Ein Elefant für Karl den Großen
Eine Globalgeschichte der Nation zeigt, was Deutschland mit der Welt verbindet
Der Titel verwirrt: „Deutschland – Globalgeschichte einer Nation“. Was jetzt? Geht es um die Welt oder nur um ein Land? Es geht um beides. In der modernen Geschichtswissenschaft gibt es einen Trend weg von der eurozentrischen Perspektive, hin zu einer globalen Betrachtung: Was hat Länder und Kontinente verbunden? Welche Verflechtungen gab es? Herausgeber Andreas Fahrmeir, Professor für Neuere Geschichte in Frankfurt, hat Kolleginnen und Kollegen, aber auch Experten aus verwandten Wissenschaften und dem Journalismus gefragt: Welche Einflüsse sind von Deutschland aus in die Welt hinausgegangen? Und welche haben auf das Land eingewirkt? Und das in einem Jahrtausende umfassenden Rahmen.
Ein riesiges Unterfangen, und eines, das die Gefahr der Beliebigkeit birgt wie bei einer Operngala der Stars. Ein Highlight nach dem anderen. 172 Beiträge, vom Homo heidelbergensis (Hermann Parzinger) bis zum Berliner Pannenflughafen (Jürgen Kaube), von der Varusschlacht (Uwe Walter) über den Dreißigjährigen Krieg (Georg Schmidt) bis zu Max Weber (Friedrich Wilhelm Graf) und dem NSU-Prozess (Annette Ramelsberger).
Eine wilde Mischung also, ein Sammelsurium? Ja und nein, herausgekommen ist ein Geschichtsbuch zum Schmökern. Man blättert, bleibt hängen und liest und liest. Über 1683 zum Beispiel, als ein ostpreußischer Junker an der Atlantikküste Ghanas die brandenburgische Flagge hisste. Roberto Zaugg erklärt anhand dieses Forts namens Großfriedrichsburg die Geschichte des Sklavenhandels. Er erzählt von der Konkurrenz der niederländischen, britischen, schwedischen, dänischen und eben brandenburgischen Handelskompanien. Zaugg stellt aber auch den Aufstieg des Kaufmanns Kone Kpole dar. In der Kolonialpropaganda wurde er als „treuer preußischer Negerfürst“dargestellt. Doch in Wirklichkeit war er reich und einflussreich geworden, weil er Mais an die Sklavenschiffe verkaufte, Kanus und Ruderer vermittelte und umgekehrt das Asante-Reich vor Ort im Tausch gegen Gold, Elfenbein und Sklaven mit europäischen Schusswaffen belieferte.
Ein schönes Beispiel für eine Geschichtsschreibung, die über die nationalen Kontexte hinausgeht, ist auch Johannes Frieds Beitrag. Darin geht es um den Elefanten Karls des Großen. Der Frankenkönig hatte 797 eine Gesandtschaft an den Hof des Kalifen Harun al-Rasid geschickt, mit der Bitte um „Entsendung eines Elefanten“. Der Kalif lieferte, 801 kam der Elefant an, 810 war er tot. „Karl war anscheinend mit ihm durch die Lande gezogen ohne Kenntnis einer artgerechten Haltung.“Das ist zunächst mal nur eine Skurrilität. Doch Fried, Doyen der Mittelalterforschung, erzählt keine Anekdote, sondern stellt das Ereignis in einen größeren Zusammenhang. So problematisch die Quellenlage auch sein mag, offenbar hatte der Frankenkönig die Absicht mit der arabischen Welt stärker in Kontakt zu treten. Umgekehrt sei aber auch der Hof in Aachen attraktiv geworden, wie Fried anhand der Herkunftsorte der Gesandten ausmacht, die bei Karl vorstellig werden.
Über den Propheten Mohammed habe es in der westlichen Welt kaum mehr als Gerüchte gegeben, die dann zu propagandistischen Zwecken missbraucht wurden. Doch interessant ist, dass es auch in den aus dem 8. Jahrhundert überlieferten Mohammed-Viten keine Hinweise auf eine eigene Religion und eigene Riten der Anhänger Mohammeds gebe. Vielmehr werde der Prophet lediglich als christlicher Häretiker dargestellt, der die Trinität leugnet, schreibt Fried. „Als Götzenanbeter wie dann im Mittelalter galten die Muslime nicht, so sehr man auch ihren ,Irrglauben’ verurteilte.“
Das fast 1000seitige Kompendium richtet sich eher nicht an Fachwissenschaftler, wenngleich es über einen Anmerkungsapparat und ein Register verfügt. Aber der interessierte Laie bekommt durch die anregende und durchaus auch unterhaltsame Lektüre einen guten Eindruck davon, was „Globalgeschichte“und „entangled history“vermögen: lokale, regionale oder nationale Ereignisse und Entwicklungen mit der Welt verknüpfen. Und die Erkenntnis: Globalisierung ist nichts Neues.
Andreas Fahrmeir (Hrsg.): Deutschland – Globalgeschichte einer Nation, Beck Verlag München, 944 Seiten, 38 Euro.