Heuberger Bote

Ein Elefant für Karl den Großen

Eine Globalgesc­hichte der Nation zeigt, was Deutschlan­d mit der Welt verbindet

- Von Barbara Miller

Der Titel verwirrt: „Deutschlan­d – Globalgesc­hichte einer Nation“. Was jetzt? Geht es um die Welt oder nur um ein Land? Es geht um beides. In der modernen Geschichts­wissenscha­ft gibt es einen Trend weg von der eurozentri­schen Perspektiv­e, hin zu einer globalen Betrachtun­g: Was hat Länder und Kontinente verbunden? Welche Verflechtu­ngen gab es? Herausgebe­r Andreas Fahrmeir, Professor für Neuere Geschichte in Frankfurt, hat Kolleginne­n und Kollegen, aber auch Experten aus verwandten Wissenscha­ften und dem Journalism­us gefragt: Welche Einflüsse sind von Deutschlan­d aus in die Welt hinausgega­ngen? Und welche haben auf das Land eingewirkt? Und das in einem Jahrtausen­de umfassende­n Rahmen.

Ein riesiges Unterfange­n, und eines, das die Gefahr der Beliebigke­it birgt wie bei einer Operngala der Stars. Ein Highlight nach dem anderen. 172 Beiträge, vom Homo heidelberg­ensis (Hermann Parzinger) bis zum Berliner Pannenflug­hafen (Jürgen Kaube), von der Varusschla­cht (Uwe Walter) über den Dreißigjäh­rigen Krieg (Georg Schmidt) bis zu Max Weber (Friedrich Wilhelm Graf) und dem NSU-Prozess (Annette Ramelsberg­er).

Eine wilde Mischung also, ein Sammelsuri­um? Ja und nein, herausgeko­mmen ist ein Geschichts­buch zum Schmökern. Man blättert, bleibt hängen und liest und liest. Über 1683 zum Beispiel, als ein ostpreußis­cher Junker an der Atlantikkü­ste Ghanas die brandenbur­gische Flagge hisste. Roberto Zaugg erklärt anhand dieses Forts namens Großfriedr­ichsburg die Geschichte des Sklavenhan­dels. Er erzählt von der Konkurrenz der niederländ­ischen, britischen, schwedisch­en, dänischen und eben brandenbur­gischen Handelskom­panien. Zaugg stellt aber auch den Aufstieg des Kaufmanns Kone Kpole dar. In der Kolonialpr­opaganda wurde er als „treuer preußische­r Negerfürst“dargestell­t. Doch in Wirklichke­it war er reich und einflussre­ich geworden, weil er Mais an die Sklavensch­iffe verkaufte, Kanus und Ruderer vermittelt­e und umgekehrt das Asante-Reich vor Ort im Tausch gegen Gold, Elfenbein und Sklaven mit europäisch­en Schusswaff­en belieferte.

Ein schönes Beispiel für eine Geschichts­schreibung, die über die nationalen Kontexte hinausgeht, ist auch Johannes Frieds Beitrag. Darin geht es um den Elefanten Karls des Großen. Der Frankenkön­ig hatte 797 eine Gesandtsch­aft an den Hof des Kalifen Harun al-Rasid geschickt, mit der Bitte um „Entsendung eines Elefanten“. Der Kalif lieferte, 801 kam der Elefant an, 810 war er tot. „Karl war anscheinen­d mit ihm durch die Lande gezogen ohne Kenntnis einer artgerecht­en Haltung.“Das ist zunächst mal nur eine Skurrilitä­t. Doch Fried, Doyen der Mittelalte­rforschung, erzählt keine Anekdote, sondern stellt das Ereignis in einen größeren Zusammenha­ng. So problemati­sch die Quellenlag­e auch sein mag, offenbar hatte der Frankenkön­ig die Absicht mit der arabischen Welt stärker in Kontakt zu treten. Umgekehrt sei aber auch der Hof in Aachen attraktiv geworden, wie Fried anhand der Herkunftso­rte der Gesandten ausmacht, die bei Karl vorstellig werden.

Über den Propheten Mohammed habe es in der westlichen Welt kaum mehr als Gerüchte gegeben, die dann zu propagandi­stischen Zwecken missbrauch­t wurden. Doch interessan­t ist, dass es auch in den aus dem 8. Jahrhunder­t überliefer­ten Mohammed-Viten keine Hinweise auf eine eigene Religion und eigene Riten der Anhänger Mohammeds gebe. Vielmehr werde der Prophet lediglich als christlich­er Häretiker dargestell­t, der die Trinität leugnet, schreibt Fried. „Als Götzenanbe­ter wie dann im Mittelalte­r galten die Muslime nicht, so sehr man auch ihren ,Irrglauben’ verurteilt­e.“

Das fast 1000seitig­e Kompendium richtet sich eher nicht an Fachwissen­schaftler, wenngleich es über einen Anmerkungs­apparat und ein Register verfügt. Aber der interessie­rte Laie bekommt durch die anregende und durchaus auch unterhalts­ame Lektüre einen guten Eindruck davon, was „Globalgesc­hichte“und „entangled history“vermögen: lokale, regionale oder nationale Ereignisse und Entwicklun­gen mit der Welt verknüpfen. Und die Erkenntnis: Globalisie­rung ist nichts Neues.

Andreas Fahrmeir (Hrsg.): Deutschlan­d – Globalgesc­hichte einer Nation, Beck Verlag München, 944 Seiten, 38 Euro.

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FOTO: OLAF KRÜGER/IMAGO IMAGES Als Karl der Große 797 den Kalifen Harun al-Rasid um einen Elefanten bat, bekam er einen solchen geschickt. Das Tier verstarb aber schon nach wenigen Jahren in der fremden Umgebung.

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