Jobsuche entspannt sich - Krisenmodus bleibt
Arbeitslosenquote in Tuttlingen sinkt – Folgen der Pandemie erst in Monaten absehbar
TUTTLINGEN - Weniger Arbeitslose und mehr offene Stellen deuten zwar etwas Entspannung auf dem Arbeitsmarkt an. Aber nichts ist wie vor der Coronakrise. Wie schwer sie Beschäftigte und Jobsuchende trifft, lässt sich abschließend erst in einigen Monaten klären. Heute fehlen dazu noch ein paar Daten. Große Arbeitgeber zeigen sich aber zumindest mit Blick auf den Stellenmarkt gelassen – auch in besonders krisengeschüttelten Branchen.
Rund 3 500 Menschen im Kreis Tuttlingen waren laut Bundesarbeitsagentur Ende Oktober arbeitslos gemeldet. Im Vormonat waren es noch rund 300 mehr. Der Wert liegt aber weiterhin über dem Niveau in der ersten Welle der Pandemie.
Auch die Zahl der offenen Stellen hat sich mit 1154 Annoncen wieder etwas stabilisiert. Elena Niggemann, Pressesprecherin der Bundesarbeitsagentur Rottweil - VillingenSchwenningen, spricht von einer leichten Herbstbelebung: „322 neue Stellen wurden in diesem Monat gemeldet, das sind 22 oder 7,3 Prozent mehr als noch im September.“Bemerkbar mache sich der Trend auch dadurch, dass im Oktober wieder mehr Menschen im Kreis einen Job gefunden hätten.
Vor allem im Handwerk und in der Pflege sei der Bedarf an Fachkräften ungebrochen hoch, erklärt Niggemann. „Auch im Bereich der Personaldienstleister werden Arbeitskräfte wieder verstärkt nachgefragt – überwiegend Helfer aber auch Fachkräfte
in der Produktion.“Mau sieht es laut Niggemann dagegen in der Gastronomie aus.
Mit Blick auf Arbeitgeber in Tuttlingen zeigt sich, dass häufig Jobs im technischen Bereich ausgeschrieben sind – Elektroniker, Servicetechniker oder Entwickler. Das gilt auch für aktuell angekratzte Betriebe wie Marquardt aus Rietheim-Weilheim oder Chiron aus Tuttlingen. Beide hängen vor allem von der Automobilindustrie ab. Damit haben sie es mit einer Branche zu tun, die auch ohne Corona in der Krise steckt.
Obwohl man Fachpersonal suche, habe sich die Einstellungspraxis verändert, erklärt Rainer Schopp, Pressesprecher beim Maschinenhersteller Chiron. „Gegenüber der Vorkrisenzeit besetzen wir weniger Stellen mit externen Bewerbern; vielmehr ermuntern wir unsere internen Talente,
sich auf freiwerdende Stellen – auch an anderen Standorten – zu bewerben.“
Der Automobilzulieferer Marquardt erklärt in einem Statement, dass unsichere Zeiten die Personalsuche erschwerten. „Generell sind Mitarbeiter während einer Krise weniger bereit, das Unternehmen zu wechseln, was für das eigene Recruiting einen höheren Aufwand bedeutet.“
Unternehmen investieren nicht nur viel Zeit, sondern auch Geld, um Fachkräfte zu gewinnen. Olivia Wetzel, Personalreferentin bei Binder, rechnet hoch: 60 bis 80 Stunden beschäftige sich die Personalabteilung mit der Besetzung eines einzigen Postens. Hinzu kommen Kosten für eine Stellenanzeige – im Schnitt 2.500 Euro – oder für einen Headhunter.
Auf Twitter erklärt so ein Personalberater in diesen Tagen mehrfach, für ein Medizintechnikunternehmen in Tuttlingen einen IT-Spezialisten zu suchen. Zwar will sich niemand zu diesem konkreten Fall äußern. Dass das aber auch in Krisenzeiten üblich ist, erklären aber sowohl Binder als auch Aesculap. Ein Headhunter könne bei erfolgreicher Vermittlung mit bis zu 30 Prozent des Jahresgehalts der vergebenen Stelle rechnen, heißt es bei Binder. Der Regelfall ist Headhunting allerdings nicht. Man setze es vor allem bei Jobs mit anspruchsvollem Anforderungsprofil ein.
Was sich Unternehmen die Personalsuche kosten lassen können und wollen, hängt vermutlich auch von der Auftragslage ab. Binder und Aesculap gehören zu jenen, die bislang keine Kurzarbeit angemeldet haben – im Gegensatz zu Marquardt oder Chiron.
Landkreisweit lässt sich nicht sagen, wie viele Menschen und Betriebe aktuell in kurz arbeiten. Die Bundesarbeitsagentur kann nur die Zahlen der Neuanmeldungen für die Kurzarbeit liefern. Ob und wie lange Betriebe von ihr tatsächlich Gebrauch machten, zeige sich erst im Nachhinein, erklärt Elena Niggemann. Bislang liegen nur endgültige Auswertungen für das Frühjahr vor. Demnach waren im März rund 5.000, im April mehr als drei Mal so viele Menschen in Kurzarbeit.
Die Zahl der Neuanmeldungen habe sich seither deutlich reduziert. Im Herbst griffen die Unternehmen aber wieder verstärkt auf das Instrument zurück.