Mahnerin Merkel appelliert an die Bürger
Kanzlerin bittet um Disziplin – Debatte um Wege zur Eindämmung der Corona-Pandemie
BERLIN (dpa/epd/AFP) - Soziale Kontakte beschränken, weniger Feiern, keine Urlaubsreisen: Um eine unkontrollierte Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bürger eindringlich um Mithilfe gebeten. Es zähle jetzt jeder Tag, sagte die CDU-Politikerin in ihrer am Samstag veröffentlichten wöchentlichen Videobotschaft. „Ich bitte Sie: Verzichten Sie auf jede Reise, die nicht wirklich zwingend notwendig ist, auf jede Feier, die nicht wirklich zwingend notwendig ist. Bitte bleiben Sie, wenn immer möglich, zu Hause, an Ihrem Wohnort.“Damit geht die Kanzlerin in ihrem ungewohnt emotionalen Appell weit über das Verordnete
und die vergangenen Mittwoch mit den Ministerpräsidenten der Länder vereinbarten Anti-Corona-Maßnahmen hinaus. Bereits damals hatte sie erklärt, dass die Beschlüsse nicht ausreichen würden. Immer wieder wird eine uneinheitliche Linie der Länder kritisiert.
Dennoch erhielt die Kanzlerin indirekt Unterstützung aus dem Süden. Baden-Württembergs grüner Regierungschef Winfried Kretschmann, der für den Südwesten ab dem heutigen Montag die höchste Corona-Warnstufe ausgerufen hat, rief die Bürger ebenfalls auf, unnötige Reisen und Kontakte zu vermeiden. „Das ist das Gebot der Stunde, damit nicht alles aus dem Ruder läuft. Wir müssen jetzt alles tun, um den kritischen Trend schnellstmöglich wieder zu stoppen und das Ruder herumzureißen.“Von heute an gilt im ganzen Land eine verschärfte Maskenpflicht in Schulen, zudem werden die Regeln für private Feiern strikter. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte der „Bild am Sonntag“: „Die Lage ist ernst. Wenn wir nicht rasch gegensteuern, gerät Corona außer Kontrolle.“
Gleichzeitig warnten jedoch mehrere Politiker vor schwindender Akzeptanz der Maßnahmen. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) forderte etwa mehr Augenmaß bei den Verboten zur Bekämpfung der Pandemie. „Bei allen Maßnahmen müssen wir stets darauf achten, dass sie gut begründet und für die Bürger nachvollziehbar sind“, sagte sie der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Nur so könne die hohe Zustimmung der Bevölkerung erhalten bleiben. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte der Funke Mediengruppe: „Es wird darauf ankommen, wie sich die Bevölkerung verhält. Das ist wichtiger als einzelne Maßnahmen.“Viele Auflagen ließen sich ohnehin schwer überprüfen.
Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar für die „Bild am Sonntag“sind derzeit 68 Prozent der Deutschen mit dem Corona-Management des Bundes zufrieden.
- Vor einem Monat hat die grün-schwarze Landesregierung ein dreistufiges Konzept zum Umgang mit der Corona-Pandemie beschlossen. Am Samstag hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nun die dritte und damit höchste Alarmstufe ausgerufen, die ab Montag gilt. Wie sich das auf das Leben im Land auswirkt.
Was ist die Grundlage für Stufe 3?
Wesentlich hierfür ist die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus. Die höchste Pandemiestufe, die sogenannte „kritische Phase“, beginnt dann, wenn landesweit in den vergangenen sieben Tagen mehr als 35 Menschen pro 100 000 Einwohner positiv getestet werden. Am Sonntagabend meldete das Landesgesundheitsamt 46,3 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche. 14 der 44 Stadt- und Landkreise haben inzwischen den Wert von 50 Neuinfektionen überschritten – in der Region trifft das auf den Alb-Donau Kreis mit 70,5 und Ulm mit 50,5 Neuinfektionen zu. 13 weitere Kreise befinden sich in der Vorstufe, die ab 35 Neuinfektionen gilt. Hierzu gehören Tuttlingen und der Ostalbkreis.
Was muss ich im Alltag beachten?
Mit der Pandemiestufe 3 gilt eine verschärfte Maskenpflicht in der Öffentlichkeit. Ab Montag müssen Mund-Nase-Bedeckungen auch in Fußgängerzonen, auf Marktplätzen und in allen öffentlichen Gebäuden getragen werden – „und überall dort im öffentlichen Raum, wo der Mindestabstand von 1,5 Metern nicht immer eingehalten werden kann“, sagte Kretschmann am Samstag. In Geschäften, im ÖPNV sowie an Bahnhöfen, Flughäfen und Bushaltestellen galt die Maskenpflicht bereits.
Darf ich mich weiter mit Freunden treffen?
Ja, aber eingeschränkt. Ab sofort dürfen sich maximal zehn Menschen oder zwei Haushalte treffen – das gilt fürs Private wie auch für den öffentlichen Raum.
Gibt es Einschränkungen für Versammlungen?
Die gibt es. Grundsätzlich dürfen künftig höchsten 100 Menschen an einer Veranstaltung teilnehmen. Es gibt aber Ausnahmen – etwa für politische Veranstaltungen und Demonstrationen, solange dabei Hygienekonzepte und Abstandsgebote eingehalten werden. Die Ministerien können zusätzlich eigene Regeln schaffen, wie es etwa Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) getan hat, die auch für den Sport im Land zuständig ist. In einer Unterverordnung hat sie festgelegt, dass bei Verschen anstaltungen des Profi-Sports so viele Menschen zuschauen dürfen, bis die eigentliche Kapazität einer Halle zu 20 Prozent ausgeschöpft ist, sofern Hygiene- und Abstandsgebote eingehalten werden.
Was bedeutet das für Schulen?
In allen weiterführenden und beruflichen Schulen im Land gilt nun auch eine Maskenpflicht während des Unterrichts. Grundschulen bleiben davon ausgenommen. Die Schulräume dürfen nicht mehr für außerschulische Zwecke genutzt werden. An den Betreuungsangeboten vor und nach dem Unterricht ändert sich dadurch nichts.
Und was heißt das für Kitas?
Gar nichts. Schon bislang gilt hier die Regel, dass die Kinder in festen Gruppen betreut werden sollen, die sich untereinander nicht mischen, betont ein Sprecher von Ministerin Eisenmann.
Welche Regeln gelten beim Einkaufen?
Das ist noch nicht ganz klar. Laut dreistufigem Plan der Landesregierung soll aber in einem ersten Schritt nur noch ein Kunde pro zehn Quadratmeter Verkaufsfläche im Laden sein dürfen. In einem zweiten Schritt ist von einem Kunden pro 20 Quadratmeter die Rede. Die Maskenpflicht beim Einkaufen gilt allemal.
Kann ich weiterhin essen gehen?
Kein Restaurant muss schließen, aber die Regeln könnten schärfer werden. Auch hier ist im dreistufigen Plan von zwei Schritten die Rede: von noch mehr Abstand zwi
den Tischen und einer Reservierungspflicht. Reichen die Maßnahmen nicht aus, könnte der Ausschank von Alkohol eingeschränkt werden. Möglich wäre auch, dass die Wirte ihre Gäste nur noch im Freien bewirten dürfen. Ob solche Verschärfungen noch kommen, war bis Sonntagabend noch nicht klar. Die Landkreise mit starkem Zuwachs an Neuinfektionen dürfen aber auch selbst schärfere Regeln erlassen.
Warum sind einige Regelungen noch ungewiss?
Die Landesregierung hat am Sonntag lediglich die allgemeine CoronaVerordnung nachgeschärft. Sie betrifft das öffentliche Leben im Land ganz generell. Jedes Ministerium kann darüber hinaus eigene Verordnungen erlassen – etwa das Kultusministerium für die Schulen. Diese Unterverordnungen, die konkrete Bereiche regeln, stehen zum Teil noch aus.
Ist die Gesundheitsversorgung gesichert?
Alle zusätzlichen Einschränkungen sollen gerade dazu dienen, das Gesundheitssystem im Land nicht zu überfordern. „Viele Gesundheitsämter arbeiten schon jetzt an ihrer Kapazitätsgrenze“, sagte Kretschmann am Samstag. Nicht mehr alle Infektionsketten seien nachvollziehbar. „Warten wir weiter ab, wie sich die Intensivstationen füllen, werden wir die Kontrolle über die Pandemie verlieren.“Noch sieht es danach aber nicht aus. Zehn Prozent ihrer Intensiv-Kapazitäten müssen die Krankenhäuser bereits für Corona-Patienten
freihalten. Die Kapazitäten sollen nun ausgeweitet werden, heißt es in einem Brief vom Sozialministerium an Matthias Einwag, Hauptgeschäftsführer der BadenWürttembergischen Krankenhausgesellschaft. In dem Schreiben vom Samstag, das der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt, erinnert Ministerialdirektor Wolf-Dietrich Hammann daran, dass ab Pandemiestufe 3 der „Anteil freizuhaltender Intensivund Beatmungskapazitäten (...) zu erhöhen ist“. Eine konkrete Vorgabe gibt es nicht, dies müsse vor Ort anhand der Infektionslage entschieden werden. Gibt es landesweit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche, müssen die Krankenhäuser die Zahl geplanter Operationen reduzieren.
Kann ich ins benachbarte Ausland fahren?
Ja, hierfür gelten neue Bestimmungen. Eigentlich muss jeder, der aus einem Risikogebiet kommt, 14 Tage in Quarantäne. Zu diesen Gebieten hat das Robert-Koch-Institut etwa die Region Grand-Est in Frankreich ernannt, zu der das Elsass gehört, sowie den Kanton Zürich in der Schweiz. Von der Quarantäne ausgenommen ist aber jeder, der kürzer als 48 Stunden in einem dieser Gebiete war. Wer von dort nach BadenWürttemberg reist und kürzer als 24 Stunden bleibt, ist ebenfalls ausgenommen.
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