Der Mann als Exot
Es gibt nur wenige männliche Grundschullehrer und Erzieher – Wie das Land reagiert
- Beruflich gesehen gehört Marcel Veit zu einer Minderheit. Der 27-Jährige hat als Erzieher in einem Kindergarten gearbeitet und studiert aktuell, um Grundschullehrer zu werden. Beide Berufe, Erzieher und Lehrer, sind in Baden-Württemberg überwiegend Frauensache. „Gleichaltrige sind oft überrascht, wenn ich erzähle, was mein Job ist“, sagt Veit. Komisch angesehen werde er deshalb nicht. „Aber mir war schon immer klar, dass das keine besonders angesehenen Berufe bei Männern sind.“
Aktuelle Zahlen des Statistischen Landesamts untermauern diesen Eindruck. Demnach ist nur gut jede vierte Lehrkraft an öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg ein Mann. Besonders wenige Männer gibt es an Grundschulen, Werkrealbeziehungsweise Hauptschulen und an sonderpädagogischen Einrichtungen. Dort arbeiten jeweils mehr als 80 Prozent Frauen. Noch deutlicher ist der Männermangel in Kitas. Im Jahr 2019 waren nur 5,7 Prozent des Personals in Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg männlich, ausgehend von einer Beschäftigtenzahl von knapp 96 000. Auch in Bayern lag dieser Anteil 2019 bei unter fünf Prozent.
Die Zahlen der Pädagogischen Hochschulen (PH), an denen Grundschullehrer ausgebildet werden, zeigen ein ähnliches Bild. An der PH Weingarten etwa hat der Anteil männlicher Studenten für das Grundschullehramt in den vergangenen zehn Jahren konstant abgenommen: 2010 waren es noch 13,4 Prozent – bis 2020 sank der Anteil auf 9,2 Prozent. „Es ist ein Negativtrend zu beobachten und wir bedauern das sehr“, sagt Karin Schweizer, Rektorin der PH Weingarten.
Doch warum ist es überhaupt ein Problem, wenn es an Schulen und Kindergärten kaum Männer gibt? Laut der PH Weingarten ist eine Ausgewogenheit der Geschlechter wichtig für die Gleichstellung: Die Fachpersonen in der Kita seien Vorbilder für die Kinder und vermittelten so Geschlechterwissen, erklärt ein Sprecher der PH. „Es wäre ideal, wenn Frauen und Männer repräsentiert wären, sodass die Kinder beide Geschlechter mit den gleichen Attributen erfahren: als zugewandt und fürsorglich, fördernd und fordernd“, erklärt er.
Der Erzieher Marcel Veit stimmt dem zu: „Ein Kindergarten wird nicht schlechter, wenn dort nur Frauen arbeiten. Aber sind beide Geschlechter vertreten, finden die Kinder eher eine Bezugsperson.“Trotzdem könne er nachvollziehen, dass die meisten Männer nicht denselben beruflichen Weg wählen wie er. Vor allem ein Manko falle dabei besonders ins Gewicht: „Ich wünsche mir für den Beruf mehr Wertschätzung. Und das bedeutet auch eine bessere Bezahlung“, so Veit.
Das bemängelt auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg (GEW). „Menschen in diesen Berufen sind einfach schlecht bezahlt“, sagt deren Landesgeschäftsführer Matthias Schneider. „Es wäre wichtig zu zeigen, dass die Arbeit an einer Grundschule genauso viel wert ist wie zum Beispiel an einer Realschule“, so Schneider. Anders als zum Beispiel in Berlin seien Grundschullehrer in Baden-Württemberg für ihre gesamte Laufbahn in einer niedrigeren Besoldungsgruppe als etwa Lehrer der Sekundarstufe – ein Unterschied von mehreren Hundert Euro im Monat.
Für eine Angleichung der Bezahlung bei Lehrerberufen spricht sich auch Anne Sliwka aus. Die Bildungswissenschaftlerin, die bei ihrer Forschung unter anderem die Schulsysteme im internationalen Vergleich betrachtet, sieht dafür Vorbilder in anderen Ländern: „In Kanada oder Japan, wo die Gehälter der verschiedenen Schularten angeglichen wurden, sind viel mehr Männer in der Grundschule tätig. Das ist ein Indikator dafür, dass das Gehalt abschreckend wirkt“, sagt sie.
Allerdings gehe es dabei nicht immer um die Höhe des Gehalts, sondern oftmals allein um die Tatsache, dass die Bezahlung in anderen Lehrerberufen höher sei. „Das Bild vom Mann als Familienernährer ist noch in vielen Köpfen präsent. Deshalb streben Männer eher an, Lehrer in der Sekundarstufe zu werden“, erklärt Sliwka.
Ändern wird sich an der Bezahlung von Grundschullehrern aber vorerst nichts, wie das Kultusministerium auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mitteilt. Mit einer Ausnahme: den Schulleitungen. „Um dieses Amt attraktiver zu gestalten und damit auch mehr Männer zu gewinnen, hat das Kultusministerium die Besoldung der Schulleitungen an Grundschulen angehoben“, so ein Sprecher des Ministeriums. Die Besoldung beginne künftig auf der Stufe A13 – also derselben wie beispielsweise für einen Lehrer der Sekundarstufe – und steige mit zunehmender Schülerzahl gestaffelt an. Das Einstiegsbruttogehalt der Besoldungsgruppe A13 liegt derzeit bei 4523,76 Euro.
Um den Erzieherberuf attraktiver zu machen, hat das Land das Modell der praxisintegrierten Erzieherausbildung (PIA) entwickelt. Dabei bekommen Auszubildende eine Vergütung. Das ist bei der herkömmlichen Ausbildung zum Erzieher anders, weil die Auszubildenden hier die ersten beiden Jahre an einer Fachschule unterrichtet werden. Seit der Einführung im Schuljahr 2012/2013 ist laut Kultusministerium die Anzahl der Erzieher in den Kitas „erfreulich angestiegen“. Und auch mehr Männer werden offenbar angelockt: „Bis einschließlich des Schuljahres 2019/20 haben 13 698 Personen eine praxisintegrierte Erzieherausbildung in Baden-Württemberg begonnen. Dabei beträgt der Männeranteil 15 Prozent. Zum Vergleich: Der Männeranteil in der üblichen Erzieherausbildung betrug im Schuljahr 2018/2019 12,8 Prozent“, erklärt der Sprecher des Ministeriums.
Die GEW lobt die praxisintegrierte Erzieherausbildung – mahnt aber, bei der Gewinnung von Nachwuchskräften früher anzusetzen: „Wir müssen jungen Leuten vermitteln, dass das tolle Berufe sind“, sagt Landesgeschäftsführer Schneider. Auch für Bildungswissenschaftlerin Anne Sliwka liegt eine große Chance darin, die jungen Menschen schon früh an die Berufsfelder heranzuführen. „Es gab deutlich mehr Männer in diesen Berufen, als es noch den Zivildienst gab“, sagt sie.
Viele hätten dadurch gemerkt, dass ihnen Jobs, bei denen sie mit Kindern arbeiten, gefallen könnten. „Ich bin dafür, ein Freiwilliges Pädagogisches Jahr nach dem Abitur einzuführen“, sagt Sliwka. Junge Menschen könnten den Beruf kennenlernen.
Auch der Werdegang von Marcel Veit zeigt, dass so etwas entscheidend sein kann: „Ich habe schon früh Praktika in Kindergärten gemacht und dort das Gefühl bekommen, dass dieser Job sehr erfüllend ist.“