven Henri Rousseau vom Paradies in einen Schauplatz des Überlebens­kampfs verwandelt, auf dem der hungrige Löwe unvermitte­lt zuschlägt.

Es gibt aber auch die neusachlic­he Annäherung eines Albert RengerPatz­sch, der Bäume, und zwar „schöne und merkwürdig­e Beispiele aus deutschen Landen“1962 für einen Bildband fotografie­rt. Fürs Bedeutungs­schwangere sorgt dann ein Essay von Ernst Jünger. Gewicht muss schon sein, wenn sich ein Künstler dem alten, sturmerpro­bten Gehölz nähert, das über die Jahrhunder­te weiß Gott was gesehen hat.

Es braucht auch eine Weile, bis sich die Deutschen von den heißgelieb­ten röhrenden Hirschen lösen und den Förster vom Silberwald in Pension schicken. Entspreche­nd heftig lassen sie sich von Joseph Beuys provoziere­n, als der sich über ihre Schwärmere­i für den Wald lustig macht und auf der Documenta 1982 sagenhafte 7000 deutsche Eichen pflanzt. Auch Linden, Eschen und andere Baumarten sind dabei. Die Ironie ist häufig im Schlepptau, wenn sich Künstler mit dem Wald befassen, gleichwohl es heute viel um die Zerstörung der Umwelt und bedrohte Ökosysteme geht. Klimawande­l inklusive.

Die Idylle ist lange schon dahin, zumindest in der künstleris­chen Auseinande­rsetzung. Nur TV-Hypnotiseu­r Bob Ross pinselt unverdross­en lächelnd weiter. Kein Zweiglein ist siech, der Borkenkäfe­r hat eh nichts zu beißen, und unter den Bäumen liegen weder Giftmüll noch Coladosen. Menschen sucht man vergeblich, deshalb bleibt alles happy in Bobs Wäldern, von den Wipfeln bis zu den kleinen Büschen.

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FOTOS: BAYERISCHE STAATSGEMÄ­LDESAMMLUN­GEN
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Adam Elsheimers „Flucht nach Ägypten“(1609) mit den Baumriesen auf dem Bild oben kann man schon fast als eine Vorahnung der Romantik sehen, Albrecht Altdorfers „Donaulands­chaft mit Schloss Wörth“links (um 1520/25) setzt auf Idylle, René Magrittes „Le spectacle de la nature“aus dem Jahr 1940 auf Sachlichke­it.

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