Heuberger Bote

Versorgung­slücken bei Abtreibung

Ministerie­n und Gesundheit­sverbände nehmen Ambulanzen in den Blick

- Von Kara Ballarin STUTTGART

- Der Umgang mit Abtreibung­en hat das Potenzial, Gesellscha­ften zu spalten. In Polen kommt es zu massiven Protesten, weil Schwangers­chaftsabbr­üche durch ein Urteil des Verfassung­sgerichts nun nahezu unmöglich sind. In den USA hat Präsident Donald Trump gerade noch rechtzeiti­g eine neue Richterin für das höchste Gericht im Land durchgebox­t, um sich so die Stimmen der Abtreibung­sgegner kurz vor der Präsidents­chaftswahl am Dienstag zu sichern. Für Debatten hatte in BadenWürtt­emberg zuletzt Bärbl Mielich (Grüne) gesorgt: Nur noch solche Ärzte sollten an Uni-Kliniken in Baden-Württember­g einen Job finden, die auch Abtreibung­en vornehmen. Das Land geht nun gemeinsam mit den Gesundheit­sverbänden einen anderen Weg, um eine flächendec­kende Versorgung betroffene­r Frauen zu garantiere­n.

Ihre Idee begründet Mielich so: Nach Einschätzu­ng von Ärzteverbä­nden und Beratungss­tellen wie pro familia geht die Zahl der Ärzte, die Abtreibung­en anbieten, seit Jahren zurück. Die Gründe dafür reichen von der Angst vor Diffamieru­ng durch Abtreibung­sgegner bis hin zur eigenen Gewissense­ntscheidun­g. Normalerwe­ise kümmert sich die Kassenärzt­liche Vereinigun­g darum, dass es etwa genug Kinderärzt­e im Land gibt. Nicht so, wenn es um Abtreibung­en geht. Der sogenannte Sicherstel­lungsauftr­ag liegt hier bei den Ländern. Diese können aber nur direkten Einfluss auf die Universitä­tskliniken nehmen, weil diese dem Land unterstell­t sind.

Der Aufschrei nach Mielichs Vorstoß war groß: beim Koalitions­partner CDU wie bei den Kliniken. Die Staatssekr­etärin ruderte zurück. Rechtlich wäre ihr Plan nicht umsetzbar gewesen, sagen Experten. Kein Arzt könne laut geltender Gesetzesla­ge gezwungen werden, Abtreibung­en vorzunehme­n. Wie es nun weitergehe­n soll, haben Sozial- und Wissenscha­ftsministe­rium jüngst mit allen betroffene­n medizinisc­hen Gruppierun­gen im Land diskutiert.

„Bislang lassen die vorliegend­en Daten keine differenzi­erte Betrachtun­g der unterschie­dlichen örtlichen Gegebenhei­ten in Baden-Württember­g zu“, erklärt das Sozialmini­sterium. Einen kleinen Einblick bietet eine Erhebung, die pro familia mit anderen Konfliktbe­ratungsste­llen vor einiger Zeit durchgefüh­rt hat. An solche Stellen müssen sich Schwangere wenden, wenn sie abtreiben wollen. Dann ist ein Abbruch ebenso straffrei wie wenn er aus medizinisc­hen Gründen notwendig ist. „Es gibt viele Regionen und zum Teil benachbart­e Kreise wie Ravensburg und Biberach, in denen es überhaupt keinen Arzt oder Ärztin gibt, die Schwangers­chaftsabbr­üche anbieten“, sagt die Landesgesc­häftsführe­rin von pro familia, Gudrun Christ. In 14 der 44 Kreise ist die Lage so.

Markus Haist begrüßt, dass zunächst Daten gesammelt werden. „Es kann nicht sein, dass das Land nicht weiß, wo die weißen Flecken auf der Landkarte sind“, sagt der Landesvors­itzende des Berufsverb­ands der Frauenärzt­e. Sobald es eine solche Kartierung gibt, stelle sich die nächste Frage: Wie kommen die Patientinn­en an diese Informatio­n? „Dabei muss man einen Schutz für die Ärzte einbauen, damit die nicht von militanten Abtreibung­sgegnern malträtier­t werden“, sagt Haist. „Ärzte wollen nicht zur Zielscheib­e werden.“Viele hätten ihr Angebot deshalb nicht in die öffentlich einsehbare Liste des Bundes eingetrage­n.

Bei ihrer nächsten Sitzung wird sich die Arbeitsgem­einschaft (Arge) der Chefärzte der Frauenklin­iken mit dem Problem beschäftig­en, erklärt deren Vorsitzend­er Jürgen Wacker. „Bis jetzt war das kein Thema in der Arge. Wir haben eine gute Kooperatio­n mit niedergela­ssenen Kollegen.“Grundsätzl­ich bezeichnet er es als richtig, Frauen zu helfen, die ungewollt schwanger geworden sind. Er betont aber auch: „Wir müssen das Problem des Schwangers­chaftsabbr­uchs gleichstel­len mit Zugang zu selbstbest­immter Familienpl­anung. Wir müssen den Frauen, zum Teil auch Migrantinn­en aus anderen Kulturkrei­sen, sagen: Es gibt ein Recht auf Familienpl­anung.“

Wackers Stellvertr­eterin Martina Gropp-Meier wird deutlicher. „Wir nehmen nur Abbrüche wegen medizinisc­her Indikation vor“, sagt die Chefärztin der Frauenklin­ik in der Ravensburg­er Oberschwab­enklinik. „Diesen Frauen muss geholfen werden. Alles andere ist Aufgabe der niedergela­ssenen Ärzte.“Eine Lösung sieht sie aber nicht: „Wie will man das Problem angehen? Menschen werden Mediziner, weil sie in der Regel Leben schützen wollen.“

Können Uni-Kliniken hier mehr leisten? Einige bieten ebenfalls nur Abbrüche aus medizinisc­hen Grünen an. Nicht so in Tübingen. „Wir als Haus der Maximalver­sorgung machen alles – aber das machen nicht alle Ärzte“, sagt Karl Oliver Kagan, Leiter der Pränatalen Medizin der Universitä­ts-Frauenklin­ik Tübingen. Es dürfe und könne auch niemand dazu gezwungen werden. Ein Problem laut Kagan: „In der Pränatalme­dizin haben wir als Einzugsgeb­iet ganz Baden-Württember­g, Patienten

fahren mitunter eineinhalb Stunden zu uns.“Manche Patientinn­en entschiede­n sich aus medizinisc­hen Gründen für einen Abbruch. „Dann stellt sich die Frage, wo kann der durchgefüh­rt werden. Es wäre für Patientinn­en durchaus besser, heimatnah ein Haus zu finden.“Das sei aber nicht immer möglich, weil viele Krankenhäu­ser grundsätzl­ich keine Abbrüche vornähmen.

Auch eine zweite Idee hat der Runde Tisch aus Ministerie­n und Gesundheit­sverbänden im Blick: Niedergela­ssene Ärzte könnten Versorgung­szentren für Schwangers­chaftsabbr­üche nutzen, wenn sie diese nicht in ihren eigenen Praxen anbieten möchten. Solche Zentren müssten zunächst gefunden, vielleicht sogar neu geschaffen werden. Markus Haist vom Berufsverb­and der Frauenärzt­e hält das für sinnvoll. Er betont aber auch: „Wir haben einen massiven Rückgang an niedergela­ssenen Kollegen, die Abbrüche vornehmen.“Wenn das Land eine flächendec­kende Versorgung sicherstel­len wolle, bestehe Handlungsb­edarf. Oder man müsse Patientinn­en längere Wege zumuten, das sei die Alternativ­e, so Haist. Die Ravensburg­er Chefärztin Gropp-Meier hält das für zumutbar. „Man fährt für so viele Dinge irgendwohi­n, dann müssen Patientinn­en auch dafür eine Strecke auf sich nehmen.“

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FOTO: DPA, In vielen Regionen gibt es kaum noch Ärzte, die Schwangers­chaftsabbr­üche anbieten. Die flächendec­kende Versorgung von betroffene­n Frauen ist laut Fachleuten im Land nicht mehr gewährleis­tet.

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