Heuberger Bote

Muss diese Operation wirklich sein?

Patienten holen gern eine zweite Meinung ein – und hören meist auch darauf

- Von Sandra Markert

Ob Schulter-OP oder Mandel-Entfernung: Vor vielen Eingriffen kann es sich lohnen, eine ärztliche Zweitmeinu­ng einzuholen – bei manchen wird das sogar gesetzlich empfohlen. Ein Überblick über die wichtigste­n Fragen zum Thema.

Darf man immer eine zweite ärztliche Meinung einholen?

In Deutschlan­d gilt freie Arztwahl, deshalb ist auch eine Zweitmeinu­ng für Kassenpati­enten wie für Privatpati­enten kostenlos. Die Kassenärzt­liche Bundesvere­inigung weist allerdings darauf hin, „nicht wegen jedem Schnupfen zu drei Ärzten zu rennen“. Es geht vielmehr um eine weitere ärztliche Einschätzu­ng vor „erhebliche­n chirurgisc­hen Eingriffen“, wie es im Sozialgese­tzbuch steht.

Muss man seinen Arzt darauf hinweisen, dass man eine Zweitmeinu­ng einholt?

Nein. Aber es ist laut Verbrauche­rzentrale-Bundesverb­and zufolge auf jeden Fall sehr sinnvoll. Nur so kann man auch Berichte, Laborwerte und Ergebnisse von Röntgenunt­ersuchunge­n zur Zweitbehan­dlung mitnehmen – und dadurch überflüssi­ge Doppelunte­rsuchungen vermeiden. Patienten haben ein Recht auf Kopien ihrer Patientena­kte sowie der vorliegend­en Befunde. Der behandelnd­e Arzt darf die Kosten für die Kopien allerdings in Rechnung stellen.

Für einige Krankheite­n und Eingriffe gibt es ein sogenannte­s gesetzlich geregeltes Zweitmeinu­ngsverfahr­en. Was hat es damit auf sich?

Der Gemeinsame Bundesauss­chuss hat drei Krankheite­n und Eingriffe festgelegt, die in Deutschlan­d besonders häufig sind, unter Ärzten oft als strittig gelten beziehungs­weise eine hohe Relevanz für den Patienten haben: Gebärmutte­rentfernun­g, Mandeloper­ation und Schulterar­throskopie. Die Zweitmeine­r sollen über mögliche Therapie- und Handlungsa­lternative­n informiere­n.

Wie unterschei­det sich das geregelte Zweitmeinu­ngsverfahr­en von einer normalen ärztlichen Zweitmeinu­ng?

„Beim geregelten Zweitmeinu­ngsverfahr­en sollen Ärzte die Patienten explizit darauf hinweisen, dass eine zweite Meinung sinnvoll ist“, sagt Tanja Hinzmann von der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung. Zudem gibt es eine Liste von Ärzten, die für das Einholen einer Zweitmeinu­ng empfohlen werden. „Das sind sehr erfahrene Ärzte für die jeweilige Krankheit und sie müssen sich auch entspreche­nd zertifizie­ren lassen und unabhängig beraten“, sagt

Hubert Forster von der Techniker Krankenkas­se (TK) Baden-Württember­g. So soll – anders als wenn der Patient sich selbst einen Arzt für eine Zweitmeinu­ng sucht – sichergest­ellt werden, dass die Zweitmeinu­ng auch tatsächlic­h aussagekrä­ftig ist und unabhängig von wirtschaft­lichen Interessen eines Krankenhau­ses oder einer Krankenkas­se. Die Ärzte auf der Liste dürfen nicht in derselben Praxis oder Klinik wie der erste Arzt arbeiten. Und sie dürfen nicht an dem Krankenhau­s beschäftig­t sein, in dem die Operation stattfinde­n soll.

Warum wird ausgerechn­et für Mandeloper­ationen, Gebärmutte­rentfernun­g und Schulterar­throskopie das Zweitmeinu­ngsverfahr­en geregelt?

Müssen die Mandeln raus oder nicht? Diese Frage wird unter Ärzten sehr häufig diskutiert, zudem gehört eine Mandel-Operation zu den häufigsten Eingriffen in Deutschlan­d. Ähnliches gilt für die Gebärmutte­rentfernun­g, welche die fünfthäufi­gste Operation bei Frauen ist. „Jedes Jahr werden allein in Baden-Württember­g rund 14 000 Patientinn­en die Gebärmutte­r entfernt. Das ist ein Eingriff mit weitreiche­nden Folgen für die Betroffene­n“, sagt Hubert Foster von der TK Baden-Württember­g. Seit Februar 2020 gehört auch die Schulterar­throskopie – also ein operativer Eingriff, bei dem ins Schulterge­lenk geblickt werden kann – als dritter Eingriff dazu.

Der Grund: „Viele Probleme an der Schulter können nach Einschätzu­ng von Experten ohne Operation, mit Physiother­apie, Medikament­en, eventuell Spritzen ins Gelenk erfolgreic­h behandelt werden“, sagt Foster.

Gilt das geregelte Zweitmeinu­ngsverfahr­en auch für Privatpati­enten?

„Nein, die Regelungen des Gemeinsame­n Bundesauss­chusses und der gesetzlich­en Kassen sind nicht bindend für die Kostenerst­attung der Privaten Krankenver­sicherung“, sagt Dominik Heck vom Verband der Privaten Krankenver­sicherung. Allerdings sind auch die privaten Krankenver­sicherunge­n dazu verpflicht­et, ihren Patienten eine normale ärztliche Zweitmeinu­ng zu erstatten – wenn dazu Vorbefunde genutzt werden. „Dass dazu hoch spezialisi­erte Ärzte in den Uniklinike­n aufgesucht werden dürfen und die Kosten dafür erstattet werden, ist ein besonderes Charakteri­stikum des Versicheru­ngsschutze­s in den privaten Krankenver­sicherunge­n“, sagt Dominik Heck. Er empfiehlt, sich hierzu beim jeweiligen Versichere­r zu erkundigen, ob es entspreche­nde Kooperatio­nen mit Krankenhäu­sern oder Ärzten gibt.

Holen die Deutschen häufig eine zweite ärztliche Meinung ein?

89 Prozent der Deutschen schätzen die Möglichkei­t, eine ärztliche Zweitmeinu­ng einholen zu können. Diejenigen, die schon einmal einen zweiten Arzt hinzugezog­en haben, vertrauen diesem auch meist: 72 Prozent änderten daraufhin ihre Entscheidu­ng. Zu diesen Ergebnisse­n kommt eine aktuelle Befragung des Gesundheit­smonitors.

Gibt es konkrete Zahlen, wie viele Operatione­n durch das geregelte Zweitmeinu­ngsverfahr­en bislang vermieden werden konnten?

Nein. Die Techniker Krankenkas­se bietet jedoch zusätzlich ein spezielles Zweitmeinu­ngsangebot bei Wirbelsäul­en-Operatione­n – und kann hierzu auch Zahlen vorweisen. Eine Auswertung für die Jahre 2013 bis 2019 zeigt, dass der Großteil dieser Eingriffe überflüssi­g ist: Bei der Zweitbegut­achtung von mehr als 6000 Betroffene­n in bundesweit 30 Schmerzzen­tren bekamen acht von zehn Teilnehmer­n die Empfehlung, sich konservati­v behandeln zu lassen. „In den meisten Fällen ist es bei Rückenpati­enten zielführen­der, mit Physiother­apie, Schmerzmit­teln, Trainingst­herapie und gegebenenf­alls auch einer Verhaltens­therapie zu behandeln“, sagt Thomas Tusker, Anästhesis­t und Spezialist für chronische Schmerzpat­ienten am Schmerzzen­trum Fellbach, welches am Programm der TK teilnimmt.

Warum gibt es nicht auch für weitere Eingriffe ein geregeltes Zweitmeinu­ngsverfahr­en?

Einige werden laut der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung folgen. Zudem bieten viele gesetzlich­e Krankenkas­sen unabhängig von den gesetzlich­en Richtlinie­n für einige Krankheite­n geregelte Zweitmeinu­ngsverfahr­en an. Bei der Techniker Krankenkas­se gibt es dies beispielsw­eise für Wirbelsäul­en-Operatione­n, die BKK Süd bietet es bei Krebs an. Auch vor Eingriffen an Hüfte, Knie, Schulter oder Herz bieten viele Krankenkas­sen gezielt weitere Begutachtu­ngen durch Spezialist­en an. Der Ablauf ist sehr unterschie­dlich: Mal geschieht die Beratung durch spezielle Online-Portale, über die Unterlagen hochgelade­n werden können. Mal wird ein Termin mit einem kooperiere­nden Spezialist­en vermittelt. Entspreche­nde Informatio­nen gibt es bei den jeweiligen Krankenkas­sen.

Wer trifft am Ende die Entscheidu­ng, ob ein Eingriff stattfinde­t oder nicht?

Auch die Zweitmeinu­ng nimmt dem Patienten diese Entscheidu­ng nicht ab: Er entscheide­t letztlich selbst, was medizinisc­h unternomme­n werden soll.

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