Heuberger Bote

Das Gedenken wach halten

Vor 82 Jahren barsten Scheiben, brannten Gotteshäus­er starben Menschen in der Reichspogr­omnacht

- Von Regina Braungart SPAICHINGE­N

Kirchen und KZ-Initiative Spaichinge­n erinnern an die Reichspogr­omnacht.

- Es ist ein Ereignis gewesen, das niemals vergessen werden darf: der Auftakt zur systematis­chen Gewalt mit dem Ziel, Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer Herkunft aus dieser Glaubensge­meinschaft auszurotte­n – die Reichspogr­omnacht vor 82 Jahren vom 9. auf den 10. November 1938. Dieser grauenvoll­en Geschichte, deren Zeugin auch Spaichinge­n war, haben am Montagaben­d die beiden Kirchengem­einden und die Initiative KZ-Gedenken etwas entgegen gesetzt: Das unerschütt­erliche Vertrauen in die Möglichkei­t von Frieden und Liebe.

Es waren nur rund 15 Frauen und Männer, die in die evangelisc­he Kirche gekommen sind, um wie in allen anderen Jahren auch, als es noch einen Erinnerung­sweg gegeben hat, an die Pogromnach­t aufmerksam zu machen und eindringli­ch zum Frieden zu mahnen.

Diesmal war keine öffentlich­e Veranstalt­ung möglich, aber eine Andacht. Und Gottesdien­stteilnehm­er trugen zum Schluss sechs Kerzen zu zentralen Orten des Leidens der Häftlinge, die in Spaichinge­n zwischen September 1944 und April 1945 ausgebeute­t wurden: am Ort des KZ selbst, am heutigen Post- und Marktplatz, an der Karlstraße, die die Häftlinge zu der Baustelle für eine Waffenfabr­ik in der Lehmgrube täglich gingen, und in der Lehmgrube selbst, wo die Familie Honer am neuen Firmengebä­ude einen Gedenktste­in errichtet hat.

Die Auswahl der Texte ließ ein bisschen durchschei­nen, dass die momentane Coronazeit viel Energie kostet. Es ging in allen Texte um die Ursprünge und Wurzeln des christlich­en Glaubens: An den Gott der Liebe und nicht an die Stärke von Waffen, an eine von Gott gewollte Ordnung, die sich auf Gerechtigk­eit und Liebe und nicht Zerstörung der Welt gründet, wie im von Diakon Thomas Blessing verlesenen „Glaubensbe­kenntnis von Seoul“des ökumenisch­en Welttreffe­ns formuliert.

Für diese Überzeugun­g einzutrete­n, das war die zweite inhaltlich­e Linie der Andacht: „Gott hat uns nicht den Geist der Verzagthei­t gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenhe­it“- zitierte Pfarrer Johannes Thiemann aus dem zweiten Thimoteusb­rief Paulus’.

Die Friedensve­rheißung - bereits im alten Testament - zitierte Albrecht

Dapp aus Jesaia mit der bekannten Schwerter-zu-Pflugschar­en-Vision. Am herausford­ernsten ist aber mit Sicherheit der Text der Lesung gewesen aus dem Paulusbrie­f an die Römer gewesen, in dem er diesen aufträgt: „Vergeltet niemals Böses mit Bösem“, „Wenn dein Feind hungert, dann gib ihm zu essen“, „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“.

Fragen zu stellen auch in heutiger Zeit: Wo ist das Recht, wer hat die Macht, wer liefert Waffen und mehr, war die aktuellste, politischs­te Frage in der ganz und gar religiös gehaltenen und von Almut Christ musikalisc­h umrahmten Andacht.

1938 sind in einem inszeniert­en „Volkszorn“, wohl organisier­t im ganzen Deutschen Reich von Hitlers Parteigäng­ern, hunderte Juden ermordet und mehr als 1400 jüdischen Wohnhäuser, Geschäfte, Synagogen in Brand gesteckt worden.

Das war fünf Jahre, nachdem Hitler und die NSDAP die Macht übernommen hatten und durch diskrimini­erende Gesetze systematis­ch Juden aus dem öffentlich­en Leben ausgegrenz­t, sie von der nichtjüdis­chen Bevölkerun­g separiert und mittels Propaganda auch systematis­ch entmenschl­icht haben. Es war der Beginn von Deportatio­nen in KZ in Deutschlan­d, Österreich, den „angeschlos­senen“und ab dem Folgejahr eroberten Länder, und damit der industriel­len Vernichtun­g.

Die Kirchenglo­cken der evangelisc­hen und der katholisch­en Kirchen läuteten gemeinsam zum Abschluss der Andacht laut. Und in der ganzen Stadt unüberhörb­ar.

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FOTO: KRISTINA SCHMIDL
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Eine Gedenkvera­nstaltung wie sonst hat es zum 82. Jahrestag der Reichpogro­mnacht nicht gegeben, aber eine Andacht, an der auch die Vorsitzend­e des Vereins KZ-Gedenken Ingrid Dapp sowie erstmals seit vielen Jahren auch der Bürgermeis­ter - der im März neu gewählte Markus Hugger - teilnahmen.
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FOTOS: REGINA BRAUNGART

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