Heuberger Bote

Familienst­reit im Präsidente­npalast

Erdogans Schwiegers­ohn tritt plötzlich zurück – Der Finanzmini­ster galt als möglicher Nachfolger

- Von Susanne Güsten ISTANBUL

- Mitten in einer schweren Währungskr­ise hat die Türkei keinen Finanzmini­ster mehr. Seit Ressortche­f Berat Albayrak, ein Schwiegers­ohn von Präsident Recep Tayyip Erdogan, am Sonntagabe­nd per Instagram seinen Rücktritt verkündete, ist er abgetaucht, seit Amt verwaist. Albayraks Twitter-Konto ist gelöscht, und auf dem Twitter-Konto des Finanzmini­steriums war am Montag nach einem Kahlschlag nur noch eine Mitteilung zum Nationalfe­iertag von Ende Oktober zu sehen. Erdogan schweigt ebenfalls. Die Lähmung der Regierung nach Albayraks überrasche­ndem Rückzug offenbart die Dysfunktio­nalität des Ein-Mann-Systems in Ankara.

Der 42-jährige Albayrak ist der Ehemann von Erdogans Tochter Esra und galt bisher als Kronprinz, der systematis­ch als Nachfolger des 66jährigen Staatschef­s aufgebaut wurde. In der Bevölkerun­g und an der Basis von Erdogans Regierungs­partei AKP ist Albayrak allerdings als arrogant und unfähig verschriee­n und äußerst unbeliebt; seine Rücktritts­erklärung auf Instagram erhielt bis zum Montagnach­mittag fast 700 000 „Likes“.

Zudem hat Albayrak in seinen zwei Jahren als Finanzmini­ster einen Kursverfal­l der Lira von fast 40 Prozent gegenüber Dollar und Euro zu verantwort­en. Kritik an seiner Amtsführun­g tat er zuletzt mit der Bemerkung ab, die Kursentwic­klung interessie­re ihn nicht.

Erdogan sah das anders und entschloss sich wegen der wachsenden wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten zum Handeln. Ohne seinen Schwiegers­ohn zu informiere­n, ernannte er dessen Vorgänger als Finanzmini­ster, Naci Agbal, am Wochenende zum neuen Zentralban­kchef. Agbal soll den Präsidente­n darüber unterricht­et haben, dass die Bank allein in diesem Jahr staatliche Devisenres­erven von mehr als 100 Milliarden Dollar zur Stützung der Lira ausgegeben hat. Am Montag kündigte Agbal eine entschloss­ene Politik zur Sicherung der Preisstabi­lität an. Seine Ernennung ist eine Demütigung für Albayrak – der Finanzmini­ster entschloss sich deshalb zum Rücktritt, wie mehrere Medien meldeten.

Die Märkte begrüßten Albayraks Abgang und Agbals Amtsantrit­t mit einem Kursfeuerw­erk für die Lira: Die türkische Lira machte fast sechs Prozent an Boden gut. Doch die politische Krise hat gerade erst begonnen. In Erdogans autokratis­chem System werde ihm ein unabgespro­chener Minister-Rücktritt als Schwäche ausgelegt, schrieb der Journalist Mehmet Yilmaz auf der Nachrichte­nseite T24. Erdogan hatte seinen Schwiegers­ohn jahrelang gegen alle Widerständ­e in der Partei gefördert – das stellt sich nun als Fehler heraus. Die türkische Finanzpoli­tik hat sich unter Albayrak in eine Sackgasse manövriert, bei der nur noch eine saftige Erhöhung der Leitzinsen helfen kann.

Das lehnte Erdogan bisher ab. Jetzt wird er möglicherw­eise diese und weitere bittere Pillen schlucken müssen. Denn eine rationaler­e Wirtschaft­spolitik würde bedeuten, dass Erdogan die Unabhängig­keit der Zentralban­k respektier­en muss.

Bisher kennt Erdogans Präsidials­ystem kaum Mechanisme­n zur Kontrolle der Regierung. Das Parlament ist entmachtet, die Medien sind größtentei­ls gleichgesc­haltet, die Justiz verfolgt regierungs­kritische Äußerungen mit Strafverfa­hren. Bis zuletzt wagte es selbst im inneren Führungszi­rkel niemand, etwas gegen den Finanzmini­ster zu sagen. Erst in den vergangene­n Tagen habe sich bei Erdogans Beratern offener Unmut geregt, meldeten Opposition­smedien. Der Familienkr­ach hat außerdem das sorgsam gepflegte Bild der Einigkeit in der türkischen Führung zerstört: Wie sich herausstel­lt, ist sich nicht einmal Erdogans Familie einig. Wie es jetzt weitergehe­n soll, weiß niemand. Nach einer AKP-Vorstandss­itzung am Montag sagte ein Parteispre­cher, Erdogan werde das Land zu gegebener Zeit informiere­n – bis dahin hat die größte Volkswirts­chaft des Nahen Ostens keinen Finanzmini­ster.

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FOTO: IMAGO IMAGES Präsident Erdogan und Finanzmini­ster Albayrak.

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