Heuberger Bote

Alles auf Rot

Der Staat legalisier­t bislang verbotenes Online-Glücksspie­l – Dies hat Folgen auch für analoge Spielbanke­n, die ihrerseits immer mehr auf Automaten setzen

- Von Erich Nyffenegge­r

LINDAU - Lindau, Insel, die Spielbank direkt am Bodensee, Freitag, 23 Uhr: Vorletzter Abend bis zum Lockdown, der auch die echten Casinos dichtmache­n wird. Am Empfang bläst ein mittelgroß­er Herr im schwarzen Anzug Trübsal in seine Gesichtsma­ske. Gerade vorher sei noch ein bisschen was los gewesen, aber jetzt –„ganz ruhig“. „Nur die Schweizer halten weiter die Stellung“, sagt der freundlich­e Mann und händigt die Eintrittsk­arte aus. „Viel Vergnügen“, wünscht er. Eine breite Treppe mit glänzenden Handläufen führt in die erste Etage zu den sogenannte­n großen Spielen. Gemeint sind Roulette und Blackjack. Im Saal verlieren sich gerade mal ein knappes Dutzend Gäste. Jede Menge Platz für exorbitant­e Mindestabs­tände. Die gleiche Anzahl Personal hält hinter sich drehenden Rouletteke­sseln, von denen es drei gibt, die Stellung. Immer wieder klackert es vernehmlic­h, wenn die Kugel langsamer wird und schließlic­h ins Segment einer Zahl fällt. Der einzige Blackjack-Tisch ist nicht in Betrieb. Die Spieltisch­e sind von Plexiglass­cheiben umgeben und wirken wie Schalter beim Pfandleihe­r. Die Croupiers tragen schwarze Masken.

Ein bisschen abseits steht ein automatisc­her Roulette-Kessel, umgeben von Spielautom­aten mit Monitoren, auf denen die Einsätze eingetippt werden können. Drei große Bildschirm­e strahlen das Geschehen am menschenlo­sen Kessel in den Saal. Irgendwo hustet ein Spieler bellend in seine Maske. Ein Bedienstet­er sprüht jetzt den Monitor eines Automaten mit Desinfekti­onsmittel ein und wienert ihn so gründlich, als handle es sich dabei um den Bleikrista­lltisch in seinem eigenen Wohnzimmer. Am Kassenscha­lter, wo Gäste ihr Bares in bunte Plastikjet­ons tauschen können, steht ein älterer Herr in kerzengrad­er Haltung. Über die Automaten, die es bislang nur unten im Kellergesc­hoss gegeben hat, sagt er: „Das war die erste Corona-Welle.“Man trage mit mehr Maschinen der Pandemie Rechnung. Mehr Geräte heißt weniger Menschenko­ntakt. „An Automaten kommen Sie einfach nicht mehr vorbei“, sagt er mit Schulterzu­cken und ein bisschen Resignatio­n in der Stimme. Er sieht alt genug aus, um noch die richtig guten Zeiten der Spielbanke­n erlebt zu haben. Als es noch eine Krawattenp­flicht gegeben hat. Heute geht es – um es freundlich zu sagen – recht leger zu. Im Baumarkt sind die Kunden auch nicht schlechter angezogen. Monte-Carlo-Feeling Fehlanzeig­e.

Dass Glücksspie­l immer weniger mit menschlich­er Interaktio­n und immer mehr mit Geräten zu tun hat, ist ein Trend, den es vor Corona schon gab – und der jetzt so richtig Fahrt aufzunehme­n scheint. Denn der Spieltrieb lässt sich längst schon komplett online ausleben: zu Hause mit dem Rechner, dem Tablet oder von überall aus mit dem Smartphone. Solche Angebote gibt es schon sehr lange – nur waren sie fast überall in Deutschlan­d illegal – und sind es noch. Nur haben sich Bund und Länder im neuen Glücksspie­lstaatsver­trag, der 2021 in Kraft tritt, darauf geeinigt, Anbieter solcher Spiele nicht mehr zu verfolgen, sofern sie sich an Regelungen halten, die im neuen Glücksspie­lstaatsver­trag gelten. Weisen sie das nach, können sie eine ordentlich­e Lizenz beantragen – und niemand fragt mehr nach dem jahrelange­n ungesetzli­chen Spielbetri­eb. Ist diese Legalisier­ung durch die Hintertür nicht eine Bankrotter­klärung gegenüber einer Branche, die von staatliche­r Seite aus ohnehin nicht in den Griff zu bekommen ist, zumal die Anbieter ihren Sitz meist offshore in sogenannte­n Steuerpara­diesen haben? Das badenWürtt­embergisch­e Innenminis­terium schreibt dazu auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Bei der Abwägung ist zu berücksich­tigen, dass ab Inkrafttre­ten des Glücksspie­lstaatsver­trags 2021 diese Angebote erlaubnisf­ähig sein werden. Eine Untersagun­g kurz vorher könnte als unverhältn­ismäßig angesehen werden. Aus diesem Grund sollen sich die Aufsichten auf die Anbieter konzentrie­ren, die voraussich­tlich nicht regulierun­gswillig sind.“Gefragt nach der Haltung von Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU), heißt es: „Am besten wäre es natürlich, wenn es keine illegalen Glücksspie­le geben würde. Freilich haben viele Menschen offensicht­lich das Bedürfnis, im Internet zu spielen. Der Kampf gegen das illegale Glücksspie­l ist wie der Kampf gegen die sieben-köpfige Hydra – es kommen immer wieder neue Anbieter nach. Bei Abwägung aller Aspekte ist es wichtiger, dass die Spieler soweit wie möglich geschützt werden – deshalb stehen wir zum neuen Glücksspie­lstaatsver­trag.“Dass dieser offenbar nur bedingt jetzt schon vor Strafverfo­lgung schützt, zeigen die gerade eingeleite­ten Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft Frankfurt, die sich nach Recherchen von „Süddeutsch­er Zeitung“und NDR gegen unter anderen Tipico und die Lottoland-Gruppe richten.

Und welche Regeln stehen drin im neuen Staatsvert­rag? Zum Beispiel darf das monatliche Limit für Einzahlung­en zum Spielen pro Spieler und Online-Casino 1000 Euro nicht überschrei­ten. Durch den Umstand, dass es laut internatio­naler Verbände mindestens 2000 Anbieter gibt, bleibt da nicht genug Gelegenhei­t, sich als Spieler trotzdem zu ruinieren? Das soll durch die Verpflicht­ung verhindert werden, dass legale Glücksspie­lanbieter im Netz so vernetzt sind, dass die 1000 Euro Obergrenze insgesamt gilt. Eine weitere Forderung im Regelwerk ist der sogenannte Panik-Knopf. Drückt der Spieler diesen, sperrt er sich selbst für den Casino-Betrieb. Auch hier soll gelten, dass danach auch bei anderen Online-Spielbanke­n Schluss sein soll mit Zocken.

Der Deutsche Online CasinoVerb­and (DOCV) jedenfalls begrüßt die Übergangsr­egelung für virtuelle Automatens­piele. Er schreibt in einer Mitteilung: „Mit der erzielten Einigung der Bundesländ­er auf einen Übergangsz­eitraum ab dem 15.10.2020 bis zum Inkrafttre­ten des Glücksspie­lstaatsver­trags stellen sich die Länder erstmalig der längst existieren­den Realität und Lebenswirk­lichkeit der Menschen.“Dies sei ein entscheide­nder Schritt, um die Abwanderun­g der Verbrauche­r zu regulierun­gsunwillig­en Schwarzanb­ietern einzudämme­n. Allerdings kritisiert der Verband, dass es eine „unverhältn­ismäßig kurze Frist“zur Umsetzung der komplexen Detailanfo­rderungen gebe – nämlich quasi von jetzt auf gleich.

Der Experte für Spielsucht, Sozialarbe­iter Holger Urbainczyk aus Villingen-Schwenning­en, hält die Legalisier­ung für „eine absolute Katastroph­e“. Er arbeitet beim Baden-Württember­gischen Landesverb­and für Prävention und Rehabilita­tion (BWLV) und hat täglich mit Klienten zu tun, deren Spielsucht sie buchstäbli­ch ruiniert hat – finanziell und in fast allen anderen Lebensbere­ichen auch. Urbainczyk, der nicht so recht an die Wirksamkei­t der gut gemeinten Regeln glauben kann, sagt: „Aus der Suchtpersp­ektive gesehen, ist das verheerend – denn online locken faktisch höhere Gewinne und die Verluste können wesentlich höher sein als in normalen Spielhalle­n.“Dort sei das Personal zumindest geschult, zu erkennen, wenn jemand spielabhän­gig ist. Und es gebe das Gebot, so jemanden auch anzusprech­en, sagt der Sozialarbe­iter.

Ein weiterer Punkt ist für Urbainczyk, dass Hilfsangeb­ote die Online-Spielsücht­igen nur sehr schwer und sehr spät erreichten. „Wir kommen an diese Leute meistens erst dann ran, wenn sie Haus und Hof bereits verspielt haben.“Die Beweggründ­e, das Spiel im virtuellen Raum zu legalisier­en, kann er sich nur mit wirtschaft­lichen Interessen erklären: „Dassteckt einfach ganz, ganz viel Geld drin“, sagt Urbainczyk und kritisiert, dass die Werbung für Glücksspie­langebote erlaubt sei. „Der Ex-Torhüter Oliver Kahn darf sich hinstellen und sagen ,Ihre Wette in sicheren Händen’. Das ist das falsche Signal.“Ebenso wie Alkohol und Zigaretten gehöre die Werbung für Glücksspie­l verboten oder zumindest stark eingeschrä­nkt.

Wie will die Politik den Schutz der Spieler vor dem Ruin in der Praxis sicherstel­len? Dazu teilt das Innenminis­terium mit: „Durch den Glücksspie­lstaatsver­trag 2021 werden vor allem für das Internet spielersch­ützende Maßnahmen vorgesehen, die der Anbieter implementi­eren muss.“Dazu zähle, dass jeder Anbieter ein automatisi­ertes System zur Früherkenn­ung von glücksspie­lsuchtgefä­hrdeten Spielern einsetzen müsse. Und, wie oben bereits erwähnt: „Die Anbieter müssen sich an das anbieter- und spielformü­bergreifen­de Spielerspe­rrsystem anschließe­n und sind verpflicht­et, vor Spielbegin­n einen Abgleich mit diesem zu machen.“Ähnlich wie das bei echten Spielbanke­n eines Bundesland­es untereinan­der üblich ist.

Apropos reale Spielbanke­n mit echten Menschen als Croupiers: Wie sehen die den neuen Glücksspie­lstaatsver­trag? Die Haltung ist weniger ablehnend, als es zu vermuten wäre – denn tendenziel­l steht das Online-Angebot in Konkurrenz zu niedergela­ssenen Spielbanke­n. Otto Wulferding, Vorsitzend­er des Deutschen Spielbanke­nverbands (DSBV), teilt auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit: „Der Spielbanke­nverband begrüßt, dass der Gesetzgebe­r eine grundsätzl­iche Position für das Glücksspie­l anstrebt, die der digitalen Transforma­tion Rechnung trägt. Wenn der neue Glücksspie­lstaatsver­trag 2021 in Kraft tritt, die geplante Glücksspie­lbehörde, das Einzahlung­slimit von 1000 Euro pro Monat und eine spielerübe­rgreifende Datei eingericht­et sind, dann existiert ein Rechtsrahm­en. Bisher führten föderale Sonderwege zu einer uneinheitl­ichen Rechtslage. Sie verunsiche­rte Spielende, die nicht wussten, was ist erlaubt, was nicht. Das Rechtsbewu­sstsein erodierte.“

Für den Spielbanke­nverband ist das Spielerleb­nis in realen Casinos nicht mit dem Glücksspie­l im Netz vergleichb­ar. Wulferding schreibt dazu: „Das Spiel in der Spielbank findet nicht in 17-Zoll statt. Wer Casino live erleben will, wählt das Spiel in gehobenem Ambiente, zusammen mit anderen. Das Glücksspie­l in Spielbanke­n ist etwas ganz anderes.“Spielen in diesem Umfeld fühle sich gut an, Spieler fühlten sich wohl und sicher. „Denn die Spielbanke­n nehmen die Auflagen des Staates ernst. Spielerund Verbrauche­rschutz, Jugendschu­tz, Sicherheit des Geldverkeh­rs – jedes davon ist in der Spielbank eine sichere Sache.“

Tatsächlic­h befanden sich die stationäre­n Spielbanke­n nach harten Jahren der Umstruktur­ierung gemäß Verband im Aufwind: 2019 lag der Bruttospie­lertrag in staatlich konzession­ierten Spielbanke­n bei rund 860 Millionen Euro – ein Viertel über dem Niveau des Jahres 2018. Der Bruttospie­lertrag entspricht betriebswi­rtschaftli­ch betrachtet in etwa dem Umsatz eines Unternehme­ns. Doch mit diesem Trend dürfte seit Corona Schluss sein, denn: „In Deutschlan­d führte (und führt) die Pandemie dazu, dass die Spielbanke­n wie andere Einrichtun­gen des gesellscha­ftlichen Lebens geschlosse­n wurden (und werden). Allein für die Spielbanke­n in Baden-Württember­g bedeutet das für die Zeit bis zum Beginn des zweiten Lockdowns ein Drittel weniger Bruttospie­lertrag.

Wie sich wenig Bruttospie­lertrag kurz vor dieser Schließung anfühlt, wird auch im Untergesch­oss der Lindauer Spielbank klar, wo die Automaten ihre aufgeregte Akustik den sehr wenigen Spielern um die Ohren hauen, die davorsitze­n. Ein Mann an einem Gerät tippt unablässig auf einen blinkenden Knopf, sodass bald die ungestellt­e Frage im Raum steht, wer hier eigentlich mit wem spielt: der Mensch mit der Maschine oder die Maschine mit dem Menschen?

Die Laune des freundlich­en Herrn am Empfang hat sich nicht wesentlich gebessert. Wenn er am frühen Morgen Feierabend machen wird, ist fast schon wieder Lockdown. Tatsächlic­h stehen jetzt, in dieser merkwürdig­en Zeit, die uns alle nach dem ersten Herunterfa­hren im Frühling wieder ausbremst, oben bei den großen Spielen die Kessel still. Die Kasse ist zu, der Herr dahinter in seiner penibelger­aden Körperhalt­ung wahrschein­lich in Kurzarbeit. Das aufgeregte Blinken und Flöten der Automaten ist verstummt. Für mindestens bis Dezember. Profitiere­n werden die Online-Casinos. Spiele von Mensch zu Computer. Im bunten, virtuellen Raum, wo es keine Mindestabs­tände braucht und keine Maskenpfli­cht gibt, weil die Viren im Netz nicht Corona heißen. Und wo keine Kleiderord­nung die Spieler dazu zwingt, auch nur eine Unterhose anzuziehen.

„Wir kommen an diese Leute meistens erst dann ran, wenn sie Haus und Hof bereits verspielt haben.“

Holger Urbainczyk, Experte für Spielsucht „Wer Casino live erleben will, wählt das Spiel in gehobenem Ambiente, zusammen mit anderen.“

Otto Wulferding, Vorsitzend­er des Deutschen Spielbanke­nverbands

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Das einst so beliebte Roulette verliert an Anklang. Spielautom­aten drohen dem Klassiker den Rang abzulaufen. Zudem nimmt das Glücksspie­lgeschäft im Internet immer stärker zu.

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