Messerangriff als letzte Lösung?
Zeugen berichten vor Gericht, wie es zu dem beinahe tödlichen Nachbarschaftsstreit kam
- Da treten reihenweise Zeugen auf, die den Mann auf der Anklagebank als „eigentlich friedvoll“, „umgänglich“oder „ruhig“beschreiben. Dabei hat er gestanden, mit einem langen Küchenmesser auf seinen Nachbarn eingestochen zu haben. Vor dem Landgericht in Rottweil geht der Prozess gegen einen Trossinger wegen versuchten Mordes weiter.
Paradox ist der Stand nach drei Prozesstagen gegen einen 55-jährigen Trossinger. Doch es gibt auch Erklärungen für die Tat. „Er hätte mein Herz getroffen, wenn ich nicht den Arm hochgehalten hätte“, sagte der Kontrahent, 59 Jahre alt. So gingen die Stiche gegen den Arm und dann „mit voller Wucht“, so die Anklage, in den Bauch. Das Opfer erlitt lebensgefährliche Verletzungen, konnte durch eine Notoperation gerettet werden, leidet noch heute – gut ein halbes Jahr danach - an den Folgen und ist nach wie vor arbeitsunfähig.
Der 55-jährige Angeklagte war 1989, gleich nach der Wende, zu seinen Verwandten nach Trossingen gezogen. Seine Cousine hat die Entwicklung aus nächster Nähe miterlebt. Als Zeugin schilderte sie ausführlich und reflektiert ihre Erfahrungen: Er sei anfangs „sehr aufgeschlossen“gewesen und habe auch gleich einen Job und eine Wohnung in der Hauptstraße gefunden. Schon da aber habe ihn der Lärm gestört und deshalb zog er 2001 in das
Mehrfamilienhaus, in dem die Tat geschah.
Der Ärger begann vor etwa fünf Jahren: Sein neuer Nachbar wurde, Tür an Tür, Wand an Wand, zum Dauer-Störenfried und mehr. Der 59-Jährige brachte viele Probleme mit: Scheidung, Alkohol, Krankheiten. Und er machte Krach auf alle mögliche Art, bis hin zu lauten Schreien im Schlaf, wie er selber bestätigte. So ging das Tage, Wochen, Monate, Jahre. Die Konflikte zwischen den beiden Nachbarn häuften sich und sie verschärften sich – bis der jetzt Angeklagte nicht mehr weiterwusste. „Er ist in Panik geraten und hat mich gefragt, ob er eine Nacht bei mir schlafen könne“, berichtete die Cousine. Aus einer Nacht wurden drei, und ihr Besucher habe sich merklich entspannt. Aber es sei auch klar gewesen, dass es kein Dauerzustand werden könne, weil sie das Zimmer auch gebraucht habe, so die Frau. Die „zwanghafte Suche“nach einer neuen Wohnung sei ebenfalls erfolglos geblieben.
Zurück im Mehrfamilienhaus spitzte sich die Lage immer mehr zu. Ihr Cousin habe sie angerufen und „mit zittriger Stimme“erklärt:
„Ich halte es nicht mehr aus! Ich werde noch wahnsinnig! Ich glaube, ich kann mir nur noch mit dem Messer helfen!“Das habe sie nicht für möglich gehalten und deshalb auch nicht ernst genommen, erklärte die Zeugin.
Doch die Signale, dass es doch geschehen könnte verdichteten sich immer mehr: Im November des vergangenen Jahres bedrohte der Mann seinen Nachbarn zum ersten Mal mit dem Messer. Ein Unheil wurde nach Aussagen von Zeugen nur deshalb verhindert, weil der Bedrohte weglief. Ein anderes Mal warf er ihm von einem Balkon auf den anderen Kieselsteine ins Gesicht. Zu einem weiteren, ebenfalls folgenlosen, aber bedrohlichen Angriff mit dem Messer kam es vier Tage vor der Tat.
Dann, am Abend des 1. Mai, wartete der Täter im Flur auf den Hausmeister und stach mit seinem 18 Zentimeter langen Küchenmesser zu. Ob es wirklich versuchter Mord oder das weniger schwere Delikt versuchter Totschlag war, sollen medizinische und psychiatrische sachverständige Gutachter klären helfen. Der nächste Prozesstag findet am 24. November statt.