Verständigung steht auf wackligen Füßen
Am zweiten Prozesstag werden Leben der Angeklagten durchleuchtet
- Mit Geständnissen hat vergangene Woche der zweite Prozesstag gegen drei junge Männer aus Tuttlingen geendet. Sie müssen sich wegen schwerer Erpressung und zahlreicher anderer Delikte in unterschiedlicher Besetzung vor dem Landgericht Rottweil verantworten. Zuvor hatten sich Strafkammer, Staatsanwalt und die Verteidiger hinter verschlossenen Türen auf eine „Verständigung“geeinigt (siehe Infokasten).
Karlheinz Münzer, der Vorsitzende Richter, erklärte bereits zu Beginn, dass nach Ansicht des Gerichts statt „besonders schwerer Erpressung“, wie in der Anklageschrift festgestellt, auch ein „minderschwerer Fall“in Betracht komme.
Auf der Anklagebank sitzen drei gescheiterte Existenzen, alle drei ohne Berufsabschluss, alle drei mit Drogenproblemen, alle drei schon mehrere Jahre in Gefängnissen, alle drei mit osteuropäischem Migrationshintergrund und alle drei sind bisher völlig an der Integration gescheitert.
Die drei Täter
Da ist ein inzwischen 29-Jähriger, in Sigmaringen aufgewachsen, der berichtet, er habe bereits mit elf Jahren begonnen Alkohol und mit 15 Jahren Heroin zu konsumieren. Gearbeitet habe er bisher noch nie im Leben, dafür saß er sechs Jahre in Gefängnissen. Sein Vater sei Alkoholiker und zeitweise wohnungslos gewesen.
Neben der Erpressung gestand er auch mehrere Serien-Diebstähle in zahlreichen Geschäften der Tuttlinger Innenstadt, „um so seinen Lebensunterhalt zu bestreiten“, wie der Staatsanwalt erklärte.
Gemäß der „Verständigung“ist dafür ein Strafrahmen zwischen zwei Jahren und drei Monaten bis zu drei Jahren vereinbart.
Der zweite Haupttäter, 37 Jahre alt, ist in Lettland aufgewachsen, war dort verheiratet, hat mit seiner Frau zwei Kinder und ist 2015 nach Deutschland zu seiner Freundin gezogen. Schon seine Eltern waren Alkoholiker, sagt er, und auch er ist längst dem Alkohol und dem Rauschgift verfallen. Deutsch spricht er allenfalls in Wortfetzen, alle Versuche des gelernten Schweißers, eine Stelle zu finden, seien gescheitert.
Er hat neben der Erpressung unter anderem ein Auto aus Rache angezündet und bei einer Blutprobe einen Polizisten verletzt. Außerdem ist er in einen Supermarkt und einen Elektromarkt eingebrochen. Dafür ist ein Strafrahmen von drei Jahren bis drei Jahren und neun Monaten vorgesehen.
Der dritte Angeklagte, in Kasachstan geboren und in Deutschland aufgewachsen, hat vieles angefangen, aber alles vorzeitig abgebrochen: Von der Schule über die Ausbildung und eine Drogen-Therapie bis hin zur Führerschein-Prüfung. Auch er verbrachte sechs Jahre in Haft. Mit seiner Freundin hat er eine fünfjährige Tochter; beide verfolgen die gesamten Prozesstage auf den Zuhörer-Bänken. Für ihn ist ein Strafrahmen von einem Jahr und zehn Monaten bis zwei Jahre und sieben Monate vereinbart.
Alle drei Angeklagten gestanden, am 22. November 2019 einen Bekannten erpresst zu haben, weil er ihnen noch 150 Euro für einen Heroin-Deal in der Tuttlinger Bahnhofstraße schuldig war. Sie schlugen mit Gegenständen und Fäusten auf ihn ein, sodass er eine Gehirnerschütterung, Platzwunden sowie Prellungen an Kopf und Körper erlitt und nahmen alles mit, was ihnen wertvoll erschien.
Die Angeklagten gestanden alles, versuchten dann aber plötzlich, ihre Taten zu relativieren und mussten von ihren Verteidigern ermahnt werden. Trotzdem stellte Richter Münzer die „Verständigung“in Frage: „Da wird der Begriff des qualifizierten Geständnisses arg strapaziert!“
Auch deshalb ist noch eine Beweisaufnahme notwendig. Als erste Zeugen bestätigten dabei mehrere Polizeibeamte die Vorwürfe des Staatsanwalts.