Familienstreit im Präsidentenpalast
Erdogans Schwiegersohn tritt plötzlich zurück – Der Finanzminister galt als möglicher Nachfolger
- Mitten in einer schweren Währungskrise hat die Türkei keinen Finanzminister mehr. Seit Ressortchef Berat Albayrak, ein Schwiegersohn von Präsident Recep Tayyip Erdogan, am Sonntagabend per Instagram seinen Rücktritt verkündete, ist er abgetaucht, seit Amt verwaist. Albayraks Twitter-Konto ist gelöscht, und auf dem Twitter-Konto des Finanzministeriums war am Montag nach einem Kahlschlag nur noch eine Mitteilung zum Nationalfeiertag von Ende Oktober zu sehen. Erdogan schweigt ebenfalls. Die Lähmung der Regierung nach Albayraks überraschendem Rückzug offenbart die Dysfunktionalität des Ein-Mann-Systems in Ankara.
Der 42-jährige Albayrak ist der Ehemann von Erdogans Tochter Esra und galt bisher als Kronprinz, der systematisch als Nachfolger des 66jährigen Staatschefs aufgebaut wurde. In der Bevölkerung und an der Basis von Erdogans Regierungspartei AKP ist Albayrak allerdings als arrogant und unfähig verschrieen und äußerst unbeliebt; seine Rücktrittserklärung auf Instagram erhielt bis zum Montagnachmittag fast 700 000 „Likes“.
Zudem hat Albayrak in seinen zwei Jahren als Finanzminister einen Kursverfall der Lira von fast 40 Prozent gegenüber Dollar und Euro zu verantworten. Kritik an seiner Amtsführung tat er zuletzt mit der Bemerkung ab, die Kursentwicklung interessiere ihn nicht.
Erdogan sah das anders und entschloss sich wegen der wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten zum Handeln. Ohne seinen Schwiegersohn zu informieren, ernannte er dessen Vorgänger als Finanzminister, Naci Agbal, am Wochenende zum neuen Zentralbankchef. Agbal soll den Präsidenten darüber unterrichtet haben, dass die Bank allein in diesem Jahr staatliche Devisenreserven von mehr als 100 Milliarden Dollar zur Stützung der Lira ausgegeben hat. Am Montag kündigte Agbal eine entschlossene Politik zur Sicherung der Preisstabilität an. Seine Ernennung ist eine Demütigung für Albayrak – der Finanzminister entschloss sich deshalb zum Rücktritt, wie mehrere Medien meldeten.
Die Märkte begrüßten Albayraks Abgang und Agbals Amtsantritt mit einem Kursfeuerwerk für die Lira: Die türkische Lira machte fast sechs Prozent an Boden gut. Doch die politische Krise hat gerade erst begonnen. In Erdogans autokratischem System werde ihm ein unabgesprochener Minister-Rücktritt als Schwäche ausgelegt, schrieb der Journalist Mehmet Yilmaz auf der Nachrichtenseite T24. Erdogan hatte seinen Schwiegersohn jahrelang gegen alle Widerstände in der Partei gefördert – das stellt sich nun als Fehler heraus. Die türkische Finanzpolitik hat sich unter Albayrak in eine Sackgasse manövriert, bei der nur noch eine saftige Erhöhung der Leitzinsen helfen kann.
Das lehnte Erdogan bisher ab. Jetzt wird er möglicherweise diese und weitere bittere Pillen schlucken müssen. Denn eine rationalere Wirtschaftspolitik würde bedeuten, dass Erdogan die Unabhängigkeit der Zentralbank respektieren muss.
Bisher kennt Erdogans Präsidialsystem kaum Mechanismen zur Kontrolle der Regierung. Das Parlament ist entmachtet, die Medien sind größtenteils gleichgeschaltet, die Justiz verfolgt regierungskritische Äußerungen mit Strafverfahren. Bis zuletzt wagte es selbst im inneren Führungszirkel niemand, etwas gegen den Finanzminister zu sagen. Erst in den vergangenen Tagen habe sich bei Erdogans Beratern offener Unmut geregt, meldeten Oppositionsmedien. Der Familienkrach hat außerdem das sorgsam gepflegte Bild der Einigkeit in der türkischen Führung zerstört: Wie sich herausstellt, ist sich nicht einmal Erdogans Familie einig. Wie es jetzt weitergehen soll, weiß niemand. Nach einer AKP-Vorstandssitzung am Montag sagte ein Parteisprecher, Erdogan werde das Land zu gegebener Zeit informieren – bis dahin hat die größte Volkswirtschaft des Nahen Ostens keinen Finanzminister.