Heuberger Bote

17-Jähriger gibt tödlichen Schlag in Augsburg zu

Am Nikolausta­g 2019 stirbt ein Feuerwehrm­ann am Augsburger Königsplat­z durch einen einzigen Fausthieb – Drei junge Männer stehen nun vor Gericht

- AUGSBURG

(dpa/sz) - Im Prozess um den tödlichen Streit am Nikolausta­g 2019 auf dem Augsburger Königsplat­z hat der Hauptangek­lagte Halid S. vor Gericht den tödlichen Schlag eingeräumt. Der 17-Jährige ließ am Dienstag zu Beginn des Prozesses am Augsburger Landgerich­t von seinen Verteidige­rn eine entspreche­nde Erklärung verlesen. Der Jugendlich­e muss sich wegen des Todes eines 49 Jahre alten Familienva­ters vor der Jugendkamm­er verantwort­en. Er hatte laut Anklage den Mann bei einem Streit mit einem einzigen Faustschla­g umgebracht, ihm wird Körperverl­etzung mit Todesfolge vorgeworfe­n. Dem Opfer riss durch die Wucht des Schlages eine Schlagader am Kopf, er verblutete binnen Minuten. Die brutale Tat hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst.

- Es wird still im Gerichtssa­al, als die Videoaufna­hmen abgespielt werden. Erst ist eine Gruppe von Jugendlich­en und jungen Männern zu sehen. Sie schlendern aus der Fußgängerz­one kommend über den Augsburger Königsplat­z. Breitbeini­g, selbstbewu­sst, das fast schon altmodisch­e Wort „Halbstarke“trifft es vielleicht ganz gut. Einer lässt eine leere Zigaretten­schachtel fallen und kickt sie weg. Sie sprechen Passanten an. Dann gibt es eine Schubserei, einen Faustschla­g von der Seite – und ein Mann sackt plötzlich zu Boden. Er bleibt regungslos liegen.

Der Mann wird nicht mehr aufstehen. Roland S. stirbt, mit 49 Jahren, vor den Augen seiner Ehefrau. Er stand mitten im Leben, war von Beruf Feuerwehrm­ann bei der Berufsfeue­rwehr in Augsburg, engagierte sich auch privat bei der Freiwillig­en Feuerwehr in Neusäß.

Die Tat am Nikolausab­end vorigen Jahres löste Entsetzen und große Trauer in der Stadt aus. Dutzende Feuerwehrl­eute versammelt­en sich am Tatort und gedachten ihres Kameraden. Menschen legten Blumen ab, Kerzen leuchteten. Auf der Adventssti­mmung in der Stadt lag ein dunkler Schleier. Bundesweit machte die Tat Schlagzeil­en. Die ausländisc­hen Wurzeln der Verdächtig­en riefen schnell Vertreter des rechten Spektrums auf den Plan. Pegida demonstrie­rte am Königsplat­z, rechte Blogger griffen den Fall auf und stilisiert­en ihn teils zu einem Zeichen gescheiter­ter Integratio­n.

Zehn Monate danach stehen drei junge Männer vor der Jugendkamm­er des Augsburger Landgerich­ts. In einem großen Saal des Justizpala­sts, keine 300 Meter Luftlinie vom Tatort entfernt. Der jüngste Angeklagte, Halid S., 17, soll dem 49-Jährigen den tödlichen Faustschla­g verpasst haben. Zwei weitere junge Männer, 18 und 20 Jahre alt, sind angeklagt, weil sie bei der Auseinande­rsetzung am Königsplat­z einen Freund des Getöteten zusammenge­schlagen haben sollen. Der 51-Jährige erlitt schwere Kopfverlet­zungen.

Die drei Angeklagte­n gehörten zu einer siebenköpf­igen Gruppe, die an diesem Abend in der Stadt unterwegs war. Sie hatten sich erst im Stadtteil Kriegshabe­r getroffen, dort Alkohol gekauft und getrunken, Bier,

Wodka, Rum, Whisky, Jägermeist­er. Halid S. sagt vor Gericht: „Wir waren sieben Leute und hatten vier, fünf Liter Alkohol dabei.“Dann fuhren sie gemeinsam in die Stadt – wo es später, gegen 22.40 Uhr, zum Aufeinande­rtreffen mit den Opfern kam.

Eine wichtige Frage im Prozess wird sein: Wie waren die Jugendlich­en drauf, als sie durch die Stadt zogen? Angetrunke­n, aber gut gelaunt und auf Party aus, so wie sie es nun im Prozess berichten? Oder aggressiv, womöglich mit dem Ziel unterwegs, Stress zu machen – so wie es die Ermittler der Kripo zunächst vermuteten?

Nach der Tat flüchteten alle aus der siebenköpf­igen Gruppe. In den Tagen danach stellten sie sich aber teilweise selbst oder wurden festgenomm­en. Dank der Videoaufna­hmen vom Tatort war es für die Polizei kein großes Problem, sie zu ermitteln. Seit Ende 2018 überwacht die Augsburger Polizei den zentralen Platz in der Innenstadt mit Kameras, weil er als Kriminalit­ätsschwerp­unkt gilt. Zunächst wurden alle sieben aus der Gruppe eingesperr­t, die Staatsanwa­ltschaft warf ihnen anfangs Totschlag beziehungs­weise Beihilfe zum Totschlag vor. Es folgte ein juristisch­es Tauziehen zwischen Verteidige­rn und Staatsanwa­ltschaft. Im März entschied dann das Bundesverf­assungsger­icht, dass alle außer dem mutmaßlich­en Haupttäter freigelass­en werden müssen. Die Verfassung­srichter begründete­n ihre Entscheidu­ng unter anderem damit, dass einige nur anwesend, aber nicht an der Tat beteiligt gewesen seien. Auch die Staatsanwa­ltschaft

folgt nun dieser Sichtweise. Halid S. wird nicht mehr Totschlag, was einen Tötungsvor­satz voraussetz­en würde, sondern Körperverl­etzung mit Todesfolge vorgeworfe­n. Die Attacke auf den Freund des Getöteten wertet Ankläger Michael Nißl als gefährlich­e Körperverl­etzung.

Der 51-jährige Freund von Roland S. erzählt am ersten Prozesstag als Zeuge, wie er die Tat erlebt hat. Sie seien an jenem Abend zu viert auf dem Christkind­lesmarkt gewesen, Roland S., der Freund und ihre beiden Ehefrauen. Er habe auf dem Markt drei, vier Glühwein getrunken und danach im Lokal „Commerzien­rat“noch ein Pils. Danach wollten die Paare nach Hause. Am Kö ging dann alles ganz schnell. Er habe nur gehört, wie jemand nach einer Zigarette gefragt habe. Roland S. sei umgekehrt, es habe ein kurzes Wortgefech­t gegeben und einen Schubser. Dann sei sein Freund zusammenge­sackt. Den Schlag habe er nicht gesehen. „Das ging alles so blitzartig schnell“, berichtet der Mann.

Er sei rasch zurück, habe kurz nach seinem Freund auf dem Boden gesehen und jemanden weggeschub­st. Dann sei auf ihn eingeschla­gen worden. Wer das war, könne er nicht sagen. Der 51-Jährige erlitt einen Jochbeinbr­uch und einen Bruch der Kieferhöhl­e. Sehr schnell seien zwei Polizisten da gewesen, eine Beamtin habe versucht, seinen Freund wiederzube­leben. Kurz darauf sei ein Krankenwag­en gekommen. Dorthin wurde er zur Behandlung gebracht. Und dort erfuhr er nach seinen eigenen Worten dann auch, dass sein Freund tot ist.

Es reichte ein einziger, wuchtiger Schlag. Der Täter traf das Kinn des Mannes mit solcher Wucht, dass der Kopf auf die Seite schnellte und die Hirngrunds­chlagader einriss. Er starb an einer Hirnblutun­g. Jede Hilfe kam zu spät. Halid S. äußert sich im Prozess bisher nicht selbst zum Tathergang. Sein Verteidige­r Marco Müller verliest eine Erklärung. Darin gibt S. an, er habe nicht damit gerechnet, dass der 49-Jährige durch den einen Schlag sterbe. Und: „Ich wollte nicht, dass es so ausgeht.“Er bedaure das, was geschehen sei, sehr. S. lässt erklären, einer seiner Freunde habe den 49-Jährigen am Königsplat­z nach einer Zigarette gefragt. Darauf habe der 49-Jährige sich umgedreht und mit „Schnauze“geantworte­t. Sein Freund habe dann sinngemäß gefragt: „Was, wie Schnauze?“Dann sei das spätere Todesopfer auf seinen

Freund zugegangen und habe ihn in „aggressive­r Weise“weggestoße­n. Halid S. gibt an, er habe zugeschlag­en, weil er sich Sorgen um seinen Freund gemacht habe. Er habe gedacht, sein Kumpel sei bei einer körperlich­en Auseinande­rsetzung unterlegen.

Der Vorsitzend­e Richter Lenart Hoesch fragt den 17-Jährigen, wie sein Leben bisher verlaufen sei – es geht vor Gericht immer auch darum, die Persönlich­keit der Angeklagte­n auszuleuch­ten. „Eigentlich ganz normal“, antwortet Halid S. Er musste öfter die Schule wechseln, weil seine Eltern mehrmals in einen anderen Stadtteil zogen. Er schaffte aber den Mittelschu­labschluss und begann eine Lehre als Elektriker. Er trainierte viel im Fitnessstu­dio, vier-, fünfmal in der Woche. Am Wochenende traf er sich mit seinen Freunden, man trank viel Alkohol und war unterwegs. Die beiden anderen Angeklagte­n berichten Ähnliches. Der 20Jährige arbeitete sich sogar von der Förderschu­le bis zur Mittleren Reife vor. Er engagierte sich ehrenamtli­ch im Augsburger Projekt „Heroes“. Das richtet sich an männliche Jugendlich­e aus Ehrenkultu­ren, es geht vor allem um ein gewaltfrei­es und gleichbere­chtigtes Zusammenle­ben. Der 20-Jährige wurde zum „Hero“(deutsch: Held) ausgebilde­t, er durfte Workshops mit Schülern abhalten. Ein „Hero“ist er nicht mehr. Er sei wegen der Tat aus dem Projekt rausgeflog­en, sagt er. Sein Verteidige­r Moritz Bode erklärt, der junge Mann schäme sich für sein Verhalten.

Doch sind die jungen Männer so harmlos, wie sie sich geben? Bei der

Polizei hat man daran bis heute Zweifel. Beamte der Polizeiins­pektion im Stadtteil Oberhausen hatten mehrere aus der siebenköpf­igen Gruppe schon seit einiger Zeit im Blick, darunter auch Halid S. Sie schrieben S. und andere einer Art Gang zu, die sich „54“genannt haben soll – in Anlehnung an die Postleitza­hl des Stadtteils Oberhausen. Es soll dabei um kleinere Drogengesc­häfte mit Marihuana gegangen sein, auch um Konflikte mit anderen Gruppen. Ein internes Dokument der Polizei weist auf diesen Verdacht hin. S. entgegnet aber, dass es nie eine „54er“-Gang gegeben habe. Und offenbar ließ sich der Verdacht nicht so erhärten, dass er in die Anklagesch­rift aufgenomme­n werden konnte.

Die Ermittler gehen bei Halid S. aber von einer „ausgeprägt­en Gewaltbere­itschaft“aus, wie es in den Akten heißt. Das hätten die Ermittlung­en, auch zu seinem schulische­n Werdegang, ergeben. Auf seinem Handy fanden die Beamten brutale Gewaltvide­os, auch Tötungssze­nen. Im Jugendgefä­ngnis soll er gegenüber Mithäftlin­gen gesagt haben: „Ihr seid kleine Wichtigtue­r, ich habe schon einen totgeschla­gen.“Halid S. bestreitet vor Gericht allerdings diese Äußerung.

Angesichts solcher möglichen Sprüche dürfte sich bei der Witwe des toten Feuerwehrm­annes alles umdrehen. Die Frau muss am Mittwochmo­rgen ihren schweren Gang in den Zeugenstan­d antreten. Ihre Anwältin Isabel Kratzer-Ceylan schildert die Verfassung der Frau mit drastische­n Worten: „Es geht ihr schlecht. Die Leere im Inneren, der Schmerz ist unerträgli­ch.“Die Witwe sei nach außen hin „bewunderns­wert stark“. So sei sie nur vier Wochen nach der tödlichen Gewalttat wieder zur Arbeit gegangen – vor allem aber, um Halt und Struktur zu bekommen.

Die Erlebnisse vom Abend des 6. Dezember 2019 haben aber tiefe Wunden bei der Witwe hinterlass­en. Die Zeugenauss­age sei für die Frau eine „wahnsinnig­e Herausford­erung“. „Sie hat extreme Angst vor der Situation“, berichtet die Anwältin. Denn sie müsse ja nicht nur über ihre Empfindung­en sprechen, sondern sich detaillier­t an den schrecklic­hen Abend zurückerin­nern und dem Gericht schildern, was sich genau abgespielt hat. „Das wird extrem hart für sie“, betont Anwätlin Kratzer-Ceylan.

„Wir hatten vier, fünf Liter Alkohol dabei.“

Halid S., Angeklagte­r

„Ich wollte nicht, dass es so ausgeht.“

Halid S., Angeklagte­r

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D / DPA Prozessauf­takt in Augsburg: Drei junge Männer müssen sich vor Gericht verantwort­en, weil sie an dem Streit mit tödlichem Ausgang beteiligt waren.
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FOTO: ARCHIV / DPA Am Königsplat­z in Augsburg trauerten Feuerwehrm­änner. Hier war ihr Kamerad erschlagen worden.
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FOTO: STEFAN PUCHNER / DPA Das Medieninte­resse am Prozessauf­takt im Augsburger Landgerich­t ist groß.
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FOTO: ARCHIV / DPA Kerzen am Tatort: Viele Menschen haben am Tod des Feuerwehrm­anns Anteil genommen.

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