„Wir tun alles, was notwendig ist“
Unabhängig von staatlicher Hilfe will der Klinikgeschäftsführer die Pandemie meistern und die Bürger gut versorgen
- Die zweite Welle ist da: Die Corona-Zahlen steigen auch im Landkreis Tuttlingen unaufhörlich an, die Werte vom April sind überschritten. Welchen Herausforderungen sieht sich der neue Geschäftsführer des Klinikums Landkreis Tuttlingen, Sebastian Freytag, dadurch gegenüber? Redakteurin Ingeborg Wagner unterhielt sich mit ihm.
Herr Freytag – was empfinden Sie, wenn Sie die steigenden CoronaZahlen im Landkreis betrachten?
Wir betrachten den linearen Anstieg der Corona-Zahlen mit Sorge. Die vorgegebenen Warnschwellen sind seit einiger Zeit überschritten, und bisher sehen wir keine Trendwende. Wir werden unsere Anstrengungen verstärken, um die von der Politik beschlossenen Maßnahmen konsequent umzusetzen, sodass die Zahlen sinken und wir weiterhin alle Covid-Patienten versorgen können.
Welche Maßnahmen meinen Sie?
Zum Beispiel unser Appell, dass sich unsere Mitarbeiter auch als Bürger an die Corona-Vorgaben halten und sich keinem vermeidbarem Infektionsrisiko aussetzen. Zudem haben wir frühzeitig mit den steigenden Infektionszahlen wieder den Besuch in unserem Haus eingeschränkt. Sonst, und das ist keineswegs Schwarzmalerei, können wir die gut gesteuerte Versorgung von Kranken nicht mehr dauerhaft aufrechterhalten.
Wie viele Intensivbetten sind derzeit belegt und wie viele verfügbare gibt es?
Ich würde diese Frage gerne von der anderen Seite her beantworten. Wir versuchen, auf Grundlage der Zahlen des Gesundheitsamtes stets zwei bis drei Betten für intensivpflichtige Corona-Patienten bereit zu halten. Anhand dieser Vorgabe steuern wir unsere Kapazitäten. Das ist deshalb wichtig, weil sonst schnell der Eindruck entsteht, dass es eine festgeschriebene Zahl gibt: Doch das ist ein dynamisches Geschehen. Von der Ausstattung mit Geräten können wir 20 Plätze belegen, allerdings reicht dafür unser reguläres Personal nicht aus. Steigt die Zahl der Intensivpatienten, müssen wir dafür sukzessiv Personal aus anderen Bereichen abziehen. Das machen wir nicht vorauseilend, sondern in täglicher Abstimmung – und momentan haben wir noch Aufnahmekapazitäten. Wir als Klinikum können den Herzinfarkt- oder Schlaganfall-Patienten nicht abweisen, auch das müssen wir berücksichtigen. Und: Solange wir dafür die personellen Ressourcen haben und diese nicht für Covid-Fälle benötigen, wollen wir auch weiterhin dringende Operationen durchführen.
Wie viele Corona-Patienten sind Stand heute im Klinikum – wie viele davon auf Intensivstation?
Stand Dienstagmorgen liegen drei Corona-Patienten auf der Intensivstation, weitere elf, einschließlich der Verdachtsfälle, sind auf Station. Wir sind bereit, weitere zwei bis drei Corona-Patienten auf der Intensivstationen aufzunehmen, auf der Normalstation sind weitere neun Aufnahmen kurzfristig möglich.
Hat das Klinikum planbare Operationen bereits verschoben?
Bislang lief der OP-Plan planmäßig. Allerdings haben wir in dieser Woche erste Reduktionen vorgenommen. Einer von vier OP-Sälen in Tuttlingen wird jetzt nicht mehr betrieben, sinngemäß gilt das auch für Spaichingen, wo wir die Operationen für stationär behandlungspflichtige Patienten deutlich reduziert haben. Ich hatte den Eindruck, dass bei der ersten Corona-Welle im Frühjahr sehr abrupt entschieden wurde und die OPs komplett heruntergefahren wurden. Mittlerweile haben wir eine bessere Kenntnis der Dynamik des Infektionsgeschehens. So bekommen wir alle kontinuierlich die Corona-Testungen des Gesundheitsamts für den Kreis Tuttlingen übermittelt. Das ist wichtig für uns, denn anhand dieser Zahlen können wir in etwa ableiten, was an Patienten auf uns zukommt. Wir fahren auf Sicht, auch mit Blick auf Patienten, die vor einem Eingriff stehen. Es gibt Operationen, bei denen es medizinisch verantwortbar wäre, diese in den Januar zu verschieben. Allerdings sind solche Absagen für die betroffenen Menschen psychisch sehr belastend. Auch das müssen wir sehen.
Gibt es einen Triage-Leitfaden für das Klinikum, wenn die CoronaZahlen weiter steigen sollten? Also Auswahlkriterien, wer behandelt würde und wer nicht, falls es zu medizinischen Engpässen kommen würde?
Derzeit ist Triage noch kein Thema. Es gibt Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, kurz Divi, die eine Anpassung ihrer Triage-Empfehlungen an den Kontext der Corona-Pandemie vorgenommen hat. Diese würden auch für uns gelten.
Was sagen diese Empfehlungen aus?
Die wichtigste Aussage ist: Eine medizinisch Triage erfolgt diskriminierungsfrei. Die Entscheidung beruht vor allem auf einer Beurteilung, wie die vorhandenen Ressourcen wirksam eingesetzt werden können. Konkret: Wenn die Beatmung eines alten Menschen Erfolgsaussichten hat, dann spielt die Frage, ob dieser vielleicht nur noch eine Lebenserwartung nach Überstehen der Erkrankung von zehn Jahren und damit deutlich weniger als ein junger Mensch in vergleichbarer Situation hat, keine Rolle.
Mit welchem Defizit rechnen Sie für dieses Jahr durch Corona?
Für die Einschränkung durch die erste Welle der Pandemie gab es Ausgleichszahlungen des Bundes. Soweit wir das kalkuliert haben, ist das in der Tat auskömmlich. Das heißt, die ersten neun Monate werden wir vermutlich ohne wirtschaftlich negative Folgen abschließen können. Dann hatten wir einen sehr leistungsstarken Oktober, in dem wir ein ausgeglichenes Ergebnis erzielt haben. Im November haben erneut erste Einschränkungen begonnen. Ich nehme an, dass diese zunehmen werden. Was unter dem Strich für das Jahr 2020 herauskommt, dazu kann ich noch keine Aussage treffen. Mit dem Landkreis als Träger des Klinikums gibt es aber die klare Verabredung, dass wir das, was notwendig ist, tun, unabhängig davon, ob wir mit staatlichen Unterstützungsleistungen rechnen können oder nicht. Wenn wir uns auf zusätzliche Patienten vorbereiten müssen, hat uns der Landkreis voll umfängliche Unterstützung zugesagt.
Wie ist der Stand der baulichen Veränderungen am Klinikum? Halten Sie an den Plänen Ihres Vorgängers fest?
Ja, an den Zielsetzungen halte ich fest. Diese sehen vor, dass wir die rund 100 Betten, die am Klinikstandort Spaichingen weggefallen sind, in Tuttlingen fest integrieren und Intensivstation und OP erneuern werden. Wie das geschehen soll, welches Baufeld genutzt wird, ob OP und Intensivstation im A-Bau, der links vom Haupteingang liegt, saniert, durch einen Anbau oder eine andere Erweiterungsform ergänzt werden - dazu Alternativen zu erarbeiten, wird Aufgabe der Planer in der ersten Phase der Projektumsetzung sein. Diese werden uns zur Abstimmung vorgelegt. Die Zeitplanung leidet allerdings derzeit unter der Corona-Krise. Präsenztermine sind nur bedingt möglich. Bei einem solchen Vorhaben muss man gewisse Dinge als Team vor Ort besprechen. Unser Ziel ist es, wirtschaftlich und funktional die beste Lösung zu bekommen. Ich hoffe, dass die Pläne Anfang 2021 erstellt sind, sodass es Mitte des nächsten Jahres zu einer Entscheidung kommt, welche Variante umgesetzt wird.
Wie motivieren Sie Ihr Personal in diesen Zeiten?
In den drei Monaten, die ich hier bin und die Menschen kennenlerne, erlebe ich jeden Tag, dass unsere Mitarbeiter gerne ins Haus kommen und hochmotiviert arbeiten. Das gilt auch für mich. Ein zentraler Punkt, den wir als Leitungsgremium leisten können, ist es, gut zu kommunizieren und den Eindruck zu vermitteln, dass wir das Schiff vernünftig steuern. Dazu gehört auch, gut zuhören zu können, aber auch Entscheidungen zu treffen. In diesen Krisenzeiten kann es nicht immer basisdemokratisch zugehen. Umso wichtiger ist es, dass alle Mitarbeiter die Beweggründe kennen, warum wir was wie entscheiden haben. Umgekehrt müssen die Mitarbeiter wissen, dass sie jederzeit ihre Aspekte, Interessen und weiteren Bedenken einbringen können.