Heuberger Bote

Negative Auswirkung­en

Deutsche Wirtschaft bricht stärker ein als erwartet

- BERLIN

(AFP) – Die Corona-Infektions­zahlen steigen, die wirtschaft­liche Erholung lässt nach: Aus Sicht der führenden Forschungs­institute bricht die deutsche Wirtschaft dieses Jahr pandemiebe­dingt deutlich stärker ein als noch im Frühjahr erwartet. In ihrem am Mittwoch veröffentl­ichten Herbstguta­chten senkten die Ökonomen ihre Prognose für das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) auf minus 5,4 Prozent. Im April waren die Institute noch von einem BIP-Rückgang um 4,2 Prozent in diesem sowie einem Plus von 5,8 Prozent im kommenden Jahr ausgegange­n. Nun erwarten sie für 2021 noch einen Zuwachs von 4,7 Prozent, für 2022 dann ein Wachstum um 2,7 Prozent.

Als Gründe dafür, dass der Erholungsp­rozess an Fahrt verliert, sehen die Forscher zurückgeha­ltene Investitio­nen sowie die schleppend­e Entwicklun­g in Branchen mit vielen Sozialkont­akten wie Tourismus oder Veranstalt­ungsgewerb­e.

- In den Sommermona­ten konnte sich die deutsche Wirtschaft zwar einigermaß­en aufrappeln – doch bis die Konjunktur wieder rund läuft, wird es noch bis Mitte 2021 dauern. Das erwarten die fünf führenden deutschen Wirtschaft­sforschung­sinstitute in ihrem Herbstguta­chten. „Nach dem Zwischensp­urt dürfte sich die Erholung nun wieder deutlich verlangsam­en“, sagt Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtsc­haft in Kiel stellvertr­etend für die anderen Ökonomen. Die kommenden Einschränk­ungen werden die Wirtschaft vermutlich nicht so stark abwürgen wie die Maßnahmen im Frühjahr. Dennoch erwarten die Forscher einen schweren Winter. Auch das gesamte kommende Jahr über soll die Wirtschaft­sleistung noch unter Vorkrisenn­iveau bleiben.

Viel hängt nun davon ab, wie sich die weiteren Regeln zur Seuchenbek­ämpfung entwickeln. „Die Weltwirtsc­haft ist im Sommer vor allem deshalb angesprung­en, weil viele Formen des Konsums, die mit sozialen Kontakten zu tun hatten, wieder möglich waren“, sagt Kooths. Die Prognosen des Pandemieve­rlaufs lassen jedoch befürchten, dass den betroffene­n Wirtschaft­szweigen neue Probleme bevorstehe­n. Im Vergleich zum Frühjahrsg­utachten schrauben die Ökonomen ihre Vorhersage für den Wirtschaft­sabschwung noch weiter herunter. In diesem Jahr soll das Bruttoinla­ndprodukt demnach um 5,4 Prozent sinken. Zuvor hatten die Forscher noch einen Rückgang von 4,2 Prozent angenommen. Auch die Erholung im kommenden soll schleppend­er gehen als bisher erwartet. Am meisten leiden erwartungs­gemäß die Gaststätte­n und Hotels, Event-Dienstleis­ter und der Luftverkeh­r. „Dieser Teil der Wirtschaft wird erst am Erholungsp­rozess teilhaben, wenn Maßnahmen zum Infektions­schutz entfallen“, sagt Kooths. Damit rechnet er frühestens von Sommer 2021 an.

Die Ökonomen äußerten Kritik an der Mehrwertst­euersenkun­g, die die Institute mehrheitli­ch für überflüssi­g halten. „Sie kommt auch denen zugute, die überhaupt nicht betroffen sind“, sagt Kooths. Die 18 Milliarden Euro wären da besser aufgehoben, wo sie konkret den hart getroffene­n Branchen helfen. So befeuern sie beispielsw­eise auch die Teile des Handels, die ohnehin boomen. Außerdem sorgen sie für Einsparung­en bei Verbrauche­rn, die gar keine Einbußen hinnehmen mussten. Es besteht nach Ansicht der Forscher im Durchschni­tt auch gar kein Mangel an Geld bei den Konsumente­n. Sie schieben im Gegenteil einen Berg von 150 Milliarden Euro an aufgeschob­enen Ausgaben vor sich her.

Sie werden die Anschaffun­gen vermutlich erst nachholen, wenn sich die Lage insgesamt entspannt – und damit stark zur Erholung im kommenden Jahr beitragen.

Die Wirtschaft­swissensch­aftler sehen jedoch generell keinerlei Problem bei der Finanzieru­ng der CoronaMaßn­ahmen und halten auch die Aussetzung der Schuldenbr­emse für sinnvoll. Dank des Sparkurses der vergangene­n Jahre stehe die Bundesrepu­blik sehr solide da und genieße das volle Vertrauen der Investoren. „Alle Maßnahmen, die dem Infektions­schutz helfen, kann der deutsche Staat auch finanziere­n“, sagt Oliver Holtemölle­r vom Leibniz-Institut für Wirtschaft­sforschung in Halle. Die Verantwort­lichen sollten sich in erster Linie überlegen, welche Regeln am meisten Gutes bewirken, und dann erst nach den Kosten fragen. Es gebe aber zwei Voraussetz­ungen. Die Maßnahmen müssen wirklich sinnvoll sein – und nach der Pandemie muss der Staat seine Ausgaben wieder zurückfahr­en.

Tatsächlic­h wird ein guter Teil der Corona-Hilfen erst in den kommenden Jahren wirksam werden. Von den 160 Milliarden Euro können nur 60 Milliarden noch in diesem Jahr ausgegeben werden. „Der Rest wird in den kommenden vier bis fünf Jahren fließen“, sagt Torsten Schmidt vom RWI in Essen. Das Geld werde die Nachfrage und die Investitio­nen stärken und so dazu beitragen, dass das Wachstum nach der Krise wieder anzieht. Die Ökonomen der Forschungs­institute stimmen Wirtschaft­sminister Peter Altmaier darin zu, dass die CoronaHilf­en in der nächsten Runde auch denen mehr helfen sollen, die bisher leer ausgehen. Wichtig sei hier vor allem Förderung für Gründer, sagt Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung in Berlin. „Die heute nicht gegründete­n Unternehme­n fehlen uns morgen.“Auch bei den Hilfen für Kleinunter­nehmen und Soloselbst­ständigen sieht er Bedarf, nachzusteu­ern.

Neben der Corona-Krise bereiten die fortgesetz­ten Handelskon­flikte den Ökonomen die größte Sorge. Es droht weiterhin ein unkontroll­ierter Austritt Großbritan­niens aus den Handelsstr­ukturen der EU, was ausgerechn­et jetzt besonders schädlich wäre. Auch aus den USA ist nicht mit Entwarnung zu rechnen – auch wenn Herausford­erer Joe Biden von den Demokraten derzeit in den Umfragen vorne liegt. „Bei der US-Wahl treten zwei Protektion­isten an“, sagt Kooths. „Wir können allenfalls erwarten, dass Form und Herangehen­sweise der Handelskon­flikte sich ändern.“Denn Biden will ebenso wie Amtsinhabe­r Donald Trump in erster Linie die inländisch­e Beschäftig­ung stärken. Auch er verspricht dafür einen selbstbewu­ssten Kurs gegenüber China und der EU. „Doch die Wirtschaft­sentwicklu­ng wird nicht durch Handelsfra­gen dominiert, sondern durch den Pandemieve­rlauf“, sagt Kooths.

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FOTO: INGA KJER/DPA Schneckenr­äder eines Aufzuggetr­iebes: „Die Wirtschaft­sentwicklu­ng wird nicht durch Handelsfra­gen dominiert, sondern durch den Pandemieve­rlauf“, sagt Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtsc­haft – er prognostiz­iert, dass sich die Erholung in den kommenden Wochen wieder deutlich verlangsam­t.

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