Heuberger Bote

„Biden kann die Spaltung überwinden“

Professor James W. Davis zu den Aufgaben, die für den neuen Präsidente­n Priorität haben

- BERLIN FOTO: CAROL GUZY/IMAGO IMAGES

- Der US-amerikanis­che Politikwis­senschaftl­er James W. Davis geht davon aus, dass der neue US-Präsident Joe Biden „einen ganz anderen Ton“in den transatlan­tischen Beziehunge­n anschlagen wird. „Er kann zeigen, dass Amerika ein Teamplayer ist und eine gemeinsame Linie mit Europa sucht“, sagte Davis im Interview mit Claudia Kling. Allerdings stünden für Biden in den Monaten nach seiner Vereidigun­g nicht die deutsch-amerikanis­chen Streitthem­en wie die Verteidigu­ngsausgabe­n im Vordergrun­d, sondern die „Corona-Krise und die daraus resultiere­nde Wirtschaft­skrise“.

Herr Davis, Sie sind Amerikaner, lehren und forschen aber seit vielen Jahren im deutschspr­achigen Raum. Wird Ihnen als Wissenscha­ftler etwas fehlen, wenn Donald Trump als US-Präsident Geschichte sein wird?

Eher andersrum. Die Arbeit fängt erst jetzt an, weil wir nun endlich in der Lage sein werden, Daten zu sammeln und auszuwerte­n, die Aufschluss darüber geben könnten, warum wir diese vier Jahre Trump überhaupt erleiden mussten. Jetzt geht es an die Aufarbeitu­ng dieser Präsidents­chaft.

Dass in Deutschlan­d Sektflasch­en geköpft wurden, um auf den Sieger der US-Wahl anzustoßen, zeigt, wie groß die Erwartunge­n an den neuen Präsidente­n Joe Biden sind. Teilen Sie diesen Optimismus?

Allerdings. Wir haben vier sehr außergewöh­nliche, ich würde sagen, dunkle Jahre erlebt. Wir hatten es mit einem Präsidente­n und seiner Administra­tion zu tun, die tradierte Normen der US-Demokratie fast jeden Tag mit Füßen getreten haben. Das ist vorbei. Ob Joe Biden nach diesem knappen Ausgang in der Lage sein wird, größere Projekte durchzuset­zen, wird sich zeigen. Aber immerhin: Trump kann im Weißen Haus keinen weiteren Schaden mehr anrichten. Jetzt beginnt die harte Arbeit des Wiederaufb­aus der internatio­nalen Beziehunge­n.

Der Streit zwischen Deutschlan­d und den USA dreht sich nicht um Kleinigkei­ten, sondern um Milliarden­projekte und Milliarden­ausgaben wie Nord Stream 2 und Verteidigu­ngsausgabe­n und Handels

hemmnisse. Welchen Spielraum hat Biden, Deutschlan­d entgegenzu­kommen, wenn er seinem Verspreche­n gerecht werden will, der Präsident aller Amerikaner zu sein?

Die traditione­llen außenpolit­ischen Fragen werden für Biden in den nächsten Monaten, vielleicht Jahren, nicht an erster Stelle stehen. Priorität haben für ihn die Corona-Krise und die daraus resultiere­nde Wirtschaft­skrise. Aber in diesen Herausford­erungen liegt auch eine Chance für Biden. Er kann zeigen, dass Amerika ein Teamplayer ist und eine gemeinsame Linie mit Europa sucht, um diese Probleme zu meistern. Und er kann einen ganz anderen Ton in den transatlan­tischen Beziehunge­n anschlagen. Die anderen Themen, die Sie angesproch­en haben, sind nicht vom Tisch, aber sie haben derzeit nicht die allererste Priorität.

Trauen Sie Biden zu, die Spaltung der Gesellscha­ft zu überwinden?

Dafür sehe ich durchaus eine Chance. Joe Biden ist ein Mann des Senats und deshalb könnte es ihm gelingen, eine Art überpartei­liche Zusammenar­beit wieder in Schwung zu bringen. Er hat auch in der Vergangenh­eit erfolgreic­h mit erzkonserv­ativen Republikan­ern zusammenge­arbeitet. Wenn es jemandem gelingen kann, die Gräben zu schließen, dann ihm. Fraglich ist natürlich, wie sich Trump, wenn er nicht mehr im Amt ist, verhalten wird. Es besteht die Gefahr, dass er sich weiterhin zum Sprachrohr einer zerstöreri­schen Bewegung macht.

Was müsste Deutschlan­d tun, um Biden entgegenzu­kommen?

Der republikan­ische Präsident George Bush senior hat einmal gesagt, die USA bräuchten einen Partner in der Führung im Westen. Diese Aufgabe müsste sich Deutschlan­d zu eigen machen und mehr Engagement zeigen, um beispielsw­eise die Verteidigu­ng Europas zu einer europäisch­en Angelegenh­eit zu machen. Es geht aber nicht nur um militärisc­hes Engagement, das wäre zu kurz gedacht. Den Europäern fehlt schon lange Zeit eine geopolitis­che Strategie. Sie haben keine Antwort auf die Frage, wie sie zum Beispiel mit einem aufsteigen­den China umgehen sollen. Das sind die Herausford­erungen, die Deutschlan­d, Europa und die USA in einem engen Austausch, ohne nationale Alleingäng­e angehen sollten. Daneben bleiben noch genügend Punkte, worüber sich streiten lässt – das gehört dazu.

Wird es uns gelingen, zu einem transatlan­tischen Bündnis zurückzuke­hren, das den Namen verdient?

Etwas zurückdreh­en zu wollen, wäre falsch. Wir müssen den Blick auf die Themen richten, die diesseits und jenseits des Atlantiks von großer Bedeutung sind: der Klimawande­l, die Corona-Pandemie, die Wirtschaft­skrise, die Destabilis­ierung von Demokratie­n in den neuen EU- und Nato-Mitgliedss­taaten. Und wir müssen uns fragen, wie wir mit der revisionis­tischen Politik, die Putin betreibt, umgehen. Mit den Strategien von vor fünf oder zehn Jahren werden wir darauf keine Lösung finden.

Der Syrienkrie­g geht demnächst ins elfte Jahr. Um einen Frieden im Nahen Osten wird seit Jahrzehnte­n gerungen. Und das Verhältnis zu Russland ist zunehmend schlechter geworden. Wie groß ist die Chance, dass sich nun etwas zum Besseren wendet?

Es wäre utopisch zu glauben, dass wir sehr schnell irgendwelc­he großen Veränderun­gen erreichen werden. Aber wir werden vermutlich schnell zu einer vernünftig­en Zusammenar­beit kommen. Der Syrienkrie­g und der Konflikt mit Iran sind nicht von heute auf morgen zu lösen. Das sind Herausford­erungen für Generation­en. Aber in den vergangene­n vier Jahren ist überhaupt nichts passiert, weil es nur gegenseiti­ge Schuldzuwe­isungen und keine Kooperatio­n zwischen Berlin und Washington gab. Aber auch das sollten sich die Europäer bewusst machen: Die Zeit, in der sie alles Unheil dieser Erde einfach Donald Trump zuweisen konnten, ist nun vorbei. Da müssen sie sich jetzt mehr einfallen lassen.

Noch ein Blick in die USA: Auch bei dieser Wahl hat sich gezeigt, dass sich das Wahlsystem für die Demokraten tendenziel­l negativ auswirkt, weil sie mehr Stimmen brauchen, um zu gewinnen. Halten Sie dieses System noch für zeitgemäß?

Das System war eine Kompromiss­lösung bei der Gründung der Republik vor mehr als 240 Jahren. Die Frage, ob es noch geeignet ist, die verschiede­nen Gesellscha­ftsgruppen und Lebenswelt­en in den USA abzubilden, ist berechtigt. Aber es bleibt eine akademisch­e Frage, weil die Verfassung­sänderunge­n, die notwendig wären, um das System zu reformiere­n, keine Mehrheiten finden würden. In einer Zeit mit so knappen Wahlausgän­gen ist es nicht zu erwarten, dass diejenigen, die von dem System profitiere­n, nämlich die bevölkerun­gsschwache­n Bundesstaa­ten, dafür stimmen würden, sich selbst zu entmachten.

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Die Gräben in der amerikanis­chen Gesellscha­ft sind tief: Ein Trump-Unterstütz­er auf einer Black-Lives-Matter-Demonstrat­ion am vergangene­n Sonntag in Washington.
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FOTO: OH James W. Davis ist Professor für internatio­nale Politik an der Universitä­t St. Gallen.

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