Tat in Trossingen gibt Landgericht noch Rätsel auf
Nachbarschaftsstreit endet beinahe tödlich – Prozess wird am 16. November fortgesetzt
- Wie kommt es, dass ein Mann einfach auf seinen Nachbarn einsticht? So geschehen am 1. Mai dieses Jahres in Trossingen. Der Prozess vor dem Landgericht Rottweil wegen Mordversuchs soll die Frage klären. Am ersten Verhandlungstag (wir berichteten) legte der Angeklagte zwar ein Geständnis ab, trotzdem blieben viele Fragen offen – zumal sich Widersprüche zu den Aussagen des Opfers auftaten.
Auf der Anklagebank sitzt ein 55jähriger Mann, der Einsicht zeigt, seine Tat bedauert und sich dafür entschuldigt. Doch als er seine Lebensgeschichte schildert, wird deutlich, dass sie von Brüchen durchzogen ist: Seinen Vater hat er nie kennengelernt, er nennt ihn abschätzig „Erzeuger“. Er wuchs in Mecklenburg-Vorpommern, bei Rostock, auf, lernte Fliesenleger. Seine Mutter starb früh, mit dem Stiefvater verstand er sich nicht. Und als 1989 die Mauer fiel, da war ihm klar: „Ich haue so schnell wie möglich ab!“
Er ging nach Trossingen, wo schon Onkel und Tanten lebten. Hier fand er zwar schnell Arbeit, aber nicht lange, bald kam es zur Entlassung. Immer wieder fand er neue Jobs, aber immer wieder kam es zu Trennungen, aus den unterschiedlichsten Gründen. Hinzu kamen Alkohol-Probleme, wie der heute 55Jährige vor Gericht einräumt. Er wurde zum Einzelgänger. Letztlich wurde Schach sein einziger Lebensinhalt. Seine Außenkontakte hätten sich fast nur auf den Schachclub beschränkt, berichtet er. Und wenn er dort keine Möglichkeit hatte, spielte er daheim Schach per Computer, Tag und Nacht.
Und da kam es lange vor der Tat im vergangenen Mai immer wieder zu Konflikten mit dem Hausmeister im Trossinger Mehrfamilienhaus, in dem beide lebten. Dessen Probleme waren offenbar mindestens gleich groß, weil er unter der Trennung seiner Frau litt und nicht nur flaschenweise Wodka konsumierte, sondern nachts im Schlaf auch regelmäßig laut schrie, wie er im Zeugenstand einräumt. Er war bereits 1994 als Russland-Aussiedler nach Trossingen gekommen: „Ich höre zwar noch gut, verstehe aber schlecht Deutsch.“
Der 59-Jährige erklärt, er leide an verschiedenen Krankheiten und müsse nachts mit Sauerstoffmaske und angeschlossenem Sauerstoffgerät schlafen. Seinen Nachbarn beschreibt er als „völlig unberechenbar“. Einmal habe er ihn freundlich gegrüßt und umarmt, dann aber sei er ausfällig geworden und habe gedroht, er werde ihn mit dem Messer abstechen, wenn der Krach nicht aufhöre. Er nahm das nicht ernst, war auch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Der Streit um die Nachtruhestörung spitzte sich immer mehr zu, bis es schließlich in der Nacht zum 1. Mai zur Tat kam: Der mutmaßliche Täter wartete mit einem langen Küchenmesser in der Hand im Hausflur auf den Kontrahenten und stach „mit voller Wucht“, wie die Ermittlungen ergaben, in den Bauch und den rechten Arm. Das Leben des Opfers konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Der Mann leidet bis heute an den Folgen. Der Prozess wird am 16. November fortgesetzt.