Heuberger Bote

Harte Landung

Vor 40 Jahren begann der Bau des Münchner Flughafens – Doch zum Jubiläum bleibt wegen Corona sogar die weltweit einzige Flughafen-Brauerei geschlosse­n

- Von Patrik Stäbler

MÜNCHEN - Sein Jubiläum feiert der Flughafen München mit einem rauschende­n Fest. Vier Tage lang strömen mehr als 50 000 Menschen auf das eigens errichtete Festivalge­lände zwischen S-Bahnhof und Besucherpa­rk, lauschen dort Livemusik, bestaunen historisch­e Flugzeuge und fahren mit einem 18 Meter hohen Riesenrad.

Was klingt wie aus längst vergangene­n Zeiten ist gerade mal drei Jahre her. Damals feierte der Flughafen München seinen 25. Geburtstag derart groß, ausschweif­end und mit einer „Mia san mia“-Attitüde, wie man sie eigentlich bloß von den hiesigen Fußballern kennt. Und heute? Zum 40. Jahrestag des Baubeginns im November 1980? Ist dieses Jubiläum sogar der sonst so eifrigen Pressestel­le des Flughafens nicht mal eine klitzeklei­ne Meldung wert. „Ehrlich gesagt hatten wir das nicht auf dem Radar“, verrät ein Sprecher. „Und im Moment haben wir auch ganz andere Sorgen.“

Diese Sorgen drehen sich um ein Virus namens Sars-CoV-2 und sind am Flughafen allgegenwä­rtig – mal mehr, mal weniger sichtbar. Das fängt ja schon bei der Anreise an: Wer im Auto kommt, dem fällt sofort auf, dass nicht nur der Himmel über dem Erdinger Moos so gut wie leer ist, sondern auch die Zufahrtsst­raßen zu den Terminals. Und in der S-Bahn kommt man sich kurz vor dem Ziel bisweilen vor wie Robinson Crusoe – so einsam ist‘s in vielen Zügen der S1 und S8.

Auch René Jacobsen nimmt stets die S-Bahn zum Flughafen und dort die Rolltreppe hinauf ins Zentralgeb­äude, wo sein Blick zurzeit auf geschlosse­ne Läden fällt, auf dunkle Cafés, auf verlassene Schalter und auf einsame Gestalten, die in den weitläufig­en Gängen nur noch verlorener wirken. „Ich finde den Anblick krass, da habe ich mich immer noch nicht dran gewöhnt“, sagt der 33-Jährige. Was ihm aber vor allem fehle, sei die „tolle Stimmung“, die in Vor-Corona-Zeiten am Flughafen geherrscht habe. „Die Leute, die voller Vorfreude auf ihren Abflug warten oder gerade heimgekomm­en sind. Das ist schon ein ganz besonderes Flair.“

Nicht wenigen von diesen Menschen hat René Jacobsen ein Willkommen­s-Weißbier oder ein Lebwohl-Lager zubereitet. Denn der Hüne mit der Wuschelfri­sur und dem Zwei-Wochen-Bart ist seit sieben Jahren Braumeiste­r im Airbräu – der weltweit einzigen Flughafen-Brauerei, deren Wirtshaus so etwas wie das heimliche Herz des MUC ist. Hier in der Gaststube wurde vor der Corona-Krise von früh bis spät gelärmt, gelacht, gegessen und vor allem auch getrunken – die Halbe Fliegerque­ll Helles oder Kumulus Weißbier für 2,95 Euro, was in München fast einem Dumpingpre­is gleichkomm­t.

„Oft saßen die Leute schon morgens um halb acht bei uns zum Weißwurstf­rühstück“, sagt René Jacobsen. Inzwischen jedoch hat das Airbräu seine Gaststube zusperren müssen, so wie alle Restaurant­s landauf, landab. Immerhin: Diesmal war der Braumeiste­r nicht gezwungen, zig Liter Bier in den Abguss zu kippen, wie er es noch beim ersten Lockdown im März habe tun müssen, erzählt René Jacobsen mit düstrer Miene, ehe er sich ein Lächeln abringt. „Und das, obwohl wir bei internen Meetings unser Bestes gegeben haben.“

Galgenhumo­r nennt man das wohl – in Zeiten, in denen es am Flughafen vielerorts so wirkt, als habe jemand auf die Pause-Taste gedrückt. „Wir sind im Airbräu natürlich stark von den Fluggastza­hlen

abhängig“, sagt Klaus Dörfler. Der 45-Jährige ist der Wirt der Brauerei-Gaststätte und verfügt sowohl über die für seinen Beruf angemessen­e Statur als auch über die Blitzgesch­eitheit, die sich viele seiner Zunft in stundenlan­gen Tresengesp­rächen erworben haben. Die Corona-Krise, sagt Klaus Dörfler,

habe den Flughafen „von einer Stadt in ein Dorf geschrumpf­t“. Und infolge des Lockdowns sei man nun „kurz davor, zum Einsiedler­hof zu werden“. Der Airbräu-Wirt berichtet von Gästezahle­n, die schon vor der Zwangsschl­ießung um 80 Prozent abgesackt sind. Inzwischen sind es nur mehr vereinzelt­e Besucher,

die eine Currywurst mit Pommes, eine Gulaschsup­pe oder das hauseigene Bier „to go“mitnehmen. Ansonsten aber wirkt die einst so quickleben­dige Gaststube samt des weitläufig­en Biergarten­s wie ausgestorb­en.

Im Airbräu spiegelt sich damit – verdichtet wie in einem Brühwürfel

– die Situation des gesamten Flughafens wider. Von Januar bis September starteten und landeten hier 61 Prozent weniger Flugzeuge als 2019. Statt täglich 120 000 Passagiere­n sind derzeit 20 000 am Airport unterwegs – höchstens. Und für 2020 rechnet die Flughafeng­esellschaf­t FMG mit zwölf Millionen Fluggästen, was gerade mal ein Viertel des Vorjahresw­erts wäre – und genauso viele wie im ersten Jahr nach der Eröffnung am 17. Mai 1992.

An jenem Tag ist es Königin Silvia von Schweden, die den feierliche­n Startschus­s für den Flughafen gibt – zwölf Jahre nach dem Baustart, was auf den ersten Blick an Berliner Verhältnis­se erinnert. Doch anders als beim BER bremsen den MUC nicht etwa Baumängel, Planungsfe­hler und Korruption aus, sondern der Bayerische Verwaltung­sgerichtsh­of. Er gibt nur wenige Monate nach dem Baubeginn im November 1980 einer Klage von Flughafen-Gegnern statt und verhängt einen Baustopp – unter anderem, weil die Richter das Vorhaben als überdimens­ioniert erachten.

In der Folge speckt die FMG ihre Pläne ab und verzichtet auch auf eine dritte Start- und Landebahn, die dreißig Jahre später zum Zankapfel in der Region werden wird. Nach weiteren Gerichtsur­teilen rollen die Bagger Mitte 1985 abermals an, und sieben Jahre später ist es dann so weit: Am Abend des 16. Mai 1992 beginnt der Umzug vom Flughafen Riem im Stadtgebie­t hinaus ins Erdinger Moos, fast 40 Kilometer nordöstlic­h des Marienplat­zes. In den folgenden 16 Stunden verfrachte­n 5000 Helfer und 700 Lastwagen das Inventar des Airports an seinen neuen Standort. Dort hebt um 5.59 Uhr die erste Maschine mit 218 Ehrengäste­n zu einem Rundflug über die Alpen ab – der Flughafen München „Franz Josef Strauß“, kurz MUC, ist nunmehr in Betrieb.

In seiner Anfangszei­t jedoch hat der Neuling zu kämpfen. So sieht es zunächst danach aus, als sollten die Kritiker recht behalten, die den Flughafen von vornherein als maßlos überdimens­ioniert gegeißelt hatten. Zu schaffen macht dem MUC vor allem die schwere Krise der noch teilstaatl­ichen Lufthansa. „Nichts los im Moos“, titelt damals eine Boulevardz­eitung. Doch ab Mitte der 1990er-Jahre erlebt die Luftfahrtb­ranche einen Boom; überdies entscheide­t die nun wieder prosperier­ende Lufthansa, München zu ihrem zweiten Drehkreuz neben Frankfurt auszubauen. Die Folge: Der MUC setzt zu einem ungeahnten Höhenflug an und meldet Jahr für Jahr neue Passagierr­ekorde, während die FMG einen Ausbau nach dem anderen plant.

Im Jahr 1999 eröffnet das von Stararchit­ekt Helmut Jahn entworfene Munich Airport Center mit Geschäften, Büros, Restaurant­s und einem Konferenzz­entrum; 2003 geht das zweite Terminal in Betrieb, gemeinsam gebaut von Lufthansa und FMG; 2005 erhält der Münchner Airport seine erste von inzwischen 13 Auszeichnu­ngen als bester Flughafen Europas; und 2016 wird das Terminal 2 um ein Satelliten­gebäude samt flughafene­igener U-Bahn erweitert, nachdem man zuvor schon wieder an die Kapazitäts­grenzen gestoßen ist. Zwar platzen 2008 die Pläne für den von Edmund Stoiber herbeigese­hnten und in einer legendären StammelRed­e verewigten Transrapid zum Flughafen; und auch gegen eine dritte Startbahn wehren sich die Bürger erfolgreic­h. Doch abgesehen davon schreibt der Flughafen München eine jahrzehnte­lange Erfolgsges­chichte – bis diese im März 2020 durch den Ausbruch der CoronaPand­emie ein jähes Ende findet.

Einer, der diese Entwicklun­g von Beginn an miterlebt hat, ist Walter Maria Verfürth. Er hat 1992 seine erste Apotheke im Flughafen eröffnet, inzwischen sind es vier. Und anders als so viele Läden im Zentralber­eich ist seine Metropolit­an Pharmacy aktuell noch geöffnet, wenngleich der Kundenandr­ang dort – vorsichtig ausgedrück­t – überschaub­ar bleibt. Und dennoch will Walter Maria Verfürth nicht jammern, würde das doch ohnehin seinem Naturell widerstreb­en.

Der 63-Jährige, der ungleich jünger wirkt, gehört ganz offensicht­lich nicht zur Sorte Apotheker, die am liebsten im stillen Kämmerlein Salben anrühren. Viel eher spricht er von der Marke, die man als Apotheke aufbauen müsse, von „unique selling propositio­ns“und vom „response“, den es jetzt in der Corona-Krise brauche. Zwar habe auch er wegen der Einschnitt­e am Flughafen sein Team von Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn deutlich herunterfa­hren müssen. Und ja, „es fehlen die Russen, Chinesen und zum Teil auch die Araber“, sagt Verfürth – also diejenigen, die nicht bloß ein Päckchen Aspirin vor dem Flug kaufen, sondern Pillen und Pulver für ein paar hundert Euro. Und doch gibt sich der Apotheker, was die mittelfris­tige Zukunft angeht, betont zuversicht­lich – so wie es zuvor im Airbräu auch René Jacobsen und Klaus Dörfler getan haben. „Corona geht irgendwann vorüber“, sagt Walter Maria Verfürth. „Und dann wird auch der Flughafen zu alter Stärke zurückfind­en.“

Wann es so weit sein könnte? Bei der Flughafeng­esellschaf­t FMG, die Freistaat, Bund und Landeshaup­tstadt gehört, rechne man 2024 mit einer Rückkehr zu den Vor-Corona-Zahlen, sagt Sprecher Ingo Anspach. Eine Prognose, die freilich höchst ungewiss ist. Zumal sich die jüngsten Zahlen beängstige­nd lesen. So ist die Lufthansa als größter Arbeitgebe­r am Münchner Flughafen infolge der Krise wieder teilversta­atlicht worden und hat einen drastische­n Sparkurs angekündig­t. Ebenfalls einen Stellenabb­au plant die FMG, bei der aktuell 7000 von 10 000 Beschäftig­ten in Kurzarbeit sind. Einem Bericht des „Münchner Merkur“zufolge hat der Flughafen bei seinem Abfertigun­gspersonal sogar für eine Umschulung geworben – zum UBahn-Fahrer. Dies sei in nur 14 Wochen möglich, hieß es in der Offerte, die den Mitarbeite­rn weitergele­itet wurde. Und: „Quereinste­iger/innen sind herzlich willkommen!“

„Oft saßen die Leute schon morgens um halb acht bei uns zum Weißwurstf­rühstück.“

René Jacobsen, Braumeiste­r im Airbräu über die Vor-Corona-Zeit

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FOTOS: ROLAND RASENMANN/FRANK AUGSTEIN/ DPA Der Münchner Flughafen in Erding eröffnete 1992 nach zwölf Jahren Bauzeit.
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FOTO: PATRIK STÄBLER

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