Die Unvollendete
Die Sagrada Família in Barcelona ist die wohl berühmteste Baustelle der Welt
(epd) - Touristenattraktion und ewige Baustelle: Die Sagrada Família in Barcelona zählt zu den berühmtesten Sakralbauten der Welt, ist aber immer noch nicht vollendet. Mit der Pandemie verzögern sich die Arbeiten weiter, Anwohner protestieren.
Barcelonas berühmteste Sehenswürdigkeit fußt auf Schildkröten. Als hätte Baumeister Antoni Gaudí (18521926) vorausgesehen, dass es beim Bau einer Basilika auch mal langsamer vorangeht, liegen den vier Türmen der Nordfassade der Sagrada Família je eine in Stein gemeißelte Land- und eine Wasserschildkröte zu Füßen. Tatsächlich dauerte der Bau dieser Fassade mit ihren rund 100 Meter hohen Türmen 40 Jahre lang.
Inzwischen geht es etwas schneller: Auch die vier Türme der Südfassade stehen inzwischen und aus dem zentralen Schiff erheben sich vier weitere Türme, die höchsten von allen. Die Sagrada Família ist eines der bekanntesten sakralen Bauwerke der Welt. Vor zehn Jahren weihte Papst Benedikt XVI. die Kirche zur Basilika.
Fertig ist sie aber noch lange nicht, seit 1882 wird daran gebaut. Ursprünglich war die Fertigstellung für 2026 vorgesehen, zum 100. Todestag von Antoni Gaudí. Doch es wird länger dauern. Wegen der CoronaPandemie sind die Einnahmen aus den Eintrittsgeldern der Touristen eingebrochen. Statt 100 Millionen Euro wie noch im vergangenen Jahr kann die Sagrada Família 2021 nur noch 17 Millionen Euro ausgeben. Dennoch soll weitergebaut werden.
Obwohl unvollendet, gehört die Kathedrale zum Unesco-Weltkulturerbe und ist Touristenmagnet Barcelonas. Vom Park Güell aus betrachtet liegt den Besuchern die Stadt zu Füßen, das Häusermeer, dahinter das blaue Meer, die Türme der Sagrada Família ragen heraus.
Wenn man sich der Basilika nähert, entdeckt man neben den Schildkröten auch Palmblätter und schneebedeckte Datteln auf der Nordfassade: Sie symbolisiert die Geburt Christi im Winter. Die Natur war für Antoni Gaudí das große Vorbild bei der Arbeit an den Entwürfen für die Sagrada Família. Der Architekt und bedeutende Vertreter der katalanischen Variante des Jugendstils, des Modernisme, war sehr religiös.
Daran erinnerte auch der Papst in seinem Gottesdienst vor zehn Jahren in der Basilika. Der Schöpfer war für Gaudí der beste Baumeister, den man nicht übertreffen könne. Skulpturen von Obst, die der Architekt für die Außenfassade vorgesehen hat, symbolisierten für ihn die guten Früchte des Heiligen Geistes.
Er hatte die Bauleitung erst 1885, drei Jahre nach der Grundsteinlegung, übernommen. Ursprünglich hatte die katholische Diözese Barcelonas an dieser Stelle des damals noch völlig unbebauten neuen Stadtteils Eixample eine gewöhnliche Kirche in neogotischem Stil vorgesehen.
Gaudí ist heute als Zuschauer des Skulpturenensembles am Passionsportal verewigt: Er beobachtet dabei den Leidensweg Christi, aber auch die Skulpturen des katalanischen Bildhauers Josep Maria Subirachs, die so ganz anders sind als die Figuren am Nordportal – kantig, schematisch statt verspielt, modern.
Subirachs hatte den Auftrag dazu 1986 erst akzeptiert, als ihm zugesichert wurde, dass er Gaudís Vorgaben nicht umsetzen muss. Als er die ersten Arbeiten mehr als zehn Jahre später der Öffentlichkeit vorstellte, waren die Kritiken heftig. Subirachs Figuren sind mit ihren harten, winkeligen Formen ein klarer Kontrast zum Modernisme. Doch im vergangenen Jahr wurde auch Subirachs Werk als „Kulturelles Erbe von nationalem Interesse“gewürdigt.
Wie so viele bedeutende Basiliken ist die Sagrada Família ein Jahrhundertprojekt, gebaut wurde bis vor Kurzem jedoch ohne Baugenehmigung. Erst im vergangenen Jahr erhielt sie das kostbare Schriftstück, das 4,6 Millionen Euro gekostet hat.
Vom Staat oder von der Kirche bekommt die für den Bau verantwortliche Stiftung keinen Cent. Gaudí hatte die Sagrada Família einst als „Sühnetempel“erdacht: Die Gläubigen sollten als Zeichen für ihre bereuten Sünden spenden. Heute sind neben den Spenden die Eintrittsgelder die wichtigste Einnahmequelle.
Die Touristenmassen bringen Geld für den Bau, stören aber auch die Anwohner. Doch auch ohne Touristen gibt es Grund für heftige Proteste: Die Kirche stößt an die Grenzen des von engen Straßenzügen und Wohngebäuden eingeschlossenen Bauplatzes. Für das Glorienportal sind ein großer Vorplatz und eine Freitreppe vorgesehen, für die ein ganzer Häuserblock abgerissen werden müsste.
Die Stiftung Sagrada Família hat ein Alternativgrundstück in der Nähe gekauft, wo die Anwohner neue Wohnungen bekommen sollen, doch die Stadt zögert mit der Zustimmung. Mitglieder der Architektenkammer Barcelonas bezweifeln, dass Antoni Gaudí eine solche Freitreppe überhaupt vorgesehen hatte, die Architekten der Kirche widersprechen.
Anwohnerproteste, Einbruch der Einnahmen aus den Touristengeldern: Die Fertigstellung verzögert sich immer mehr. Stiftungschef Esteve Camps gibt sich pragmatisch: „Wenn es langsamer vorwärts geht, geht es eben langsamer vorwärts.“Gaudí hatte damit wohl gerechnet. Schildkröten sind langsam, aber sie kommen auch ans Ziel.