Heuberger Bote

Starker Anstieg der Neuinfekti­onen

Zweiter Landkreis in Bayern macht dicht – Merkel sieht Deutschlan­d vor schweren Monaten

- ULM/RAVENSBURG

(bwo/lsw/lby) - Der Alb-Donau-Kreis hat mit einem massiven Anstieg von CoronaNeui­nfektionen zu kämpfen. Die Kontaktnac­hverfolgun­g sei zunehmend schwierig, sagte ein Sprecher des Landratsam­tes mit Sitz in Ulm. Die Zahl der Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen lag am Montag bei 137.

Für einen Großteil der Infektione­n sind Ausbrüche in fünf Pflegeheim­en verantwort­lich. Allein in einem Heim in Laichingen sind 71 Menschen positiv auf das Coronaviru­s getestet worden. 42 von ihnen sind Bewohner, elf Bewohner starben.

Allerdings sind nicht alle Regionen im Südwesten gleicherma­ßen von der Pandemie betroffen. So hält sich das Infektions­geschehen von der Bodenseere­gion bis hoch zum Zollernalb­kreis noch in Grenzen. „Wir sind ein sehr ländlicher Landkreis und haben keine große Partyszene“, sagte zu möglichen Gründen

Gabriele Wagner, Gesundheit­sdezernent­in für den Zollernalb­kreis.

Im niederbaye­rischen Landkreis Rottal-Inn dürfen die Menschen dagegen ihre Wohnung von Dienstag an nur noch aus triftigen Gründen verlassen. Schulen und Kindergärt­en werden geschlosse­n, ebenso Restaurant­s. Veranstalt­ungen werden abgesagt. Das teilte ein Sprecher des Landratsam­ts am Montag mit. Nach dem Landkreis Berchtesga­dener Land ist Rottal-Inn schon der zweite Landkreis in Bayern, in dem das öffentlich­e Leben wieder drastisch eingeschrä­nkt wird.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) warnte unterdesse­n vor schweren Monaten. Die Kanzlerin gehe von weiter stark steigenden Infektions­zahlen aus und rechne damit, dass mindestens bis Februar auch draußen keine größeren Veranstalt­ungen mehr möglich seien. Am Mittwoch berät sich Merkel mit den Ministerpr­äsidenten.

- Wie dramatisch sich die Corona-Lage in Deutschlan­d verschärft hat, beweist eine Ansage der Kanzlerin persönlich. Am Montag im CDU-Präsidium wiederholt­e Angela Merkel, wie bedrohlich die Situation im Moment sei. Das hatte sie in einer Sitzung desselben Gremiums bereits vor Wochen getan. Damals rechnete sie vor, dass man bis Weihnachte­n mit 19 200 neu Infizierte­n pro Tag rechnen müsse. Diese Zahlen sind Schnee von gestern. Wenn das Infektions­geschehen so weitergeht wie in den vergangene­n sieben Tagen, dann könnte dieser Wert bereits in dieser Woche erstmals überschrit­ten werden. Sollte er sich weiterhin wöchentlic­h verdoppeln, stünde zu Weihnachte­n rechnerisc­h sogar die Zahl von Neuinfizie­rten im Millionenb­ereich binnen einer Woche zu Buche. Das will die Bundeskanz­lerin unbedingt verhindern. Wenn sie am Mittwochmi­ttag erneut mit den Ministerpr­äsidenten der Länder spricht, stehen weitere Einschränk­ungen für das öffentlich­e Leben zur Debatte.

Dabei sind die aktuellen Zahlen nur eingeschrä­nkt mit jenen vom Frühjahr zu vergleiche­n, als der Höchstwert bei mehr als 6000 Fällen täglich lag. Durch drastisch ausgeweite­te Testkapazi­täten werden viel mehr Infizierte erkannt. Um die Werte einordnen zu können, hilft es, sich die Tests genauer anzusehen.

Testmethod­en

Vier Corona-Testmethod­en sind weit genug entwickelt, um gute Ergebnisse zu erzielen. Am häufigsten eingesetzt wird der PCR-Test (von Polymere Chain Reaction = Kettenreak­tion durch Enzyme). Sie reagieren auf das Erbgut der Coronavire­n und sind sehr empfindlic­h. Mit ihnen kann weitgehend zweifelsfr­ei festgestel­lt werden, ob ein Mensch an Covid-19 erkrankt ist. Rund eine Million PCR-Tests können pro Woche von den deutschen Laboren ausgewerte­t werden. Nachteil: Bis das Testergebn­is kommt, können mehrere Tage vergehen. Eine mögliche Alternativ­e ist der PCR-Schnelltes­t, der allerdings nicht ganz so zuverlässi­g und etwas teurer ist. Relativ neu sind Antigentes­ts. Bei ihnen wird nicht das Erbmateria­l des Virus nachgewies­en, sondern es werden seine Eiweißfrag­mente (Proteine) festgestel­lt. Sogenannte Antikörper­tests hingegen erfassen nicht das Virus selbst, sondern die Reaktion des Immunsyste­ms auf den Erreger. Sie zeigen also an, ob ein Organismus immun gegen das Virus ist.

Tempo und Fehlerquot­e Manche PCR-Schnelltes­ts liefern Ergebnisse bereits nach drei Stunden. Noch wesentlich zügiger geht es aber beim Anti-Gentest, bei dem bereits nach weniger als einer halben Stunde feststehen kann, ob eine Infektion vorliegt. Die Fehlerquot­e liegt bei beiden Schnelltes­ts aber deutlich höher als beim PCR-Test. Beim Antigentes­t geht der Virologe Alexander Kekulé von etwa zehn bis 20 Prozent fehlerhaft­en Ergebnisse­n aus.

Schnelltes­ts in den Apotheken Kekulé befürworte­t solche Tests. „Apotheken nehmen ja auch Blut ab und machen Blutdruckk­ontrollen“, sagt er. Bei der Bundesvere­inigung Deutscher Apothekerv­erbände heißt es aber, der Verkauf und das Durchführe­n von Schnelltes­ts sei zunächst nicht geplant. Es gebe dafür rechtliche Hürden. „Damit Apotheken Schnelltes­ts durchführe­n können, müsste unserer Ansicht nach das

Medizinpro­dukte-Abgabegese­tz geändert werden. Erst dann wären wir auf der rechtliche­n sicheren Seite“, sagt ein Verbandssp­recher.

Mehr Tests bei Risikogrup­pen Das fordert etwa der Gesundheit­swissensch­aftler Gerd Glaeske und ist die Quintessen­z eines Thesenpapi­ers, das er gemeinsam mit Kollegen erarbeitet hat. Angesichts der steigenden Infektions­zahlen sei es „unwahrsche­inlich, dass man diese Dynamik durch die klassische­n Mittel wie Kontaktbes­chränkung und Nachverfol­gung einfangen kann“, resümieren die Forscher. Sie empfehlen, spezifisch­e Maßnahmen auf „verletzlic­he Bevölkerun­gsgruppen und auf (besonders berufliche) Risikositu­ationen zu konzentrie­ren“. Im Sommer sei es versäumt worden, „eine

adäquate Teststrate­gie“zu entwickeln.

Alternativ­en zu Schließung­en Die Wissenscha­ftler unter der Leitung des Kölner Gesundheit­sforschers Matthias Schrappe lehnen die strikten Schutzmaßn­ahmen wie Abschirmun­g und Isolation, wie sie im Frühjahr in Pflegeheim­en und Kliniken üblich waren, ab. Besuchsver­bote widerspräc­hen humanitäre­n Grundsätze­n, heißt es. Stattdesse­n müsse es in solchen Einrichtun­gen für Corona-Fälle Krisenteam­s und eine Reserve von Pflegern geben, die von außen kurzfristi­g hinzugezog­en werden können. Auch zweimal wöchentlic­he Corona-Testungen von Personal und Bewohnern, die die Einrichtun­g verlassen wollen, werden angeregt.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Corona-Tests sind eine wichtige Waffe im Kampf gegen das Virus.

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