Eine stolze Amerikanerin
Kamala Harris ist die erste Frau und die erste Schwarze im Amt der US-Vizepräsidentin
- Kamala Harris wollte ganz an die Spitze. Doch im Kandidatenfeld der Demokraten schaffte sie es mit einem Kurs der Mitte nicht auf Platz eins. Als Vize-Präsidentin hinter Joe Biden begeisterte sie jedoch bereits mit ihrer ersten Rede ebensoviele US-Amerikaner wie internationale Beobachter.
Die Senatorin aus Kalifornien schaffte es im Rennen um die Spitzenkandidatur der Demokraten nicht, eine eigene, unverwechselbare Marke zu begründen. Am Ende saß sie zwischen allen Stühlen, zwischen den vorsichtigen Reformern der Biden-Fraktion und den radikaleren um Bernie Sanders.
Deshalb musste sie das Handtuch werfen, noch bevor der Kandidatenwettstreit bei den Vorwahlen in die Entscheidung ging. Die Ironie der Geschichte: Gerade weil bei Harris vieles im Ungefähren geblieben war, gerade weil ihre konservativen Gegner sie nicht im Ernst in die Schublade „Radikale Linke“sortieren konnten, gab Biden ihr den Vorzug, als es darum ging, eine Partnerin fürs Finale zu finden. Der oft wiederholte Versuch Donald Trumps, sie als Revoluzzerin zu charakterisieren, dürfte bis auf den harten Kern der Anhänger des Präsidenten keinen Wähler überzeugt haben. Und für manche war es ein Grund mehr, Biden zu wählen, weil erstmals eine Frau mit dunkler Haut und indischen Wurzeln für die Vizepräsidentschaft kandidierte.
Wenn es doch so etwas wie eine Marke Harris gibt, dann ist es die Betonung des Facettenreichtums, auch in der Politik. Mit ihrer Biografie erinnert sie ein wenig an den Weltbürger Barack Obama. Ihr Vater Donald Harris, Ökonomieprofessor an der Stanford University, stammt aus Jamaika. Ihre Mutter Shyamala Gopalan,
eine auf Brustkrebs spezialisierte Ärztin, wurde in Indien geboren, bevor sie mit 19 Jahren in die USA übersiedelte. Der Name Kamala stammt aus dem Sanskrit und bedeutet Lotusblüte. Als Kind besuchte Kamala Harris Gottesdienste sowohl in einem Hindutempel als auch in einer schwarzen Baptistenkirche. Auf die High School ging sie im kanadischen Montreal, wo ihre Mutter eine Zeit lang lehrte. Und Oakland, die Stadt an der Bucht von San Francisco, in der sie aufwuchs, war ein Synonym für die aufgewühlte Stimmung der Sechzigerjahre, eine Hochburg rebellischer Studenten wie auch der Black-Panther-Bewegung. Die Zeit der Studentenproteste, sagt Harris, habe sie aus der Perspektive des Kinderwagens erlebt. Ihre Eltern hätten sie oft mitgenommen zu Kundgebungen auf dem Campus der Universität Berkeley.
Bei den Demokraten hat sie sich gleichwohl des Rufs zu erwehren, wie eine stramme Konservative für
„Recht und Ordnung“zu stehen. Von 2004 bis 2010 war sie Bezirksstaatsanwältin von San Francisco, danach wurde sie zur Justizministerin Kaliforniens gewählt, die erste Frau überhaupt auf diesem Posten.
Im Umgang mit Kriminalität setzte Harris auf Härte. So kämpfte sie dafür, dass Eltern chronischer Schulschwänzer mit bis zu zwölf Monaten Gefängnis bestraft werden können. Die Todesstrafe verteidigte sie auch dann noch, als ein kalifornischer Richter sie 2014 für verfassungswidrig erklärte. Die Liberalisierung von Marihuana, heute bis weit hinein in die politische Mitte praktisch Konsens, lehnte sie ab.
Andererseits inszeniert sie sich als Stimme der Vernunft, die auch überbordende Härte des Staates ablehnt. Ein Beispiel: Es stimme nicht, dass man in einigen Wohnvierteln etwas gegen die Polizei als solche habe. „Was die Leute allerdings nicht wollen, sind exzessive Gewalt und racial profiling“. Letzteres steht für ein Rasterdenken, das in jüngeren Schwarzen oder Latinos automatisch Verdächtige sieht.
Dieser Pragmatismus erinnert an Barack Obama, den demokratischen Senkrechtstarter der Wahl 2008. Wie er hat auch sie sich nach nur zwei Jahren im Senat fürs Weiße Haus beworben. Und doch liegt der Fall völlig anders. Als Obama antrat, rügten ihn manche Parteigranden: Er hätte abwarten müssen, statt der als gesetzt geltenden Hillary Clinton die Kandidatenkrone streitig zu machen. Obama war damals 45 Jahre alt.
Harris, 54, machte niemand zum Vorwurf, zu früh nach den Sternen zu greifen. Dann wäre da noch, ähnlich wie einst bei Obama, die Frage nach ihrer Identität. Wie sie die als Tochter von Einwanderern beschreiben würde, wurde sie neulich gefragt. Die Antwort: „Ich sehe mich als stolze Amerikanerin.“