Geboren im falschen Körper
Gianina Maissen ist transsexuell – Sie hat schon viel erlebt, sich aber nie unterkriegen lassen
- Als Kind ist die Kinderärztin ihre engste Vertrauensperson. Nicht die Eltern. Sie haben ein Alkoholproblem. Aber die instabilen Verhältnisse in der Familie sind nicht die einzigen Sorgen, die Gianina Maissen umtreibt. Gianina ist im falschen Körper geboren, fühlt sich schon sehr früh als Frau und nicht als Mann. Sie ist transsexuell. Und hat mit gerade einmal 21 Jahren schon viel erlebt. Ihr Weg hat sie nach Tuttlingen geführt.
In schnellen Schritten läuft Gianina Maissen am Tuttlinger Donauufer entlang – so, als sei sie froh, vieles in ihrem Leben hinter sich gelassen zu haben. Als könnten kritische Blicke oder Stimmen sie nicht mehr einholen. Über ihre Vergangenheit zu reden, fällt der 21-Jährigen aber nicht schwer. „Ich habe das meiste immer mit mir selbst ausgemacht. Wenn mich jemand doof anmacht, geht das hier rein und da gleich wieder raus“, sagt Maissen und deutet auf ihre Ohren.
Sie wächst in Trun auf. Mit gerade einmal vier Jahren wird sie von ihren Eltern getrennt. Sie sind alkoholabhängig. Daher schreiten die Behörden ein. Von dort an sieht Gianina Maissen ihre Eltern nur noch jedes zweite Wochenende, verbringt die restliche Zeit bei Pflegefamilien und in den letzten drei Jahren vor dem Realschulabschluss in einem Internat. Das Verhältnis zur Familie? Schwierig. Denn obwohl sie merken, dass Gianina sich schon sehr früh gegen Rollenbilder sträubt, sich verkleidet und schminkt: Lange wollen sie nicht akzeptieren, dass Gianina zwar in einem männlichen Körper geboren wurde, sich aber innerlich weiblich fühlt.
Inzwischen habe sich das zwar gelegt, sie habe immer wieder mal Kontakt zu ihrer Familie. „Aber das geht meistens von mir aus. Wobei ich mich auch distanziert habe. Wir leben einfach in verschiedenen Welten.“
Wirklich austauschen können habe sie sich früher eigentlich nur mit ihrer Kinderärztin, sagt Maissen. „Sie war wie meine Psychiaterin.“Mit zehn Jahren spricht Maissen dann zum ersten Mal aus, was sie schon im Alter von fünf Jahren gedacht hat: „Ich bin transsexuell.“
Das macht das Verhältnis zu ihren Mitschülern nicht leichter. Maissen sagt, sie sei gemobbt und sogar geschlagen worden. So bleibt sie oft für sich, schlägt sich alleine durch.
Auch die Umzüge nach Filzbach und später nach St. Gallen bestreitet sie alleine. Nach ihrem Schulabschluss beginnt die 21-Jährige eine Ausbildung in einem Hotel. An Wochenenden tritt sie in einer Konstanzer Gaststätte als Draq Queen auf.
Nicht nur durch die vielen Ortswechsel ist es eine bewegende Zeit für Maissen. Aufgewühlt ist sie damals auch, weil sie nach einer ersten abgebrochenen Hormontherapie Zweifel hat, ob sie ihren Körper verändern möchte. „Ich habe damals schlecht geschlafen, war schon leicht depressiv.“Schwer sei ihr die Entscheidung vor allem gefallen, weil sie damals in einer Partnerschaft war. Die Liebe endete, ihre Zweifel blieben.
Mit einem neuen Partner an ihrer Seite habe sie inzwischen einen zweiten Anlauf gestartet, sagt Maissen. Für die Beziehung hat sie die Schweiz verlassen und ist nach Tuttlingen gezogen – die Entscheidung fiel binnen einer einzigen Woche. Sie habe nicht viel in ihrer Heimat gehalten.
Kontakte pflege sie eigentlich nur noch zu Menschen, die in ähnlichen Situationen steckten wie sie. Die Trans-Szene sei gut vernetzt, weil man Erfahrungen teilen, sich in die anderen besser hineindenken könne.
Die Szene bleibt zwar oft unter sich: Verstecken will sich Maissen aber nicht. Auch in ihrem neuen Job spricht sie offen über ihre Transsexualität. Seit 2019 arbeitet sie als Vertriebspartnerin für einen Kosmetikhersteller und kommuniziert das offen in den sozialen Netzwerken – mit Verweis auf ihre Geschichte. „Ich will zeigen, dass jeder es schaffen kann. Egal, woher er kommt, egal wer er ist.“
Vor Kurzem erntete sie mit einem Post Gegenwind: Warum sie ihre Sexualität so in den Vordergrund stellen müsse, kritisierten User. Maissen sagt: „Es gibt gewisse Personen, die zu dem Thema nichts wissen wollen. Das ist ja auch okay. Aber man sollte jeden Menschen so tolerieren, wie er ist.“Dafür kämpfe sie auch als Mitglied in der Tierschutzpartei. Dort gehört Maissen zum Bundesarbeitskreis für die Queer Community.
Wer vorschnell urteile, solle sie lieber direkt ansprechen, anstatt hinter ihrem Rücken zu sprechen. „Ich bin bei allem sehr offen.“
So spricht sie auch ganz unbeirrt über ihr Körpergefühl, als eine Männergruppe ihren Weg kreuzt. Sie drehen die Köpfe stirnrunzelnd zur Seite, als Maissen mit hohen Schuhen und einer engen Karo-Hose vorbeiläuft. Sie wisse, dass ihre tiefe Stimme manchmal noch für Irritationen sorge. Aber sie fühle sich als Frau. Und das ist nicht nur ein Gefühl, sondern Fakt: Maissen hat ihren Personalausweis ändern lassen.
Neben dieser Formalität hat sie sich vor einem halben Jahr auch ihre Brüste operieren lassen. Das sei ein entscheidender Schritt gewesen, habe ihr Selbstbewusstsein noch einmal bestärkt. Heute kann Maissen sagen: „Ich bin in dem Körper, in dem ich immer sein wollte.“
„Ich habe das meiste immer mit mir selbst ausgemacht“, sagt Gianina Maissen