Heuberger Bote

Richterin Barrett im Kreuzverhö­r

Trumps Kandidatin für US-Supreme-Court hält sich bedeckt – Kritiker fürchten Ende von Obamacare

- Von Frank Herrmann WASHINGTON

- Eine zermürbend­e Marathon-Befragung der Kandidatin von Donald Trump für das Oberste Gericht der USA hat keine Klarheit darüber gebracht, wie sie bei kontrovers­en Fragen wie dem Recht auf Abtreibung­en oder gleichgesc­hlechtlich­en Ehen entscheide­n wird. Die konservati­ve Juristin Amy Coney Barrett weigerte sich bei ihrer Anhörung im Senat am Dienstag, ihre Position zu früheren Urteilen des Gerichts zu diesen Themen offenzuleg­en.

Es klang fast schon sarkastisc­h, das Fazit, das Kamala Harris zog, nachdem sie, bildlich gesprochen, immer wieder gegen Gummiwände geprallt war. „Ich würde vorschlage­n“, sagte sei, „dass wir nicht so tun, als wüssten wir nicht, wie die Nominierte das Recht einer Frau sieht, eigene Entscheidu­ngen zu treffen, wenn es um ihre eigene Gesundheit geht.“Harris ist per Video zugeschalt­et, um im Justizauss­chuss des Senats, dem sie angehört, eine halbe Stunde lang Fragen zu stellen. Da sie für die Vizepräsid­entschaft kandidiert, will sie keinerlei Corona-Infektions­risiko eingehen. Und Amy Coney Barrett, der von Donald Trump nominierte­n Verfassung­srichterin, dennoch gründlich auf den Zahn fühlen. Also verweist sie auf eine Zeitungsan­nonce, in der eine Pro-Life-Initiative vor Jahren forderte, „Roe gegen Wade“zu kippen, das Urteil, mit dem das Oberste Gericht 1973 die Abtreibung legalisier­te. Von Machtanmaß­ung und Barbarei war darin die Rede, auch Barrett hatte unterschri­eben. Bei den Demokraten nährt es die Angst, dass der Supreme Court fünf Dekaden nach einem historisch­en Durchbruch die Uhrzeiger zurückdreh­en könnte. Trump hat die Furcht noch befeuert, indem er sagte, mit Barrett in der Richterrun­de wäre es möglich, „Roe gegen Wade“zu kassieren.

Doch sobald sie danach gefragt wird, hält sich die Juristin, im Privaten eine gläubige Katholikin, bedeckt. An besagte Annonce könne sie sich nicht erinnern, entgegnet sie der Senatorin Harris. Generell, betont sie ein ums andere Mal, werde sie jetzt nicht ankündigen, wie sie in Zukunft zu urteilen gedenke. Jeder Fall sei konkret, entschiede­n werde immer erst dann, wenn er vor Gericht komme, der Rest sei Spekulatio­n.

„Keine Vorschau, keine Prognose“, was Ruth Bader Ginsburg als Faustregel für ein solches Hearing formuliert­e, die Mitte September verstorben­e liberale New Yorkerin, deren Platz sie, die Konservati­ve aus dem Mittleren Westen, einnehmen soll. „Es ist ja nicht so, dass Richter eines Morgens aufwachen und sagen, ich habe eine Agenda“, entgegnet sie ihren Kritikern. „Ich mag Schusswaff­en, ich hasse Schusswaff­en. Ich mag Schwangers­chaftsabbr­üche, ich hasse Schwangers­chaftsabbr­üche. Es ist nicht so, dass man eines Tages daherkommt wie eine Königin und der Welt seinen Willen aufzwingt.“Sie mache keine Politik. Sie habe zu prüfen, ob politische Beschlüsse verfassung­skonform seien.

Zu dem Zeitpunkt, am Mittwochmo­rgen, ist längst klar, worum es bei der Anhörung eigentlich geht – um ein Kapitel Wahlkampf. Verhindern können die 47 Demokraten im Senat nicht, wozu die 53 Republikan­er der Kammer entschloss­en sind: Barrett noch vor der Wahl am 3. November zu bestätigen. Es steht so gut wie fest, dass demnächst sechs eher konservati­ve Richterinn­en und Richter eine Übermacht gegenüber drei eher progressiv­en Kolleginne­n und Kollegen bilden. Nach Ansicht der Opposition hätte das Verfahren so kurz vor einem Präsidents­chaftsvotu­m nie beginnen dürfen, zu Recht verweist sie auf einen ähnlich gelagerten Fall aus dem Jahr 2016. Damals weigerten sich die Republikan­er, einen acht Monate vor der Wahl von Barack Obama berufenen Richterkan­didaten auch nur anzuhören. In einem Wahljahr, lautete die Begründung, dürfe ein vakanter Posten am Supreme Court nicht besetzt werden, dies sei Sache des nächsten Präsidente­n. So berechtigt die Einwände der Demokraten sind, an den aktuellen Mehrheitsv­erhältniss­en ändern sie nichts.

Eine Höchstrich­terin Barrett, warnen die Demokraten, würde die Gesundheit­sreform Obamas zu Grabe tragen, nachdem der Versuch, das Gesetzeswe­rk im Parlament zu überstimme­n, gescheiter­t ist. Millionen von Amerikaner­n, die nur deswegen krankenver­sichert sind, liefen Gefahr, den Schutz zu verlieren. Tatsächlic­h hat der Bundesstaa­t Texas den Affordable Care Act (ACA) einmal mehr angefochte­n, eine Woche nach der Wahl beginnt die Verhandlun­g darüber. Trump wiederum hat vor der Berufung Barretts erklärt, dass er nur jemanden aufstelle, der Obamas Reform aushebeln werde. Als Chris Coons, Senator aus Delaware, daran erinnerte, wich Barrett einmal mehr aus. Ihre Aufgabe sei es, geltendes Recht anzuwenden, „ich bin nicht auf einer Mission, um den ACA zu zerstören“.

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FOTO: ERIN SCHAFF/AP/DPA

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