„Vor uns liegen turbulente Wochen“
Die USA halten Trumps Versuche aus, das Wahlergebnis anzufechten, glaubt CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter
- Wie geht es in den USA weiter, falls US-Präsident Donald Trump das Ergebnis der Wahl nicht anerkennen sollte? Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter setzt in diesem Fall auf eine Entscheidung durch unabhängige Gerichte. „Ich bin optimistisch, dass die USA stabil genug sind, um diesen Prozess, wenn er nötig werden sollte, zu überstehen“, sagt der Aalener Bundestagsabgeordnete. Um das transatlantische Verhältnis wieder auf eine bessere Basis zu stellen, erwartet er ein größeres Engagement von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.
Herr Kiesewetter, hat es Sie überrascht, dass das Wahlergebnis zu einer solchen Zitterpartie geworden ist und die Demoskopen wieder so daneben lagen?
Es zeigt sich, dass erneut die klassische Demoskopie versagt hat. Es gab sicherlich zutreffende Erhebungen für die gut angeschlossenen Gegenden im Westen und im Osten der USA. Aber Trump hat offensichtlich seine Klientel in den abgehängten, ländlichen Regionen der USA sehr viel stärker mobilisieren können als erwartet.
Wie erklären Sie, dass die Umfragen so falsch waren?
Es gibt mehrere Gründe: Zum einen funktionieren die Instrumente der empirischen Sozialforschung sicherlich in den Großstädten, aber nicht unbedingt in den dünn besiedelten ländlichen Räumen. Zum anderen haben diejenigen, die Trump letztlich gewählt haben, bei Umfragen vielleicht nicht immer die Wahrheit gesagt. Die Hoffnung, dass derjenige, der nicht spaltet, sondern versöhnt, schon aus dieser Einsicht heraus gewählt wird, war eben falsch.
Wie war Ihre Prognose zum Wahlausgang in den USA?
Ich war bis vor drei oder vier Wochen der Auffassung, dass Trump gewinnen wird, weil er durch seine Polarisierungen seine Wählerschichten extrem angesprochen hat. Wir haben in der US-Bevölkerung eine große Gruppe, die sich abgehängt und zurückgesetzt fühlt – und die lässt sich von ihm sehr leicht mobilisieren. Daran hat auch die CoronaPandemie mit mehr als 230 000 Toten nichts geändert. Im Gegenteil: Durch seine überstandene Infektion konnte er sogar noch den Anschein erwecken, als könnte man die Krise beherrschen. Joe Biden wirkte dagegen bei seinen Auftritten vergleichsweise gebrechlich, und er verkörpert die alte Ostküsten-Elite. Aber ich habe dann doch darauf gehofft, dass eine Mehrheit der Bürger von Trumps Zuspitzungen die Nase voll hat und zur Wahl geht.
Donald Trump hat sich noch während der Stimmauszählung zum erneuten Sieger der Wahl erklärt und gleichzeitig von Wahlbetrug gesprochen. Wie weit ist das weg von dem, was in einer Demokratie noch zulässig ist?
Es war ja von Politikexperten durchaus prognostiziert worden, dass Trump das Wahlergebnis nicht anerkennen wird, die Auszählungen verzögert, sich frühzeitig zum Wahlsieger erklärt – und dann die Gerichte entscheiden müssen. Ich baue nun auf die Gewaltenteilung in den USA, die „Checks and Balances“. Aber klar ist auch: Vor uns liegen turbulente Wochen. Sein undemokratisches Verhalten verstärkt auch seinen Ansehensverlust bei den wichtigsten, westlichen Bündnispartnern. Trump stellt sich auf eine Ebene mit Xi Jinping, Lukaschenko, Erdogan und Putin. Das Land USA ist zwar damit nicht vergleichbar, aber Trump schon, wenn er sich Wahlen zurechtbiegt.
Sind demokratische Spielregeln in einer Gesellschaft, die so gespalten ist wie in den USA, überhaupt noch durchsetzbar?
Ja, aber dazu braucht es eine unabhängige Gerichtsbarkeit. Wir können nur darauf hoffen, dass die Abgeordneten von Kongress und Senat ihre jeweilige persönliche Verbundenheit hintanstellen und die Gerichte anrufen, wenn Trump das Wahlergebnis tatsächlich nicht akzeptieren würde. Ich bin optimistisch, dass die USA stabil genug sind, um diesen Prozess, wenn er nötig werden sollte, zu überstehen.
Mehr als 230 000 Covid-Tote, große wirtschaftliche Herausforderungen und Unruhen im Land nach der Polizeigewalt gegen Schwarze: Wie erklären Sie, dass dennoch so viele US-Bürger für Trump gestimmt haben? Hat er Schokoseiten, die wir in Europa einfach nicht wahrnehmen?
Den großen Firmen in den USA hat Trump durch seine Handelspolitik geholfen und dadurch konnte er kurzzeitig Hunderttausende Arbeitsplätze in den USA halten. Und den Firmen ist es gelungen, den Mitarbeitern klarzumachen, wem sie das verdanken. Das ist zwar eine Pseudostärke, die aus Abgrenzung und Abschottung auf dem Weltmarkt resultiert, aber kurzfristig hat die Strategie funktioniert. Zudem geht er stark nach Zielgruppen vor. Er unterstützt die abgehängten Weißen, die Angst vor Überfremdung haben, und er fährt einen aggressiven antikommunistischen Kurs gegen Venezuela und Kuba, um die Hispanics, insbesondere in Florida, auf seine Seite zu ziehen. Dazu kommt, dass er es auch geschafft hat, sein Image als Opponent gegen die Etablierten zu erhalten – und ihm deshalb gewisse Fehlentwicklungen überhaupt nicht angelastet werden. Dass er dafür den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den USA an die Wand fährt, ist ihm egal. Ihm geht es darum, Präsident zu bleiben.
In den vergangenen vier Jahren wurde häufig über die schlechten deutsch-amerikanischen Beziehungen geklagt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass diese bereits vor Trump, schon unter US-Präsident Barack Obama, gelitten haben.
Ja, das stimmt. Obama war für uns vor allem eine Projektionsfläche des guten Amerikaners. Wir wollten nicht sehen, dass auch er sich aus dem Syrienkonflikt rausgezogen und somit Russland dort den Weg geebnet hat. Er hat auch in entscheidenden Abrüstungsverträgen wie dem INF-Vertrag über Mittelstreckenwaffen nicht genug Härte gezeigt. Und er hat wenig dazu beigetragen, dass die Amerikaner glaubwürdig die Umsetzung des Pariser Abkommens angehen, das dann von Trump ausgesetzt wurde. Aber in den USA hat er ganz anders gewirkt als Trump, indem er versucht hat, der US-amerikanischen Gesellschaft insgesamt Hoffnung und Perspektiven zu geben.
Und inwiefern hat Deutschland selbst dazu beigetragen, das Verhältnis zu den USA zu schwächen?
Deutschland argumentiert oft von einer sehr hohen moralischen Warte, was in Teilen auch gerechtfertigt ist. Aber auf der anderen Seite kommentieren wir mehr internationale Politik, als dass wir helfen, Krisen früh zu verhindern. Diese deutsche Zögerlichkeit wirkt sich in ganz verschiedenen Politikbereichen aus – beispielsweise in der Migrationspolitik, in der wir Länder wie Spanien, Italien und Griechenland am Abgrund stehen lassen und auf EU-Abkommen wie Schengen und Dublin verweisen. Wir sind das reiche Land in der Mitte, das sehr viel Geld in die soziale Sicherheit investiert, aber die äußere und innere Sicherheit andere finanzieren lässt. Dieses Verhalten hat Trump Deutschland zum Vorwurf gemacht, das hat uns aber auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Vorwurf gemacht. Und diese Vorwürfe sind nicht unberechtigt gewesen.
Was müsste passieren, um das transatlantische Verhältnis wieder auf eine bessere Basis zu stellen?
Zunächst müssten wir die Argumente der USA als berechtigt anerkennen. Und wir müssen die Gesprächskanäle zu den USA stärker nutzen – zu Politikern und Unternehmern. Aber weder ein EU-Kommissionschef Juncker noch eine Kommissionschefin von der Leyen haben begriffen, dass sie viel stärker auf die Vereinigten Staaten zugehen müssten, um zu zeigen: Wir Europäer stehen an eurer Seite. Stattdessen hat die EU europäisch-national einen „Greendeal“verabschiedet, ohne Andockstellen für eine transatlantische Zusammenarbeit oder die Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika. Das ist reine Nabelschau, die die EU gerade betreibt. Wenn sich wirklich etwas verändern soll, muss das die jetzige Kommissionspräsidentin aktiv anpacken.
Welche Erwartungen wären für Sie mit einem Präsidentenwechsel verbunden?
Ich erwarte mir eine Rückkehr an den Verhandlungstisch, um über all die strittigen Fragen zu sprechen, die sich in den vergangenen vier Jahren angestaut haben. Das reicht von dem Streit um die Verteidigungsabgaben bis zum Abzug der US-Soldaten in Deutschland. Joe Biden ist zwar in einem hohen Alter und sicherlich an den Grenzen seiner Belastbarkeit, aber er hat ein gutes Team hinter sich. Letztlich kommt es darauf an, dass an der Spitze der USA ein demokratisch legitimierter Präsident steht, der die Verfassung nicht aushöhlt, sondern für den Zusammenhalt steht. Das traue ich Biden mehr zu als Trump.