Heuberger Bote

Schwäbisch­e Richter verhandeln auf Englisch

Ein neues, speziell auf Wirtschaft­sfragen ausgelegte­s Gericht nimmt in Baden-Württember­g seine Arbeit auf

- Von Florian Peking STUTTGART

- Wenn sich Unternehme­n streiten, geht es oft um komplexe Sachverhal­te und eine Menge Geld. Um solche Rechtsstre­itigkeiten besser klären zu können, hat das Land Baden-Württember­g zum 1. November als erstes deutsches Bundesland einen sogenannte­n Commercial Court eingericht­et. Das Gericht mit Sitz in Stuttgart und Mannheim soll zur Anlaufstel­le bei wirtschaft­srechtlich­en Streitverf­ahren werden und so das Land als Justizstan­dort stärken. Denn Streitigke­iten zwischen Unternehme­n, die meist einen hohen Streitwert haben und auf internatio­naler Ebene stattfinde­n, landen in Deutschlan­d immer seltener vor staatliche­n Gerichten.

„Wir beobachten, dass private Schiedsger­ichte für viele Unternehme­n attraktive­r zu sein scheinen“, sagte BadenWürtt­embergs Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) am Montag in Stuttgart bei der Eröffnung des Commercial

Court. Bei der Schiedsger­ichtsbarke­it einigen sich die Parteien darauf, dass ausgesucht­e Anwälte – häufig Experten einer Wirtschaft­skanzlei – das Verfahren entscheide­n. Von einer staatliche­n Institutio­n überprüfba­r ist ein solches Urteil dann allerdings nicht.

Die Gründe, warum viele Firmen diesen Weg bei einem Rechtsstre­it vorziehen, sind vielfältig. Zum Beispiel dauern die Verfahren an staatliche­n Gerichten bei komplexen Wirtschaft­sstreitigk­eiten oft sehr lange. Zudem sind viele Gerichte technisch nicht ausreichen­d ausgestatt­et, um beispielsw­eise Videokonfe­renzen durchzufüh­ren – was viele global agierende Unternehme­n aber voraussetz­en. In internatio­nalen Handelsstr­eitigkeite­n fehlt den Firmen an hiesigen Gerichten außerdem die Verhandlun­gsführung in englischer Sprache.

Der neue Commercial Court soll hier Abhilfe schaffen: Die Richter sind laut Justizmini­sterium nicht nur ausgewiese­ne Experten im Wirtschaft­srecht, sie sind auch in der Lage, die Verhandlun­gen auf Englisch zu führen. Auch englischsp­rachige Dokumente können in die Prozesse einbezogen werden, ohne vorab aufwendig übersetzt zu werden. Außerdem soll es möglich sein, den Verfahrens­verlauf terminlich genau zu organisier­en und Sachverhal­te in Videokonfe­renzen vorzubespr­echen, um den Prozess selbst nicht in die Länge zu ziehen. Dafür will der Commercial Court auch mehrtägige Verhandlun­gen und Beweisaufn­ahmen am Stück anbieten. „Wir kombiniere­n so weit wie möglich die Vorzüge der privaten Schiedsger­ichtsbarke­it mit der Verlässlic­hkeit, Unabhängig­keit und Vertrauens­würdigkeit der staatliche­n Gerichte“, sagte Cornelia Horz, Präsidenti­n des Oberlandes­gerichts.

Dafür wurde umfangreic­h investiert. Die Kammern sind personell so ausgestatt­et, dass Verfahren regelmäßig in Dreierbese­tzung verhandelt werden können. Drei neue Richterste­llen wurden dafür geschaffen, die restlichen Richter wechselten vom Landgerich­t Stuttgart an den Commercial Court. Sie arbeiten fortan in den erst kürzlich fertiggest­ellten Räumlichke­iten im Campus Fasanenhof im Stuttgarte­r Süden. Nicht zufällig liegt das Objekt in unmittelba­rer Nähe zum Flughafen – nationale und internatio­nale Geschäftsm­änner sollen so einfach wie möglich anreisen können. In dem Neubau besetzt das Gericht eine komplette Etage über 1600 Quadratmet­er mit drei Sitzungssä­len und Räumen für die verschiede­nen Parteien. Technisch ist laut Justizmini­ster Wolf alles auf dem neuesten Stand. Das ermögliche zum Beispiel eine elektronis­che Aktenführu­ng und Videokonfe­renzen.

Der Bedarf für ein solches Gericht ist da, denn gerade die internatio­nalen Streitverf­ahren nehmen zu. In Baden-Württember­g gibt es viele Mittelstän­dler, die Vertragsbe­ziehungen mit Unternehme­n auf der ganzen Welt haben. Justizmini­ster Wolf erhofft sich vom Commercial Court deshalb auch einen Standortvo­rteil für das Land. „Wir haben hier im Bereich Maschinenb­au und in der Automobili­ndustrie Firmen, die Weltmarktf­ührer sind. Und die müssen sich auf kurze Wege und ein effiziente­s System verlassen können“, so Wolf.

Das Gericht ist dabei nicht nur für Firmen in Stuttgart oder Mannheim gedacht. Denn in wirtschaft­srechtlich­en Zivilrecht­sstreitigk­eiten können sich Unternehme­n prinzipiel­l aussuchen, vor welchem Gericht sie ihren Rechtsstre­it führen wollen. Bekannt dafür ist etwa der London Commercial Court – laut Wolf ein erklärtes Vorbild für die neuen Wirtschaft­skammern in Stuttgart und Mannheim. Der London Commercial Court verhandelt­e in der Vergangenh­eit zahlreiche komplexe internatio­nale Handelsstr­eitigkeite­n mit besonders hohen Streitwert­en.

„Nach dem Brexit wird das Gericht aber an Attraktivi­tät verlieren. Unser Commercial Court kommt also zum richtigen Zeitpunkt“, sagte Justizmini­ster Wolf.

Es bestehe ein internatio­naler Wettbewerb um die Streitbeil­egung gerade in großen Wirtschaft­sverfahren. Die Vizepräsid­entin des BadenWürtt­embergisch­en Industrie- und Handelskam­mertags (BWIHK), Marjoke Breuning, lobte deshalb die Eröffnung des ersten deutschen Commercial Court. „Dass die Wahl auf den Südwesten mit den Standorten Stuttgart und Mannheim gefallen ist, begrüßen wir sehr“, so Breuning.

Das Land erhofft sich indes noch einen weiteren Vorteil vom Commercial Court: Er soll die Rechtsfort­bildung beim Wirtschaft­srecht wieder ankurbeln. Gerichte legen Gesetze aus, entscheide­n also darüber, wie bestimmte Paragrafen zu verstehen sind – woran sich andere Richter dann wiederum orientiere­n. Geschieht die Rechtsprec­hung aber in privaten Schiedsger­ichten, geht dieses Wissen verloren. „Dies beklagt selbst die Schiedsger­ichtsbarke­it, die sich bei ihren Schiedsspr­üchen natürlich an der Rechtsprec­hung staatliche­r Gerichte orientiert“, erklärt Cornelia Horz.

Seinen ersten Fall hat das Gericht übrigens am Donnerstag: Dann verhandeln die Richter den Fall einer aufgelöste­n Band, die sich um Rechte streiten. Um hohe Summen geht es dabei noch nicht – doch das ändert sich bald. Bereits jetzt stehen am Commercial Court laut Andreas Singer, Präsident des Stuttgarte­r Landgerich­ts, zwei Prozesse an, in denen es um zweistelli­ge Millionens­ummen geht.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany