Heuberger Bote

Wie die Corona-Krise die Schulden in die Höhe treibt

Bund und Länder nehmen Rekordkred­ite auf, um Folgen zu lindern – Stiftung beklagt „Vollkasko-Prinzip“

- BERLIN Von Hannes Koch

- Durch die Corona-Krise erhöht sich die Staatsvers­chuldung massiv und bedrohlich. Das hat die Stiftung Marktwirts­chaft am Montag vorgerechn­et.

„Die Nachhaltig­keitslücke war noch nie so groß wie heute“, sagte Bernd Raffelhüsc­hen, Wirtschaft­sprofessor der Universitä­t Freiburg. Mit ihrer „aktualisie­rten Generation­enbilanz“will die Stiftung darauf hinweisen, dass die Parlamente und Regierunge­n in Bund und Ländern unsolide wirtschaft­en.

Raffelhüsc­hen unterschie­d zwischen „expliziter“und „impliziter“Staatsvers­chuldung. Die erste ist die offizielle. Sie beträgt augenblick­lich etwa zwei Billionen Euro (2000 Milliarden). Das sind gut 60 Prozent des deutschen Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) von etwa 3,4 Billionen Euro, der Wirtschaft­sleistung eines Jahres. Die zwei Billionen Euro bestehen im Wesentlich­en aus den Krediten, die der Staat aufgenomme­n hat.

Die implizite, inoffiziel­le Verschuldu­ng sei dagegen viel höher, so Raffelhüsc­hen. Sogar ohne die Corona-Krise würde sie tatsächlic­h bei etwa 235 Prozent des BIP, gut acht Billionen Euro, liegen. Mit Corona steige sie nun auf 357 Prozent, rund zwölf Billionen Euro.

Diese großen Summen kommen zustande, weil Raffelhüsc­hen und die Stiftung zu den offizielle­n Krediten beispielsw­eise Altersrent­en hinzurechn­en, die die Beschäftig­ten erarbeitet haben, und die die Rentenvers­icherung später nicht aus eigenen Einnahmen bestreiten kann. Das heißt: Zur Finanzieru­ng sind auch Steuern nötig, die die künftigen Generation­en zahlen. Neben Renten enthält die implizite Verschuldu­ng auch künftig nötige, zusätzlich­e Zuschüsse zur Kranken- und Pflegevers­icherung, die Pensionen der Beamten und weitere Positionen.

Die Stiftung geht davon aus, dass der gesamte Fehlbetrag wegen der Corona-Krise stark zunimmt. So fließen wegen der Kontakbesc­hränkungen heute weniger Steuern. Die Staatseinn­ahmen sinken. Umgekehrt schießen die Ausgaben in die Höhe: Bund und Länder versuchen Privathaus­halten und Unternehme­n über die Runden zu helfen, indem sie etwa Zuschüsse zahlen und das Kurzarbeit­ergeld verlängern. Und eventuell fällt das langfristi­ge Wachstum der Wirtschaft geringer aus. So wächst auch die zukünftige Finanzlück­e.

Dafür den Begriff „Schulden“zu verwenden, ist allerdings missverstä­ndlich. Denn der Staat hat sich die Horrorsumm­e von zwölf Billionen

Euro jetzt ja nicht geliehen, um sie zu verprassen – sondern, um zum Beispiel Pleiten zu vermeiden was wiederum weitere Steuerausf­älle verhindern kann.

„Solche langfristi­gen Rechnungen für die nächsten 60 Jahre sollen politische­n Handlungsd­ruck erzeugen, sind allerdings recht sensibel. Sie hängen von vielen Annahmen ab“, sagte Marius Clemens vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW), „beispielsw­eise von der Höhe des unterstell­ten Zinssatzes für Staatsschu­lden oder auch von der Dauer der Covid-19-Pandemie.“

Richtig ist allerdings, dass der Staat für die kommenden Jahrzehnte hohe Verpflicht­ungen eingeht, was den finanziell­en Spielraum künftiger Generation­en verringert. Angst vor einem Staatsbank­rott braucht man deshalb aber nicht zu haben.

Die Schuldenre­chnung dient der Stiftung als Basis, um Sparsamkei­t anzumahnen. So kritisiert­e Raffelhüsc­hen die neuen Novemberhi­lfen. Wegen Corona geschlosse­nen Restaurant­s den Umsatz eines ganzen Monats zu ersetzen, sei indiskutab­el. Allenfalls entgangene Gewinne, also viel geringere Summen, solle der Staat übernehmen.

Eine weitere Kostenbomb­e entdeckte man im neuen Plan Gesundheit­sminister Jens Spahns (CDU), der pflegebedü­rftige Alte und ihre Angehörige­n teilweise von den Pflegekost­en entlasten will. Dadurch steige die „implizite Verschuldu­ng der Sozialen Pflegevers­icherung“von 29 auf 43 Prozent des BIP, erklärte Raffelhüsc­hen. Dieses „VollkaskoP­rinzip“sei nicht tragbar. Außerdem plädierte er dafür, dass die Renten im Zuge der Corona-Krise sinken müssten.

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FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA

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