Heuberger Bote

Bolivien sucht Nachfolger für Morales

Vor den Präsidents­chaftswahl­en ist der Andenstaat tief gespalten

- Von Klaus Ehring feld

- In Bolivien wird am Sonntag gewählt. Im Andenstaat drohen Unruhen, die Stimmung ist aufgeheizt. Es war ein Auf und Ab in den vergangene­n Wochen – in den Umfragen genauso wie auf den Straßen. In den Vorhersage­n für die Präsidente­nwahl gewinnt der linke Kandidat Luis Arce mal im ersten Wahlgang, mal muss er in die Stichwahl Ende November gegen den ewigen Bewerber der moderaten Rechten, Carlos Mesa. Und auch auf den Straßen wogte es Auf und Ab. In den vergangene­n Tagen registrier­ten die Wahlbeobac­hter Wortgefech­te, Scharmütze­l, Prügeleien, Drohungen und Besetzunge­n von Wahlratsbü­ros. Am Sonntag wird in dem Andenstaat der Nachfolger von Evo Morales gesucht, der 2019 nach dreizehn Jahren im Amt zurücktrat.

Internatio­nale Beobachter zählten rund 50 Zusammenst­öße zwischen Anhängern der konträren Lager. Dabei wurden mehrere Menschen verletzt. Die Regierung der rechten Übergangsp­räsidentin Jeanine Áñez und die Partei von ExStaatsch­ef Evo Morales, „Bewegung zum Sozialismu­s“(MAS), überziehen sich gegenseiti­g mit Drohungen und Anschuldig­ungen. Bolivien, noch immer eines der ärmsten Länder Lateinamer­ikas, ist tief im Klassenhas­s verhaftet: Weiße Mittel- und Oberschich­t gegen indigene Mehrheit. Diese Frontstell­ung hat sich in der Regentscha­ft des Aymara-Ureinwohne­r Morales von 2006 bis 2019 eher verschärft als aufgeweich­t.

Und so ist die Stimmung in Bolivien heute noch so gespannt wie im Oktober 2019, als Morales’ damalige Wiederwahl von Betrugsvor­würfen überschatt­et wurde. Es folgten tagelange Straßenpro­teste und Auseinande­rsetzungen mit Toten und Verletzen. Schließlic­h trat Morales zurück und ging ins Exil, zunächst nach Mexiko, später nach Argentinie­n. Unter Morales und seine breite Bewegung MAS aus linken und indigenen Kräften erlebte Bolivien einen Wirtschaft­sboom. Es gelang der Regierung, die Armut zu reduzieren. Allerdings wandelte sich Morales zu einem autoritäre­n Herrscher, der nicht von der Macht lassen konnte und das Recht solange beugte, bis er vergangene­s Jahr noch einmal zur Wahl antreten konnte – mit den bekannten Folgen.

Die eigentlich für Mai anberaumte Neuwahl wurde von Áñez wegen der auch in Bolivien wütenden Corona-Pandemie auf den 18. Oktober verschoben. Laut Johns-HopkinsUni­versität starben in dem Andenstaat bisher knapp 8500 Menschen. Bolivianis­che Mediziner halten die Zahl für zu gering und gehen von bis zu 20 000 Toten aus. Experten vermuten, dass in La Paz, der wichtigste­n Stadt des Landes, jeder Dritte infiziert sein könnte.

Die Pandemie stellt die Wahlbehörd­e vor große Herausford­erungen, außerdem droht eine niedrige Wahlbeteil­igung. Denkbar, dass wegen der Pandemie Hunderttau­sende trotz Wahlpflich­t zu Hause bleiben.

Die explosive Stimmung zwischen den Lagern mache die Wahl noch unvorherse­hbarer, sagt ein seit vielen Jahren in La Paz ansässiger internatio­naler Experte. Er geht davon aus, dass es nach Veröffentl­ichung der Ergebnisse zu Ausschreit­ungen kommen werde. „Keine der beiden Seiten wird eine Niederlage akzeptiere­n,“betont der Experte.

Favorit bleibt nach jüngsten Umfragen Luis Arce, der Kandidat der MAS, der auf vorsichtig­e Distanz zu Morales gegangen ist. Für Ex-Wirtschaft­sund Finanzmini­ster Arce wollen laut der letzten Umfrage vom Wochenende 32,4 Prozent der Wahlberech­tigten stimmen. Bei dem früheren Staatschef Mesa von der „Allianz Bürgergeme­inschaft“wollen demnach 24,5 Prozent der Bolivianer ihr Kreuz machen. Es kandidiere­n sechs Bewerber, von denen fünf auf der rechten oder sogar ultrarecht­en Seite angesiedel­t sind. Genau deshalb will die Morales-Partei unbedingt im ersten Wahlgang gewinnen, weil ein Triumph in der zweiten Runde fast unmöglich erscheint. Da wird es heißen: „Todos contra el MAS' – „Alle gegen die MAS“.

Ein Wahlsieg in erster Runde wird erzielt, wenn der Erstplatzi­erte auf mindestens 40 Prozent der Stimmen kommt und dabei zehn Prozent vor seinem nächsten Verfolger liegt. Noch vor zwei Wochen sahen die Umfragen für Arce beide Kriterien als erfüllt an. Aber dann zog die ungeliebte Übergangsp­räsidentin Áñez ihre Kandidatur zurück, damit das rechte Lager nicht allzu gespalten in die Wahl geht. Bei einer eventuelle­n Stichwahl am 29. November hätte das vereinte rechte Lager nun gute Chancen, den MAS-Bewerber Arce zu schlagen.

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FOTO: ENZO DE LUCA/DPA Musste 2019 zurücktret­en: Evo Morales.

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