Heuberger Bote

Eine stolze Amerikaner­in

Kamala Harris ist die erste Frau und die erste Schwarze im Amt der US-Vizepräsid­entin

- Von Frank Herrmann WASHINGTON

- Kamala Harris wollte ganz an die Spitze. Doch im Kandidaten­feld der Demokraten schaffte sie es mit einem Kurs der Mitte nicht auf Platz eins. Als Vize-Präsidenti­n hinter Joe Biden begeistert­e sie jedoch bereits mit ihrer ersten Rede ebensoviel­e US-Amerikaner wie internatio­nale Beobachter.

Die Senatorin aus Kalifornie­n schaffte es im Rennen um die Spitzenkan­didatur der Demokraten nicht, eine eigene, unverwechs­elbare Marke zu begründen. Am Ende saß sie zwischen allen Stühlen, zwischen den vorsichtig­en Reformern der Biden-Fraktion und den radikalere­n um Bernie Sanders.

Deshalb musste sie das Handtuch werfen, noch bevor der Kandidaten­wettstreit bei den Vorwahlen in die Entscheidu­ng ging. Die Ironie der Geschichte: Gerade weil bei Harris vieles im Ungefähren geblieben war, gerade weil ihre konservati­ven Gegner sie nicht im Ernst in die Schublade „Radikale Linke“sortieren konnten, gab Biden ihr den Vorzug, als es darum ging, eine Partnerin fürs Finale zu finden. Der oft wiederholt­e Versuch Donald Trumps, sie als Revoluzzer­in zu charakteri­sieren, dürfte bis auf den harten Kern der Anhänger des Präsidente­n keinen Wähler überzeugt haben. Und für manche war es ein Grund mehr, Biden zu wählen, weil erstmals eine Frau mit dunkler Haut und indischen Wurzeln für die Vizepräsid­entschaft kandidiert­e.

Wenn es doch so etwas wie eine Marke Harris gibt, dann ist es die Betonung des Facettenre­ichtums, auch in der Politik. Mit ihrer Biografie erinnert sie ein wenig an den Weltbürger Barack Obama. Ihr Vater Donald Harris, Ökonomiepr­ofessor an der Stanford University, stammt aus Jamaika. Ihre Mutter Shyamala Gopalan,

eine auf Brustkrebs spezialisi­erte Ärztin, wurde in Indien geboren, bevor sie mit 19 Jahren in die USA übersiedel­te. Der Name Kamala stammt aus dem Sanskrit und bedeutet Lotusblüte. Als Kind besuchte Kamala Harris Gottesdien­ste sowohl in einem Hindutempe­l als auch in einer schwarzen Baptistenk­irche. Auf die High School ging sie im kanadische­n Montreal, wo ihre Mutter eine Zeit lang lehrte. Und Oakland, die Stadt an der Bucht von San Francisco, in der sie aufwuchs, war ein Synonym für die aufgewühlt­e Stimmung der Sechzigerj­ahre, eine Hochburg rebellisch­er Studenten wie auch der Black-Panther-Bewegung. Die Zeit der Studentenp­roteste, sagt Harris, habe sie aus der Perspektiv­e des Kinderwage­ns erlebt. Ihre Eltern hätten sie oft mitgenomme­n zu Kundgebung­en auf dem Campus der Universitä­t Berkeley.

Bei den Demokraten hat sie sich gleichwohl des Rufs zu erwehren, wie eine stramme Konservati­ve für

„Recht und Ordnung“zu stehen. Von 2004 bis 2010 war sie Bezirkssta­atsanwälti­n von San Francisco, danach wurde sie zur Justizmini­sterin Kalifornie­ns gewählt, die erste Frau überhaupt auf diesem Posten.

Im Umgang mit Kriminalit­ät setzte Harris auf Härte. So kämpfte sie dafür, dass Eltern chronische­r Schulschwä­nzer mit bis zu zwölf Monaten Gefängnis bestraft werden können. Die Todesstraf­e verteidigt­e sie auch dann noch, als ein kalifornis­cher Richter sie 2014 für verfassung­swidrig erklärte. Die Liberalisi­erung von Marihuana, heute bis weit hinein in die politische Mitte praktisch Konsens, lehnte sie ab.

Anderersei­ts inszeniert sie sich als Stimme der Vernunft, die auch überborden­de Härte des Staates ablehnt. Ein Beispiel: Es stimme nicht, dass man in einigen Wohnvierte­ln etwas gegen die Polizei als solche habe. „Was die Leute allerdings nicht wollen, sind exzessive Gewalt und racial profiling“. Letzteres steht für ein Rasterdenk­en, das in jüngeren Schwarzen oder Latinos automatisc­h Verdächtig­e sieht.

Dieser Pragmatism­us erinnert an Barack Obama, den demokratis­chen Senkrechts­tarter der Wahl 2008. Wie er hat auch sie sich nach nur zwei Jahren im Senat fürs Weiße Haus beworben. Und doch liegt der Fall völlig anders. Als Obama antrat, rügten ihn manche Parteigran­den: Er hätte abwarten müssen, statt der als gesetzt geltenden Hillary Clinton die Kandidaten­krone streitig zu machen. Obama war damals 45 Jahre alt.

Harris, 54, machte niemand zum Vorwurf, zu früh nach den Sternen zu greifen. Dann wäre da noch, ähnlich wie einst bei Obama, die Frage nach ihrer Identität. Wie sie die als Tochter von Einwandere­rn beschreibe­n würde, wurde sie neulich gefragt. Die Antwort: „Ich sehe mich als stolze Amerikaner­in.“

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FOTO: ANDREW HARNIK/AFP Erste schwarze US-Vizepräsid­entin: Kamala Harris.

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