Heuberger Bote

„Vor uns liegen turbulente Wochen“

Die USA halten Trumps Versuche aus, das Wahlergebn­is anzufechte­n, glaubt CDU-Außenpolit­iker Roderich Kiesewette­r

- BERLIN Von Claudia Kling

- Wie geht es in den USA weiter, falls US-Präsident Donald Trump das Ergebnis der Wahl nicht anerkennen sollte? Der CDU-Außenpolit­iker Roderich Kiesewette­r setzt in diesem Fall auf eine Entscheidu­ng durch unabhängig­e Gerichte. „Ich bin optimistis­ch, dass die USA stabil genug sind, um diesen Prozess, wenn er nötig werden sollte, zu überstehen“, sagt der Aalener Bundestags­abgeordnet­e. Um das transatlan­tische Verhältnis wieder auf eine bessere Basis zu stellen, erwartet er ein größeres Engagement von EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen.

Herr Kiesewette­r, hat es Sie überrascht, dass das Wahlergebn­is zu einer solchen Zitterpart­ie geworden ist und die Demoskopen wieder so daneben lagen?

Es zeigt sich, dass erneut die klassische Demoskopie versagt hat. Es gab sicherlich zutreffend­e Erhebungen für die gut angeschlos­senen Gegenden im Westen und im Osten der USA. Aber Trump hat offensicht­lich seine Klientel in den abgehängte­n, ländlichen Regionen der USA sehr viel stärker mobilisier­en können als erwartet.

Wie erklären Sie, dass die Umfragen so falsch waren?

Es gibt mehrere Gründe: Zum einen funktionie­ren die Instrument­e der empirische­n Sozialfors­chung sicherlich in den Großstädte­n, aber nicht unbedingt in den dünn besiedelte­n ländlichen Räumen. Zum anderen haben diejenigen, die Trump letztlich gewählt haben, bei Umfragen vielleicht nicht immer die Wahrheit gesagt. Die Hoffnung, dass derjenige, der nicht spaltet, sondern versöhnt, schon aus dieser Einsicht heraus gewählt wird, war eben falsch.

Wie war Ihre Prognose zum Wahlausgan­g in den USA?

Ich war bis vor drei oder vier Wochen der Auffassung, dass Trump gewinnen wird, weil er durch seine Polarisier­ungen seine Wählerschi­chten extrem angesproch­en hat. Wir haben in der US-Bevölkerun­g eine große Gruppe, die sich abgehängt und zurückgese­tzt fühlt – und die lässt sich von ihm sehr leicht mobilisier­en. Daran hat auch die CoronaPand­emie mit mehr als 230 000 Toten nichts geändert. Im Gegenteil: Durch seine überstande­ne Infektion konnte er sogar noch den Anschein erwecken, als könnte man die Krise beherrsche­n. Joe Biden wirkte dagegen bei seinen Auftritten vergleichs­weise gebrechlic­h, und er verkörpert die alte Ostküsten-Elite. Aber ich habe dann doch darauf gehofft, dass eine Mehrheit der Bürger von Trumps Zuspitzung­en die Nase voll hat und zur Wahl geht.

Donald Trump hat sich noch während der Stimmauszä­hlung zum erneuten Sieger der Wahl erklärt und gleichzeit­ig von Wahlbetrug gesprochen. Wie weit ist das weg von dem, was in einer Demokratie noch zulässig ist?

Es war ja von Politikexp­erten durchaus prognostiz­iert worden, dass Trump das Wahlergebn­is nicht anerkennen wird, die Auszählung­en verzögert, sich frühzeitig zum Wahlsieger erklärt – und dann die Gerichte entscheide­n müssen. Ich baue nun auf die Gewaltente­ilung in den USA, die „Checks and Balances“. Aber klar ist auch: Vor uns liegen turbulente Wochen. Sein undemokrat­isches Verhalten verstärkt auch seinen Ansehensve­rlust bei den wichtigste­n, westlichen Bündnispar­tnern. Trump stellt sich auf eine Ebene mit Xi Jinping, Lukaschenk­o, Erdogan und Putin. Das Land USA ist zwar damit nicht vergleichb­ar, aber Trump schon, wenn er sich Wahlen zurechtbie­gt.

Sind demokratis­che Spielregel­n in einer Gesellscha­ft, die so gespalten ist wie in den USA, überhaupt noch durchsetzb­ar?

Ja, aber dazu braucht es eine unabhängig­e Gerichtsba­rkeit. Wir können nur darauf hoffen, dass die Abgeordnet­en von Kongress und Senat ihre jeweilige persönlich­e Verbundenh­eit hintanstel­len und die Gerichte anrufen, wenn Trump das Wahlergebn­is tatsächlic­h nicht akzeptiere­n würde. Ich bin optimistis­ch, dass die USA stabil genug sind, um diesen Prozess, wenn er nötig werden sollte, zu überstehen.

Mehr als 230 000 Covid-Tote, große wirtschaft­liche Herausford­erungen und Unruhen im Land nach der Polizeigew­alt gegen Schwarze: Wie erklären Sie, dass dennoch so viele US-Bürger für Trump gestimmt haben? Hat er Schokoseit­en, die wir in Europa einfach nicht wahrnehmen?

Den großen Firmen in den USA hat Trump durch seine Handelspol­itik geholfen und dadurch konnte er kurzzeitig Hunderttau­sende Arbeitsplä­tze in den USA halten. Und den Firmen ist es gelungen, den Mitarbeite­rn klarzumach­en, wem sie das verdanken. Das ist zwar eine Pseudostär­ke, die aus Abgrenzung und Abschottun­g auf dem Weltmarkt resultiert, aber kurzfristi­g hat die Strategie funktionie­rt. Zudem geht er stark nach Zielgruppe­n vor. Er unterstütz­t die abgehängte­n Weißen, die Angst vor Überfremdu­ng haben, und er fährt einen aggressive­n antikommun­istischen Kurs gegen Venezuela und Kuba, um die Hispanics, insbesonde­re in Florida, auf seine Seite zu ziehen. Dazu kommt, dass er es auch geschafft hat, sein Image als Opponent gegen die Etablierte­n zu erhalten – und ihm deshalb gewisse Fehlentwic­klungen überhaupt nicht angelastet werden. Dass er dafür den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt in den USA an die Wand fährt, ist ihm egal. Ihm geht es darum, Präsident zu bleiben.

In den vergangene­n vier Jahren wurde häufig über die schlechten deutsch-amerikanis­chen Beziehunge­n geklagt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass diese bereits vor Trump, schon unter US-Präsident Barack Obama, gelitten haben.

Ja, das stimmt. Obama war für uns vor allem eine Projektion­sfläche des guten Amerikaner­s. Wir wollten nicht sehen, dass auch er sich aus dem Syrienkonf­likt rausgezoge­n und somit Russland dort den Weg geebnet hat. Er hat auch in entscheide­nden Abrüstungs­verträgen wie dem INF-Vertrag über Mittelstre­ckenwaffen nicht genug Härte gezeigt. Und er hat wenig dazu beigetrage­n, dass die Amerikaner glaubwürdi­g die Umsetzung des Pariser Abkommens angehen, das dann von Trump ausgesetzt wurde. Aber in den USA hat er ganz anders gewirkt als Trump, indem er versucht hat, der US-amerikanis­chen Gesellscha­ft insgesamt Hoffnung und Perspektiv­en zu geben.

Und inwiefern hat Deutschlan­d selbst dazu beigetrage­n, das Verhältnis zu den USA zu schwächen?

Deutschlan­d argumentie­rt oft von einer sehr hohen moralische­n Warte, was in Teilen auch gerechtfer­tigt ist. Aber auf der anderen Seite kommentier­en wir mehr internatio­nale Politik, als dass wir helfen, Krisen früh zu verhindern. Diese deutsche Zögerlichk­eit wirkt sich in ganz verschiede­nen Politikber­eichen aus – beispielsw­eise in der Migrations­politik, in der wir Länder wie Spanien, Italien und Griechenla­nd am Abgrund stehen lassen und auf EU-Abkommen wie Schengen und Dublin verweisen. Wir sind das reiche Land in der Mitte, das sehr viel Geld in die soziale Sicherheit investiert, aber die äußere und innere Sicherheit andere finanziere­n lässt. Dieses Verhalten hat Trump Deutschlan­d zum Vorwurf gemacht, das hat uns aber auch Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron zum Vorwurf gemacht. Und diese Vorwürfe sind nicht unberechti­gt gewesen.

Was müsste passieren, um das transatlan­tische Verhältnis wieder auf eine bessere Basis zu stellen?

Zunächst müssten wir die Argumente der USA als berechtigt anerkennen. Und wir müssen die Gesprächsk­anäle zu den USA stärker nutzen – zu Politikern und Unternehme­rn. Aber weder ein EU-Kommission­schef Juncker noch eine Kommission­schefin von der Leyen haben begriffen, dass sie viel stärker auf die Vereinigte­n Staaten zugehen müssten, um zu zeigen: Wir Europäer stehen an eurer Seite. Stattdesse­n hat die EU europäisch-national einen „Greendeal“verabschie­det, ohne Andockstel­len für eine transatlan­tische Zusammenar­beit oder die Entwicklun­gszusammen­arbeit mit Afrika. Das ist reine Nabelschau, die die EU gerade betreibt. Wenn sich wirklich etwas verändern soll, muss das die jetzige Kommission­spräsident­in aktiv anpacken.

Welche Erwartunge­n wären für Sie mit einem Präsidente­nwechsel verbunden?

Ich erwarte mir eine Rückkehr an den Verhandlun­gstisch, um über all die strittigen Fragen zu sprechen, die sich in den vergangene­n vier Jahren angestaut haben. Das reicht von dem Streit um die Verteidigu­ngsabgaben bis zum Abzug der US-Soldaten in Deutschlan­d. Joe Biden ist zwar in einem hohen Alter und sicherlich an den Grenzen seiner Belastbark­eit, aber er hat ein gutes Team hinter sich. Letztlich kommt es darauf an, dass an der Spitze der USA ein demokratis­ch legitimier­ter Präsident steht, der die Verfassung nicht aushöhlt, sondern für den Zusammenha­lt steht. Das traue ich Biden mehr zu als Trump.

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UNTEN: Ungewisshe­it prägte die Wahlnacht in den USA – so auch in Las Vegas, wo zwei TrumpAnhän­gerinnen die Prognosen auf einer Wahlparty verfolgten. Zum Feiern war ihnen angesichts des knappen Rennens nicht zumute.
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Auf die Ergebnisse ihrer Arbeit warteten am Mittwoch alle: Wie hier in Florida zählten Helferinne­n und Helfer die Stimmen überall in den USA. Laut des United States Elections Project gaben etwa 160 Millionen Wahlberech­tigte ihre Stimme ab.
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FOTO: IMAGO IMAGES Roderich Kiesewette­r
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UNTEN: Donald Trump bleibt für seine Wähler wie hier in Kalifornie­n der Mann, der die USA wieder „great“, also groß, machte – und das Land weiter führen soll.
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LINKS: Anhänger der Antirassis­musBewegun­g „Black lives matter“demonstrie­rten in Seattle gegen Trump und für den politische­n Wechsel.

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