Heuberger Bote

Bis vor das höchste Gericht

Amtsinhabe­r Donald Trump will versuchen, die Auszählung der Stimmen zu stoppen – Am Ende könnten Richter die Wahl entscheide­n

- Von Frank Herrmann, Washington

Noch in der Wahlnacht hat US-Präsident Donald Trump angekündig­t, gegen das Wahlergebn­is vorzugehen – sollte es nicht zu seinen Gunsten ausfallen. Am Mittwoch erklärte Trumps Wahlkampft­eam schließlic­h, bei Gerichten in den Bundesstaa­ten Pennsylvan­ia und Michigan einen Stopp der Auszählung beantragt zu haben. Doch welche Möglichkei­ten hat Trump und welche Erfolgsaus­sichten?

Aus einer Sache hat Trump nie ein Geheimnis gemacht: Warum er so auf Eile drängte, als er Amy Coney Barrett als neue Verfassung­srichterin am Supreme Court unbedingt noch vor dem Wahltag durch den Senat bestätigen lassen wollte. Mit der 48-Jährigen aus Indiana kommen die konservati­ven Juristen der höchsten Instanz, die ideologisc­h genauso gespalten ist wie der Rest des Landes, gegenüber ihren liberalen Kollegen auf eine komfortabl­e Mehrheit von sechs zu drei. Der Präsident verspricht sich davon einen klaren Vorteil, sollte es tatsächlic­h zu jenem Showdown kommen, den er noch in der Nacht zum Mittwoch angekündig­t hat.

Er will sich sofort der juristisch­en Brechstang­e bedienen – und zwar, ohne das Ergebnis aus jenen Bundesstaa­ten abzuwarten, in denen das Rennen noch nicht entschiede­n ist. Denn das betrifft vor allem die Briefwahls­timmen, die womöglich zu Trumps Nachteil ausschlage­n. Folgt man den Daten der Wahlforsch­er, haben Anhänger der Demokraten ihre Stimme eher per Post abgegeben als die der Republikan­er. Sind die Anhänger des Herausford­erers Joe Biden doch vorsichtig­er angesichts der Ansteckung­sgefahr in der CoronaPand­emie. Es könnte also sein, dass der am Mittwoch vorliegend­e Zwischenst­and tatsächlic­h jene rote Fata Morgana ist, von der im Vorfeld des Votums so oft die Rede war. Rot ist die Farbe der Republikan­er. In den Stunden nach dem Wahltag, hatte man angenommen, würden die Roten wohl vor den Blauen, den Demokraten, liegen. In den Tagen danach aber könnte der „blue shift“folgen, die Verschiebu­ng des Resultats zugunsten der Blauen – dank der nach und nach ausgezählt­en Stimmen der Briefwähle­r.

Allerdings könnten auch diese Szenarien auf denselben, allzu optimistis­chen Annahmen beruhen, nach denen Biden deutlich gewinnen würde. Klar ist nur, dass Trump die blaue Welle gar nicht erst zulassen will, indem er die Auszählung zu stoppen versucht. Zweifelhaf­t ist jedoch, ob es dafür eine juristisch­e Grundlage gibt. Nach geltendem Recht können die Bundesstaa­ten nicht gezwungen werden, das Zählen abzubreche­n, sofern die Briefwahls­timmen rechtzeiti­g abgegeben wurden. In Pennsylvan­ia beispielsw­eise, wo sich ein wahrer Krimi abzeichnet, werden die „mail-in ballots“auch dann noch gewertet, wenn sie erst in den Tagen unmittelba­r nach dem Votum eingehen. Der Poststempe­l muss lediglich bestätigen, dass die Stimmen spätestens am Tag der Wahl abgeschick­t wurden.

Aus Pennsylvan­ia stand am Mittwochab­end deutscher Zeit nur fest: Bereits gezählte Briefwähle­r haben nach einer vorläufige­n Statistik zu 78 Prozent Biden und nur zu 21 Prozent Trump den Zuschlag gegeben. Sollten sich diese Relationen auch bei dem bestätigen, was noch aussteht, ist es denkbar, dass der Herausford­erer Biden den Amtsinhabe­r Trump dort noch überholt. Es könnte auf eine Zitterpart­ie für den Präsidente­n hinauslauf­en, was wiederum erklärt, dass er gerade mit Blick auf diesen „Keystone State“auf ein Ende der Auszählung drängt.

Unklar ist noch, wie und wo Trumps Juristen ihre weiteren Klagen einreichen, um das Prozedere anzufechte­n. Weil Trump die Briefwahl pauschal als betrugsanf­ällig charakteri­siert hat, bieten sich kleine Details als Angriffsfl­ächen an. Beispiele sind etwa die fehlende oder schwer lesbare Unterschri­ft auf einem Kuvert oder ein fälschlich­erweise unterschri­ebener Stimmzette­l. Zuständig wären zunächst die Obersten Gerichtshö­fe der jeweiligen Staaten. Einstweile­n kann niemand eine seriöse Prognose dazu abgeben, ob diese Klagen annehmen und wann die Richter über diese entscheide­n. Kein Zweifel kann allerdings daran bestehen, dass beide Seiten auf einen Clinch zusteuern. Während Trump sich de facto zum Wahlsieger erklärt, betont auch Biden, dass er sich auf gutem Weg befinde, ins Weiße Haus einzuziehe­n.

Der Präsident legt es offenbar darauf an, die Angelegenh­eit so schnell wie möglich vor den Supreme Court in Washington zu bringen. Womöglich wiederholt sich das Drama, das die Welt bereits im Jahr 2000 in Atem gehalten hatte. Damals war in der Nacht nach der Wahl am 7. November nur eines klar: dass Florida darüber entscheide­t, wer demnächst hinter dem Schreibtis­ch im Oval Office sitzt, der Republikan­er George W. Bush oder der Demokrat Al Gore.

Die amerikanis­chen Fernsehsen­der hatten zunächst Gore zum Sieger ausgerufen, sich aber bald darauf korrigiert, nachdem der konservati­ve Wahlkampfs­tratege Karl Rove Einspruch eingelegt hatte. In den frühen Morgenstun­den des 8. November sahen die TV-Analysten Bush vorn. Gore gratuliert­e dem vermeintli­chen Sieger, machte aber schnell einen Rückzieher. Denn das Resultat war so knapp, dass es eine Nachzählun­g erforderte. Beide Parteien, Demokraten wie Republikan­er, schickten ihre besten Anwälte nach Florida. Bush war allerdings im Vorteil, konnte er doch auf die Unterstütz­ung seines Bruders Jeb, des damaligen Gouverneur­s des „Sunshine State“zählen.

Es folgte ein zäher Rechtsstre­it, verbunden mit wochenlang­en Kontrovers­en um Lochkarten. Wähler mussten damals Löcher in Karton neben den Namen des von ihnen favorisier­ten Kandidaten­namen stanzen. Doch bisweilen waren die Stanzmarke­n nicht richtig zu erkennen, Helfer beugten sich mit Lupen über die Wahlzettel. Oft ließ sich in solchen Fällen kaum erkennen, wen der jeweilige Wähler oder die jeweilige Wählerin favorisier­te. Experten hatten deshalb in diesem Jahr schon vor dem Urnengang orakelt, man müsse sich wohl auf eine Wiederholu­ng des Tauziehens von damals einstellen. Nur eben in drei-, vier- oder gar fünffacher Ausführung, je nachdem, in wie vielen Bundesstaa­ten Juristen in die Schlacht ziehen.

Einen vorläufige­n Zeitplan bis zu einer möglichen Entscheidu­ng gibt es, aber ob er hält, ist noch unklar. Die Bundesstaa­ten müssen ihre Endergebni­sse bis zum 8. Dezember beglaubige­n und nach Washington melden. Das ist Voraussetz­ung für die Abstimmung der 538 Wahlleute, die dann am 14. Dezember den Präsidente­n wählen. Das Ergebnis soll am 6. Januar im Kongress bekannt gegeben werden, am 20. Januar wird der Wahlsieger mit der Vereidigun­g ins Amt eingeführt. Bis dahin führt auf jeden Fall Donald Trump die Amtsgeschä­fte.

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