Bis vor das höchste Gericht
Amtsinhaber Donald Trump will versuchen, die Auszählung der Stimmen zu stoppen – Am Ende könnten Richter die Wahl entscheiden
Noch in der Wahlnacht hat US-Präsident Donald Trump angekündigt, gegen das Wahlergebnis vorzugehen – sollte es nicht zu seinen Gunsten ausfallen. Am Mittwoch erklärte Trumps Wahlkampfteam schließlich, bei Gerichten in den Bundesstaaten Pennsylvania und Michigan einen Stopp der Auszählung beantragt zu haben. Doch welche Möglichkeiten hat Trump und welche Erfolgsaussichten?
Aus einer Sache hat Trump nie ein Geheimnis gemacht: Warum er so auf Eile drängte, als er Amy Coney Barrett als neue Verfassungsrichterin am Supreme Court unbedingt noch vor dem Wahltag durch den Senat bestätigen lassen wollte. Mit der 48-Jährigen aus Indiana kommen die konservativen Juristen der höchsten Instanz, die ideologisch genauso gespalten ist wie der Rest des Landes, gegenüber ihren liberalen Kollegen auf eine komfortable Mehrheit von sechs zu drei. Der Präsident verspricht sich davon einen klaren Vorteil, sollte es tatsächlich zu jenem Showdown kommen, den er noch in der Nacht zum Mittwoch angekündigt hat.
Er will sich sofort der juristischen Brechstange bedienen – und zwar, ohne das Ergebnis aus jenen Bundesstaaten abzuwarten, in denen das Rennen noch nicht entschieden ist. Denn das betrifft vor allem die Briefwahlstimmen, die womöglich zu Trumps Nachteil ausschlagen. Folgt man den Daten der Wahlforscher, haben Anhänger der Demokraten ihre Stimme eher per Post abgegeben als die der Republikaner. Sind die Anhänger des Herausforderers Joe Biden doch vorsichtiger angesichts der Ansteckungsgefahr in der CoronaPandemie. Es könnte also sein, dass der am Mittwoch vorliegende Zwischenstand tatsächlich jene rote Fata Morgana ist, von der im Vorfeld des Votums so oft die Rede war. Rot ist die Farbe der Republikaner. In den Stunden nach dem Wahltag, hatte man angenommen, würden die Roten wohl vor den Blauen, den Demokraten, liegen. In den Tagen danach aber könnte der „blue shift“folgen, die Verschiebung des Resultats zugunsten der Blauen – dank der nach und nach ausgezählten Stimmen der Briefwähler.
Allerdings könnten auch diese Szenarien auf denselben, allzu optimistischen Annahmen beruhen, nach denen Biden deutlich gewinnen würde. Klar ist nur, dass Trump die blaue Welle gar nicht erst zulassen will, indem er die Auszählung zu stoppen versucht. Zweifelhaft ist jedoch, ob es dafür eine juristische Grundlage gibt. Nach geltendem Recht können die Bundesstaaten nicht gezwungen werden, das Zählen abzubrechen, sofern die Briefwahlstimmen rechtzeitig abgegeben wurden. In Pennsylvania beispielsweise, wo sich ein wahrer Krimi abzeichnet, werden die „mail-in ballots“auch dann noch gewertet, wenn sie erst in den Tagen unmittelbar nach dem Votum eingehen. Der Poststempel muss lediglich bestätigen, dass die Stimmen spätestens am Tag der Wahl abgeschickt wurden.
Aus Pennsylvania stand am Mittwochabend deutscher Zeit nur fest: Bereits gezählte Briefwähler haben nach einer vorläufigen Statistik zu 78 Prozent Biden und nur zu 21 Prozent Trump den Zuschlag gegeben. Sollten sich diese Relationen auch bei dem bestätigen, was noch aussteht, ist es denkbar, dass der Herausforderer Biden den Amtsinhaber Trump dort noch überholt. Es könnte auf eine Zitterpartie für den Präsidenten hinauslaufen, was wiederum erklärt, dass er gerade mit Blick auf diesen „Keystone State“auf ein Ende der Auszählung drängt.
Unklar ist noch, wie und wo Trumps Juristen ihre weiteren Klagen einreichen, um das Prozedere anzufechten. Weil Trump die Briefwahl pauschal als betrugsanfällig charakterisiert hat, bieten sich kleine Details als Angriffsflächen an. Beispiele sind etwa die fehlende oder schwer lesbare Unterschrift auf einem Kuvert oder ein fälschlicherweise unterschriebener Stimmzettel. Zuständig wären zunächst die Obersten Gerichtshöfe der jeweiligen Staaten. Einstweilen kann niemand eine seriöse Prognose dazu abgeben, ob diese Klagen annehmen und wann die Richter über diese entscheiden. Kein Zweifel kann allerdings daran bestehen, dass beide Seiten auf einen Clinch zusteuern. Während Trump sich de facto zum Wahlsieger erklärt, betont auch Biden, dass er sich auf gutem Weg befinde, ins Weiße Haus einzuziehen.
Der Präsident legt es offenbar darauf an, die Angelegenheit so schnell wie möglich vor den Supreme Court in Washington zu bringen. Womöglich wiederholt sich das Drama, das die Welt bereits im Jahr 2000 in Atem gehalten hatte. Damals war in der Nacht nach der Wahl am 7. November nur eines klar: dass Florida darüber entscheidet, wer demnächst hinter dem Schreibtisch im Oval Office sitzt, der Republikaner George W. Bush oder der Demokrat Al Gore.
Die amerikanischen Fernsehsender hatten zunächst Gore zum Sieger ausgerufen, sich aber bald darauf korrigiert, nachdem der konservative Wahlkampfstratege Karl Rove Einspruch eingelegt hatte. In den frühen Morgenstunden des 8. November sahen die TV-Analysten Bush vorn. Gore gratulierte dem vermeintlichen Sieger, machte aber schnell einen Rückzieher. Denn das Resultat war so knapp, dass es eine Nachzählung erforderte. Beide Parteien, Demokraten wie Republikaner, schickten ihre besten Anwälte nach Florida. Bush war allerdings im Vorteil, konnte er doch auf die Unterstützung seines Bruders Jeb, des damaligen Gouverneurs des „Sunshine State“zählen.
Es folgte ein zäher Rechtsstreit, verbunden mit wochenlangen Kontroversen um Lochkarten. Wähler mussten damals Löcher in Karton neben den Namen des von ihnen favorisierten Kandidatennamen stanzen. Doch bisweilen waren die Stanzmarken nicht richtig zu erkennen, Helfer beugten sich mit Lupen über die Wahlzettel. Oft ließ sich in solchen Fällen kaum erkennen, wen der jeweilige Wähler oder die jeweilige Wählerin favorisierte. Experten hatten deshalb in diesem Jahr schon vor dem Urnengang orakelt, man müsse sich wohl auf eine Wiederholung des Tauziehens von damals einstellen. Nur eben in drei-, vier- oder gar fünffacher Ausführung, je nachdem, in wie vielen Bundesstaaten Juristen in die Schlacht ziehen.
Einen vorläufigen Zeitplan bis zu einer möglichen Entscheidung gibt es, aber ob er hält, ist noch unklar. Die Bundesstaaten müssen ihre Endergebnisse bis zum 8. Dezember beglaubigen und nach Washington melden. Das ist Voraussetzung für die Abstimmung der 538 Wahlleute, die dann am 14. Dezember den Präsidenten wählen. Das Ergebnis soll am 6. Januar im Kongress bekannt gegeben werden, am 20. Januar wird der Wahlsieger mit der Vereidigung ins Amt eingeführt. Bis dahin führt auf jeden Fall Donald Trump die Amtsgeschäfte.