Glaubenssätze aufbrechen
Ute Villing und Judith Engst wollen, dass Frauen für sich einstehen
- Fast 75 Prozent der Frauen in Deutschland sind erwerbstätig. In ihrem Erwerbsleben verdienen sie allerdings gerade einmal halb so viel wie Männer, wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Nach wie vor bleiben eher Frauen zuhause bei den Kindern und arbeiten eher in Teilzeit. Doch vielleicht liegt es auch daran, dass sich Frauen tendenziell weniger Gedanken um berufliches Fortkommen und Finanzen machen als Männer. Der Heuberger Bote hat sich darüber, und warum das teilweise so ist, mit Ute Villing und Judith Engst unterhalten.
Ute Villing aus Gosheim ist Supervisorin, bietet Coachings an und leitet zusammen mit ihrem Mann die Business School Alb-Schwarzwald. „Ich wünsche mir, dass frau für sich sorgt, rechnet und verhandelt“, erklärt sie. Judith Engst aus Reichenbach sagt, sie selbst habe wenig Erfahrung mit Diskriminierung aufgrund ihres Frauseins gemacht. „Aber beruflich ist es mir ein Anliegen, Frauen dazu zu bringen, ihren eigenen Wert zu erkennen.“Die Diplom-Forstwirtin hat zusätzlich Betriebswirtschaft studiert und sich als Journalistin auf Finanz- und Steuerthemen spezialisiert. Sie hat bereits mehrere Bücher zu Finanzthemen verfasst, darunter „Wie lege ich 5 000 Euro optimal an?“. Wenn Villing und Engst im Laufe des Gesprächs von „den Frauen“sprechen, so schränken sie ein, dass sie es der Einfachheit halber tun, aber nicht verallgemeinern wollen.
Schnell stellen sie klar: Es geht ihnen nicht darum, dass Frauen andere Berufe ergreifen sollten, um mehr Geld zu verdienen. „Wir hoffen, dass Frauen den Beruf wählen, den sie wollen.“Villing erzählt, dass sie selbst zunächst Sozialpädagogik studiert hat. Ein Berufszweig, in dem man selten reich wird. „Aber dafür schlägt einfach mein Herz.“Jobs im sozialen Bereich sollten besser bezahlt werden, wünschen sich beide. Doch Engst betont auch, dass es ihr vor allem um das Verhalten der Frauen während der Berufstätigkeit geht. „Verhandelt gut, wenn ihr eine neue Stelle antretet, werft alles, was ihr könnt, in die Waagschale und gebt euch auch während einer Tätigkeit nicht für immer mit dem zufrieden, was ist.“Erfahrungsgemäß forderten Frauen in den üblichen beruflichen
Jahresgesprächen weniger ein, selbst wenn ihre Aufgabenfülle gestiegen ist. Männer fragten eher mal nach einer Gehaltserhöhung.
Dass dabei aber nicht immer nur eine „natürliche“Zurückhaltung der Frauen eine Rolle spielt, zeigt folgende Geschichte, die Ute Villing erzählt: Eine Frau verzichtete darauf, ein höheres Gehalt zu fordern, weil sie sonst mehr verdienen würde als ihr Mann und das nur Zoff bedeuten würde. „Ich weiß allerdings nicht, wie häufig das vorkommt“, schränkt Villing ein. Oft fehle Frauen wohl einfach der Mut, mehr zu verlangen. „Das ist tief verankert.“
Denn wer mehr für sich fordert, muss damit rechnen, dass es auch Ärger geben könnte, hebt Engst hervor. „Vor allem spielt oft die Angst eine Rolle, nicht gemocht zu werden“, fügt Villing an. Ihr Tipp: Frauen oder natürlich auch Männer, die damit
Schwierigkeiten haben, sollten sich auf solche Gespräche vorbereiten und am besten vorab mit jemandem üben. Beide betonen, dass eine Frau bei solchen Gesprächen nicht plötzlich auf den Tisch hauen müsse. Es sei ganz wichtig, so Villing, nicht gegen die eigene Natur zu handeln, sondern zu überlegen, was ist mein Weg, wie mache ich das. Es gehe ums „verstehen, ohne einverstanden zu sein“, sagt Engst. „Ich kann mich in die Gegenseite einfühlen, ich verstehe, warum ein höheres Gehalt schwierig ist, und genau deshalb bin ich in einer besseren Verhandlungsposition.“
Nach wie vor haben Frauen mit Vorurteilen zu kämpfen. So bekämen einige beispielsweise noch immer zu hören, „Du heiratest ja eh mal“, sagt Ute Villing. Dabei schwingt mit, frau müsse sich ja nicht um ihren Beruf oder ihre finanzielle Sicherheit kümmern. Die Anzahl solcher Glaubenssätze
ist groß. Und eines von Judith Engsts Lieblingsmottos lautete deshalb: „Glaubenssätze überwinden“. Das Motto soll dabei helfen, Blockaden und Berührungsängste abzubauen - und zwar nicht nur bei Themen, bei denen es explizit um Frauen geht. So will sie das Tabu brechen, „über Geld spricht man nicht“.
Engst plädiert dafür, sich in einer Ehe unbedingt Gedanken über das Steuermodell zu machen (siehe Kasten). Auch Villing hofft, dass Paare offen über Geld und finanzielle Absicherung sprechen und dabei auch Tabuthemen wie eine Scheidung oder den Tod des Partners bedenken. „Frauen sind dann oft im Nachteil.“Alleinerziehenden gilt Villings größte Sorge, und Studien geben ihr recht. Aus dem aktuellen Armutsbericht des paritätischen Wohlfahrtsverbandes geht hervor, dass Alleinerziehende in Deutschland mit über 40 Prozent eines der höchsten Risiken tragen, zu verarmen.
Villing und Engst wünschen sich nicht nur, dass alte Glaubenssätze aufgebrochen werden und sich der gesellschaftliche Blick auf Frauen weiter wandelt, sondern dass Frauen sich „kümmern und ermächtigen“, so Villing. Dass Frauen selbstbewusst vertreten, dass sie zuhause geblieben sind und Kinder bekommen haben. Aber sich auch nicht scheuen, für den Chefposten zu kämpfen, wenn das ihr Wunsch ist.