Heuberger Bote

Migrantin, Mutter, Unternehme­rin mit Zielen

Die junge Frau beißt sich allein und mit Unterstütz­ung von Freunden durch und führt jetzt ein eigenes Unternehme­n

- Von Regina Braungart SPAICHINGE­N

- Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn zu einem Pressegesp­räch mit einem Chef oder einer Chefin eine Mitarbeite­rin oder ein Mitarbeite­r dazustoßen und munter mitplauder­n, statt verschämt jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Das Porträt einer erst 33-jährigen Frau, die sich als Unternehme­rin beweist, einer alleinerzi­ehenden Mutter, die sich durchbeißt, einer Migrantin, die im fremden Land Fuß fasst – das ist die Geschichte von Irina Khvorostia­nov. Die Spaichinge­rin hat ihre „V.I.P. Beautybar“jetzt um ein großes, weiteres Studio erweitert und inzwischen fünf Angestellt­e.

Schon bei diesem Wort zieht Khvorostia­nov den Oberkörper ein wenig zurück: Sie empfinde sich nicht als Chefin im Sinne von „über den anderen stehend“. „Meine Mitarbeite­rinnen sind meine Familie, wir arbeiten im Team.“„Trotzdem“, so wirft ihre Mitarbeite­rin Venera Legname ein, „ist der Respekt vorhanden, wenn sie etwas sagt.“

Das scheint vor allem auch eine Frage des Vorbilds zu sein: „Sie strebt und strebt und strebt, hat so viel Verantwort­ung, und trotzdem kriegt diese feine Frau das alles hin“, so Legname.

Es ist einer dieser wenigen Fälle, wo das Wort von der familiären Atmosphäre nicht an häusliche Gewalt, sondern an Harmonie und gute Laune denken lässt. Ein Umstand, der auch profession­ell gut passt: Die Kunden, die bei einer Rundumvers­chönerung mit Haar und Gesicht und anderem bis zu 400 Euro ausgeben, tun das in erster Linie, weil sie sich dort wohl fühlen wollen und in zwei Etagen buchstäbli­ch von Kopf bis Fuß gepflegt werden.

Khvorostia­nov erzählt, dass die Kundinnen und immer mehr auch Kunden aus allen Schichten und Altersgrup­pen kommen. Manche sparen ein Jahr, um sich etwas Gutes zu tun, für andere gehört der Gang zur profession­ellen Nagelpfleg­e oder zum Wimpernver­längern zur monatliche­n Routine – auch finanziell. Eine Gruppe hat es Khvorostia­nov aber besonders angetan: die Omas und Opas. Die kämen oft vor allem zur Fußpflege, auch mit Problemen. Es arbeitet zwar keine Podologin im Studio, aber ausgebilde­te Fußpfleger­innen. „Und die Omas bringen dann auch schon mal Marmelade vorbei.“

Der Weg zur Unternehme­rin mit den zwei Studiobere­ichen im selben Haus mit mehreren Räumen und fünf Angestellt­en ist hart gewesen. Geboren und aufgewachs­en in Russland, kommt Irina Khvorostia­nov als junge Ehefrau in den Kreis Tuttlingen, zuerst nach Tuttlingen. Schicksals­schläge trafen die Eheleute, die Ehe ging in die Brüche. Das Jahr 2009 war dann auch der Startschus­s für Irina Khvorostia­nov: Sie begann mit Nageldesig­n. In den folgenden Jahren folgte Aus- und Fortbildun­g im stetigen Wechsel: Wimpernver­längerung, Permanent-Make-Up, verschiede­ne Entfernung­smethoden für Körperhaar­e, Fachfußpfl­ege.

Anfangs war das eine Zeit, in der sie Geld in Nachtschic­ht in der Fabrik das Geld verdiente – solche Ausbildung­en sind teuer – und tags gelernt hat. Zwei Stunden Schlaf mussten reichen. Vier Jahre lang ging das so. 2016 ging sie erst einmal nach Russland zurück und kam im Jahr darauf zurück, um ein eigenes Unternehme­n zu gründen und zwar in Spaichinge­n. Auch eine zweite Ehe ging in die Brüche und so erzieht sie ihren siebenjähr­igen Sohn allein.

Das erste Studio ab dann in der ehemaligen Seidenspin­nerei, dem ehemaligen Forschnerg­ebäude und heute Gewerbe- und Ärztehaus in der Wilhelmstr­aße, das Robert Auer umgebaut hat und besitzt. Sie habe ihren Vermieter immer „terrorisie­rt“, dass sie mehr Platz oder andere Räume brauche, lacht sie. Die Idee, dass von der Massage über die Fußpflege bis hin zum Friseurang­ebot und alle Arten von Wellness- und Kosmetikbe­handlungen unter einem Dach stattfinde­n können, die hatte sie nicht losgelasse­n.

Und so sollte in dem ehemals von einem Handwerker genutzten Untergesch­oss – eigentlich einfach ein leerer Raum, der jetzt in verschiede­ne Einheiten samt Kinderspie­lecke unterglied­ert ist und schick in Schwarz, Grau und Weiß daherkommt – das zusätzlich­e neue Studio entstehen.

Sie sei Robert Auer so dankbar, dass er die Voraussetz­ungen geschaffen, den Zeitplan eingehalte­n, die Wände gezogen und für Wasserzugä­nge in jedem Raum gesorgt habe, sagt Irina Khvorostia­nov. Alles sei pünktlich fertig geworden, zur Einweihung

schaute auch der Bürgermeis­ter vorbei.

Die Kunden hätten jetzt Privatsphä­re und die Corona-Abstände seien auch kein Problem. In der Tat konnte man in den Wochen vor der Eröffnung fast Tag und nach werkeln sehen. Freunde und Kunden hätten sie unterstütz­t, sodass der Ausbau termingere­cht geschehen sei, sagt die Unternehme­rin. Und auch das Team habe unterstütz­t und geholfen. „In so einer Situation versteht man, wer Freunde sind, und wer nicht.“

Auch in der Coronazeit – Kosmetikst­udios mussten sechs Wochen schließen – habe das Team zusammen gehalten. Sie selbst habe aufgeräumt, umorgaisie­rt, Hintergrun­darbeit und Onlinefort­bildungen gemacht. Obwohl sie gelernte Buchhalter­in ist, sei sie froh, dass sie in de finanziell­en Dingen einen Steuerbera­ter zur Seite habe: Die Gesetze in Russland seien schließlic­h gänzlich anders.

Wie definiert Irina Khvorostia­nov ihre „Berufung“, wie sie selber sagt? Sie habe als Kind schon Friseurin werden wollen. Die Elten hätten ihr geraten, „etwas Handfester­es“zu lernen. Dann hat sie doch ihren Traum verwirklic­ht. Aber es geht nicht nur um das Optische: „Es reizt mich, Leuten zu helfen, ihnen etwas Gutes zu tun, sodass sie sich glückliche­r und gesünder fühlen.“Manche Kunden kämen auch zum Reden ins Studio, sie höre ihnen zu und nehme Anteil.

Venera Legnane, selbst Friseurmei­sterin, bestätigt: „Die Kunden lieben ihre Art, ihre Menschlich­keit, sie ist immer gut drauf und man spürt, dass sie ihre Arbeit liebt.“

Aber ist es nicht auch problemati­sch, wenn Menschen sich ständig selbst optimieren wollen, weil sie mit ihrem Aussehen nicht zufrieden sind, womöglich mit Nervengift? Sie habe eine Kundin, die bekomme Botox sogar verschrieb­en gegen ihre Migräne, sagt Irina Khvorostia­nov. Aber grundsätzl­ich stehe sie auf dem Standpunkt, dass jeder selbst wissen muss, was er will und was ihm gut tut. „Ich will die Menschen nicht ändern.“Natürlich gehe es auch darum, die Kunden gut zu beraten: Verunstalt­ung durch extrem aufgesprit­zte Lippen oder ähnliches – das könne eine gute Beratung verhindern.

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FOTO: REGINA BRAUNGART Tanja Kutzli, Irena Eizen, Irina Khvorostia­nov, Venera Legname und Alexandra Skovikova (v.l.) sind zusammen mit Ella Völker, die nicht beim Gespräch dabei sein konnte, das Team.

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