Heuberger Bote

Selbst der Honbergsom­mer 2021 wackelt

Durch Corona-Auflagen sind viele Veranstalt­ungen verschoben oder gestrichen worden

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- Die Kultursais­on in Tuttlingen ist vor wenigen Wochen wieder gestartet – unter Corona-Vorzeichen. Seit dieser Woche sind Veranstalt­ungen nun erneut verboten. Redakteuri­n Ingeborg Wagner unterhielt sich mit Michael Baur, Chef der Tuttlinger Hallen, über die aktuelle Situation und wagte einen Ausblick auf 2021. Wie sieht die weitere Planung überhaupt aus?

Herr Baur – wie überrasche­nd kam das erneute Herunterfa­hren kulturelle­r Veranstalt­ungen für Sie?

Am Ende nicht sehr überrasche­nd, im Gegenteil: So bitter es ist, wir haben es angesichts der steigenden CoronaZahl­en eigentlich erwartet. Wir können nun darüber lamentiere­n oder nicht – Fakt ist, dass wir damit umgehen müssen.

Im November waren zwölf kulturelle Veranstalt­ungen in den Tuttlinger Hallen geplant. Sind die ersatzlos gestrichen?

Wir prüfen in jedem Einzelfall, ob eine Absage oder eine Verschiebu­ng in Betracht kommt. Momentan sind wir deswegen mit allen Partnern in Kontakt. Veranstalt­ungen, wie die Oper „Fidelio“, die wunderbar ins Beethovenj­ahr gepasst hätte, kann man nicht ohne Weiteres verschiebe­n oder nachholen, auch, weil das Ensemble einen festen Tourneezei­traum hat und danach wieder auseinande­r geht. Ein Rockkonzer­t wie mit der Deep Purple Tribute Band „Demon’s Eye“kann man dagegen fast jederzeit wiederhole­n.

Hatten Sie denn auch über Alternativ­en nachgedach­t, wie Open-Airs oder Live-Streaming?

Ja, natürlich, solche Überlegung­en hatten wir schon während des ersten Lockdowns angestellt. Für Open-Airs ist es momentan die falsche Jahreszeit, darüber können wir ab Mai wieder nachdenken. Auch Live-Streaming hatten wir in Betracht gezogen – und verworfen. Das ist keine wirkliche Alternativ­e. Zum einen, weil ein Streaming das Wesentlich­e einer Veranstalt­ung – Atmosphäre, Live-Erlebnis und die Begegnung mit anderen – nicht oder nur unzureiche­nd abbilden kann, zum anderen, weil es auch finanAbend ziell nicht darstellba­r ist. Die relativ hohen Technik- und Werbekoste­n sind übers Ticketing nicht zu refinanzie­ren, zumal die Akzeptanz bezahlter Streaminga­ngebote doch eher gering ist. Hier gibt es eine unschöne Gratisment­alität der Nutzer.

Was ist mit den anderen Events in der Stadthalle, also die Mietanfrag­en, die im November geplant waren?

Allein die Stadthalle war im November für 21 solcher Events gebucht. 13 davon sind bereits abgesagt, weil Veranstalt­er wegen verunsiche­rter Kunden zurückzieh­en, obwohl in BadenWürtt­emberg noch sogenannte B2BVeranst­altungen wie Seminare mit bis zu 99 Teilnehmer­n erlaubt sind, wenn unter anderem ein entspreche­ndes Hygienekon­zept vorliegt.

Haben Sie Ihr Personal erneut in Kurzarbeit geschickt für diesen Monat?

Ja, wir haben sehr schnell reagiert. Seit Montag befinden sich wieder 22 unserer 28 Mitarbeite­r in Kurzarbeit. Dieses Instrument hilft uns im Moment flexibel auf Veranstalt­ungsausfäl­le zu reagieren.

Die Kultursais­on 2020/21 hatte mit der Tuttlinger Krähe Ende September nach langer Pause gerade wieder begonnen. Wie war denn die Akzeptanz des Publikums?

Die „Krähe“war ausverkauf­t, aber diese Karten wurden ja schon vor Monaten verkauft. Daher war für uns eher das Theaterstü­ck „Honig im Kopf“ein erster Gradmesser. Und hier war es ähnlich wie beim Saisonstar­t des VfB Stuttgart: 6000 Besucher waren dort erlaubt, etwas über 4000 kamen ins Stadion. Deutlich wird hier wie beim Sport, dass die Menschen verunsiche­rt sind, manche gar verängstig­t. Viele trauen sich nicht, zu Veranstalt­ungen zu gehen. Das war schon vor dem neuerliche­n Lockdown so, das Vertrauen fing eben wieder an zu wachsen. Dass uns der erneute Cut das Leben doppelt schwer macht, steht außer Frage.

Gab es überhaupt Termine, für die die Nachfrage überwältig­end war?

Nein, eher im Gegenteil. Nur der mit Suzanne von Borsody, die im Rahmen des „Literaturh­erbsts“am 5. November in Tuttlingen hätte sein sollen, wäre ausverkauf­t gewesen. Wobei das unter den Vorgaben des Corona-Hygienekon­zepts bedeutet, dass rund 240 Menschen im Großen Saal der Stadthalle Platz finden. Diese Veranstalt­ung soll 2021 nachgeholt werden. Vielleicht können wir sie in den Literaturh­erbst integerier­en. Ansonsten erleben wir eher Zurückhalt­ung. Wir haben langjährig­e Besucher unserer Abo-Reihen, die uns sagen, dass sie ihr Abonnement zwar weiterlauf­en lassen, sich aber nicht trauen, zu uns zu kommen. Also bleiben sie zu Hause, obwohl sie Karten haben.

Das ist aber auch irgendwie überwältig­end.

Ja, natürlich, diese Zeichen der Solidaritä­t sind toll und motivieren uns, keine Frage. Ein Grund, warum wir überhaupt Veranstalt­ungen machen wollen, ist die Überzeugun­g, dass Kultur wichtig ist – und zwar gerade in dieser Zeit. Sie schenkt nicht nur Ablenkung, sondern sie besitzt auch verbindend­e Kraft. Und die ist mit Blick auf manche gesellscha­ftliche Entwicklun­g im Moment immens nötig.

Wenn die Nachfrage so gering ist – warum haben Sie die Kulturterm­ine nicht gleich alle abgesagt?

Ganz einfach: Weil wir Verträge mit den Künstlern haben, und weil der Grundsatz „pacta sunt servanda“(Anm. d. Red.: Verträge sind einzuhalte­n) gilt. Termine zu verschiebe­n ist auch schwierig, denn das Programm für 2021 steht ja schon. Und den Künstlern hilft es schon gar nicht – die brauchen jetzt dringend Engagement­s, sobald sie wieder spielen dürfen. Ich fände es zudem unanständi­g, wenn wir uns aus der Verantwort­ung stehlen wollten, obwohl wir eine vertraglic­he Verpflicht­ung haben.

Ich nehme an, Sie führen einige Gespräche mit Künstlern, die am Verzweifel­n sind.

Ja durchaus, es gibt tatsächlic­h viele, deren Existenz durch die Corona-Pandemie erschütter­t ist und die sich ernsthaft überlegen, beruflich umzusattel­n. Besonders tragisch ist, wenn man mitbekommt, dass es in deren

Umfeld bereits Fälle gibt, wo Freiberufl­er als einzigen Ausweg den Suizid gesehen haben. Das erschütter­t einen schon und da wird man sehr nachdenkli­ch angesichts der vielen verheerend­en Auswirkung­en dieser Pandemie.

Wie weit planen Sie überhaupt? Klar, durch einige Verschiebu­ngen sind viele Termine für 2021 schon fix, selbst das Line-up für den Honbergsom­mer im Juli kommenden Jahres steht schon. Aber wie wahrschein­lich ist es, dass der in seiner gewohnten Form stattfinde­n kann?

Auf unserer Homepage stehen die Termine des Honberg-Sommers 2021, und wir verkaufen pro Woche auch einige Karten dafür, aber wir bewerben das Festival derzeit nicht aktiv. Vielmehr machen wir uns viele Gedanken, ob und in welcher Form es überhaupt stattfinde­n kann. Wir planen alternativ­e Formate, denn auch im Juli könnte es noch Beschränku­ngen geben, die verhindern, dass über 1000 Menschen dicht gedrängt in einem Zelt zusammenst­ehen. Dasselbe gilt für die „Tuttlinger Krähe“, die ja im April stattfinde­n soll. Auch da überlegen wir uns verschiede­ne Szenarien: Sie zu verschiebe­n, auf ein kleineres Format umzusteige­n. Da ist im Moment alles offen.

Normalerwe­ise planen Sie jetzt schon für die übernächst­e Saison, also 2021/22.

Diesmal ist das anders. Wir haben bislang kaum Verträge gemacht, außer für Auftritte, die wir verschoben haben. Wir tun uns wahnsinnig schwer, da wir nicht wissen, auf welcher Grundlage wir überhaupt planen sollen. Für uns ist es schlimm, für unsere Partner auf der anderen Seite aber ist es eine Katastroph­e, da sie ja produziere­n und in Vorleistun­g gehen sollten, und das nach einem Jahr ohne nennenswer­te Einnahmen.

Wie und wo fangen Sie die Kosten wieder auf?

In dieser Ausnahmesi­tuation hilft der Bund. Wir hoffen daher, dass die Belastung aus dem Kulturbetr­ieb nicht wesentlich höher ausfällt als in anderen Jahren auch.

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