„Mit den Werten gut/schlecht zu arbeiten, ist schwer“
Rechtsanwalt Bernhard Mussgnug erklärt, wie ein Pflichtverteidiger handeln muss und was ihm daran nicht behagt
- Mord, Raub, Brandstiftung, sexueller Missbrauch: Taten und Hintergründe, die Menschen erschaudern lassen. Der Tuttlinger Bernhard Mussgnug ist seit vielen Jahren Rechtsanwalt und setzt sich als Pflichtverteidiger vor Gericht auch für die Täter ein. Wie er sich dabei fühlt, welche Fälle er nicht übernehmen würde und warum er selbst bei schwer straffälligen Tätern auf einen Freispruch hinarbeiten muss, hat er im Gespräch mit Redakteur Matthias Jansen erklärt.
Warum sind Sie Rechtsanwalt geworden?
Aus Berufung. Ich hatte schon sehr früh mit der Jurisprudenz (Anm. d. Red. Rechtswissenschaft) zu tun. Mein Vater und meine Tante waren Anwälte, mein Onkel Patentanwalt. Ich bin vor dem Studium bewusst auf ein Wirtschaftsgymnasium gegangen, damit ich schon frühzeitig viel mit dem Thema Recht zu tun habe.
Wie sehr hat der Gedanke, sich für das Gute oder das Recht einzusetzen, eine Rolle gespielt?
Das hat primär damit zu tun, in welchem Bereich man sich als Anwalt sieht – Zivil-, Verwaltungs- oder Strafrecht. Da ich auch häufig Opferanwalt bin, komme ich doch auch in den Genuss, mich auf der Seite des Guten zu fühlen. Bei einem Strafverteidiger ist das eher weniger am Platz.
Warum?
Als Strafverteidiger steht man meist auf der Seite des Unrechts. Man muss dramatische Fälle verteidigen und ist in einer Rolle, die einem privat eher unbehaglich ist. Aber das muss man aushalten. Es gibt aber auch Fälle im Zivilrecht, in denen der Mandant Vorstellungen durchsetzen will, die ich nicht ehrenhaft finde. Mit den Werten gut/schlecht zu arbeiten, ist jedenfalls schwer. Ich muss mich auf das Gesetz und das Recht einlassen und das Beste für den Mandanten erreichen.
Wie geht das?
Ich muss alle zulässigen prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, um ein bestmögliches Ergebnis zu erreichen. Das will der Gesetzgeber auch so. Auch bei Mandanten, die sich schwer strafbar gemacht haben, kann auf Freispruch verteidigt werden, wenn die Rechts- oder Beweislage dafür geeignet erscheint. Ich würde aber nicht jeden meiner Mandanten mit auf eine einsame Insel nehmen.
Wie werden Sie informiert, dass Sie Pflichtverteidiger sein sollen?
Bei einer notwendigen Verteidigung hat jeder Beschuldigte die Möglichkeit, einen Anwalt zu wählen. Und Pflichtverteidigungen kann man im Gegensatz zur Wahlverteidigung nur in Ausnahmefällen ablehnen, beispielsweise weil es einen Interessenkonflikt gibt oder man mit anderen Fällen schon überlastet ist. Häufig werde ich nach einer Verhaftung angefragt, ob ich das Mandat auch als Pflichtverteidigung übernehmen würde. Dann lasse ich mir den Fall schildern, sehe, welche Möglichkeiten es gibt und nehme gegebenenfalls an, wenn mich der Fall interessiert. Seit knapp einem Jahr ist es gesetzlich geregelt, dass auch bei der Pflichtverteidigerbestellung grundsätzlich ein Fachanwalt für Strafrecht ausgewählt werden soll. Die Beschuldigten sollen bestmöglich verteidigt werden.
Haben Sie schon einmal einen Fall abgelehnt?
Ja, sicher. Es gibt Verfahren, bei denen ich schon die Gegenseite oder andere Beteiligte vertrete oder Fälle, mit denen ich grundsätzlich Probleme habe.
Was sind das für Fälle?
Bei sexuellem Missbrauch lehne ich das Mandat ab oder lege es nieder, wenn ich den Eindruck habe, dass die Person die Tat begangen hat, dennoch aber einen Freispruch erreichen will. Ich könnte einer vergewaltigten Frau oder einem missbrauchten Kind nie Fragen stellen, die auf Ihre Unglaubwürdigkeit hinweisen sollen, obwohl ich weiß, dass die Tat so passiert ist. Diese Situationen mache ich nicht mit. Fast ausnahmslos überzeuge ich aber den Mandanten, die von mir in solchen Fällen vorgeschlagene opferschonende Verteidigungslinie mitzugehen, weil dies sich letztlich gerade für den Mandanten günstig auswirkt. Etwas anderes ist es, wenn ich das Gefühl habe, dass die vermeintliche Opferseite die Unwahrheit sagt: Beispielsweise die Ehefrau, die im Scheidungsverfahren dem Mann sexuellen Missbrauch eines Kindes vorwirft, um das alleinige Sorgerecht zu bekommen. Da verteidige ich vehement und versuche mit allen Mitteln, das Lügengebäude zum Einsturz zu bringen.
Welche Fälle sind Ihnen noch im Gedächtnis?
Das waren die ganz dramatischen oder tragischen. In der Region gab es viele Tötungsdelikte, die ich verteidigt habe. Beispielsweise den sogenannten Doppelmord aus Leipferdingen aus dem Jahr 2009. Das hat mich bis vor eineinhalb Jahren begleitet. Ich erreichte die Wiederaufnahme, weil das Urteil falsch war. Nach der Umwandlung in eine Bewährungsstrafe ging es bis im vergangenen Jahr noch um die Durchsetzung der Haftentschädigung. Meist sind es Tötungsdelikte. Mein erster Mordfall war 1994 in Wehingen, da hat der Mann seine Frau im Bett erschossen und die Leiche dann im Haus in Kartons versteckt. Oder Fälle in denen Kinder sterben. So wie eine Mutter, die ihrem Kleinkind zwei Milchflaschen ins Bett gelegt hat, und dann für lange Zeit das Haus verlässt in dem Glauben, der getrennt lebende Mann würde bald zum Kind kommen. Das Kind ist dann grausam verdurstet. Oder der dreifache Mord in Villingendorf, bei dem der Täter zuletzt sein eigenes kleines Kind erschoss. Das geht auch an einem erfahrenen Verteidiger nicht spurlos vorbei.
Haben Sie manchmal ein schlechtes Gewissen, dass der Mandant zu gut weggekommen ist?
Ein schlechtes Gefühl habe ich, wenn ich jemand zum Freispruch verholfen und den Eindruck habe, es könnte noch einmal etwas passieren. So wie bei einem Drogenabhängigen, der in Haft oder Therapie gehört hätte, aber freigesprochen wurde und dann kurz danach an einer Überdosis starb. Der Verteidiger ist Organ der Rechtspflege und hat als solcher konsequent, die Interessen des Angeklagten zu vertreten und seine Rechte zu verteidigen.
Wenn ich aber das Gefühl habe, der Mandant ist wieder auf der Straße und gehört da eigentlich nicht hin, weil er rückfällig werden könnte, dann beschäftigt mich das schon. Hier versuche ich dann aber, außerhalb des Strafverfahrens auf meinen Mandanten entsprechend einzuwirken.