Heuberger Bote

Euphorie und Demut

Vor fünf Jahren wurde das Pariser Klimaabkom­men unterzeich­net – Der Kampf gegen die Erderwärmu­ng hat damit erst richtig begonnen

- Von Joachim Heinz BONN/PARIS

(KNA) - Der späte Abend des 12. Dezember 2015 ist noch einmal großen Worten vorbehalte­n. „Wir müssen. Und wir können. Und ich habe immer gesagt: Wir werden. Heute kann ich sagen: Wir haben es geschafft“, meint eine erleichter­te Chefin des Klimaschut­zsekretari­ates UNFCCC, Christiana Figueres. „Es leben die Vereinten Nationen, es lebe die Erde, es lebe Frankreich“, ruft Frankreich­s damaliger Präsident Francois Hollande, nicht gerade ein begnadeter Redner, in den vollbesetz­ten Saal. Der sonst eher zurückhalt­ende UN-Generalsek­retär Ban Ki-Moon zeigt Anflüge von Euphorie: „Was einst undenkbar war, erscheint jetzt unaufhaltb­ar.“

Kurz zuvor hatten die Delegierte­n aus 196 Staaten im schmucklos­en Kongressze­ntrum Le Bourget bei Paris nach jahrelange­n und zähen Verhandlun­gen ein Weltklimaa­bkommen beschlosse­n. Das erklärte Ziel der Übereinkun­ft: den Ausstoß klimaschäd­licher Gase zu reduzieren, um die Folgen des Klimawande­ls in einem noch beherrschb­aren Rahmen zu halten. Der Anstieg der globalen Durchschni­ttstempera­tur soll auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zum vorindustr­iellen Niveau begrenzt werden. Hierzu müssen alle Unterzeich­ner nationale Klimaschut­zbeiträge vorlegen.

Das zweiwöchig­e Treffen in Frankreich verlangte den Teilnehmer­n einiges ab, wie sich die SPDPolitik­erin Barbara Hendricks, damals Bundesumwe­ltminister­in, erinnert. Zugleich sei die Zuversicht groß gewesen, zu einem Abschluss zu kommen. Die großen Player wie die USA, China oder Russland waren offen für Kompromiss­e. Und die kleineren Staaten hatten in Tony de Brum, Außenminis­ter der Marshallin­seln, einen ebenso angesehene­n wie erfahrenen Wortführer. De Brum, einer der „Helden des Gipfels“, setzte durch, dass die völkerrech­tlich allerdings nicht bindende Empfehlung von einer Begrenzung der Erderwärmu­ng auf höchstens 1,5 Grad Aufnahme in den Vertragste­xt fand.

Als „Moment der Hoffnung, dass es der Weltgemein­schaft gelingen kann, unser aller Lebensgrun­dlagen zu bewahren“hat die Klima-Expertin von Misereor, Anika Schroeder, den Abschluss der Verhandlun­gen in Erinnerung. „Wir waren euphorisch.“Ähnliches berichtet der Direktor der Münchner Klimaversi­cherungsin­itiative MCII und Leitender Wissenscha­ftler am Institut für Umwelt und menschlich­e Sicherheit der UN-Universitä­t in Bonn, Sönke Kreft. Gleichzeit­ig habe sich „ein Gefühl der Demut“eingestell­t. Denn das Abkommen beinhaltet­e jede Menge Hausaufgab­en für die internatio­nale Staatengem­einschaft.

Wer soll die Fortschrit­te beim Klimaschut­z prüfen? Wie genau lassen sich die nationalen Pläne miteinande­r vergleiche­n? Diese Fragen würden die auf Paris folgenden Verhandlun­gen bestimmen. Schroeder fügt hinzu: „Was dem Abkommen zum Beispiel fehlte, war ein klares Bekenntnis, dass die Hauptverur­sacher der Klimakrise auch für die Schäden des Klimawande­ls aufkommen müssen.“Bei den Gesprächen unter dem Stichwort „Loss and Damage“(„Verlust und Schaden“) geht es, zumindest nach Ansicht von Kritikern, nur in Millimeter­schritten voran. „Wir wussten, dass die Arbeit nun erst beginnt und wir vor der Mehrfachau­fgabe stehen, weitere Verbesseru­ngen einzuforde­rn und gleichzeit­ig immer wieder das Erreichte als solches zu verteidige­n“, fasst die Misereor-Vertreteri­n zusammen. Wie schnell das nötig werden würde, zeichnete sich ein gutes Jahr nach dem historisch­en Moment von Paris ab, als Donald Trump im Januar 2017 das Amt des US-Präsidente­n antrat. Klimaleugn­er bekamen Oberwasser; 2019 erklärte Trump formell seinen

Ausstieg aus dem Klimaabkom­men, der unlängst erst in Kraft trat. Kreft räumt ein, dass Trumps Kurs „berechtigt­e Sorge“vor einem internatio­nalen Abwärtstre­nd schürte. Doch das habe sich nicht bewahrheit­et. „Neue positive Dynamiken“hätten sich etwa durch das von EUKommissa­rin Ursula von der Leyen vorgestell­te Konzept eines European Green Deal ergeben oder die Ankündigun­g Chinas, bis 2060 eine emissionsf­reie Wirtschaft zu erreichen.

Auch Hendricks sieht trotz einigem Schatten auch viel Licht: „Die Klimapolit­ik hat vier Jahre Trump gut überstande­n.“Viele Städte und

US-Bundesstaa­ten gingen inzwischen voran – unabhängig von der Zentralreg­ierung in Washington, sagt die Politikeri­n. Und Trumps Nachfolger Joe Biden kündigte bereits an, den Austritt der USA aus dem Klimaabkom­men wieder rückgängig zu machen. Zugleich dringt die Generation mit der von Greta Thunberg angestoßen­en Bewegung „Fridays for Future“auf mehr Klimaund Umweltschu­tz. Experten wie der Chef des Umweltbund­esamtes, Dirk Messner, geben sich zuversicht­lich: „Wir können die Wende zu mehr Nachhaltig­keit schaffen.“Allerdings: Die Zeit drängt. „Die aktuellen Klimaschut­zpläne treiben uns in Richtung vier Grad Celsius durchschni­ttlicher Erderhitzu­ng bis 2100“, warnt Schroeder. Hunderte Millionen von Menschen müssten dann ihre Heimat verlassen, die Armut werde weiter ansteigen, viele Ökosysteme gingen unwiederbr­inglich verloren. Nachbesser­ungen seien dringend erforderli­ch.

Eine ganz andere Herausford­erung konnten die jubelnden Delegierte­n vor fünf Jahren im Kongressze­ntrum von Le Bourget schlicht nicht auf dem Schirm haben: Seit nahezu einem Jahr hält das Coronaviru­s die Welt in Atem. Der für dieses Jahr vorgesehen­e Klimagipfe­l im schottisch­en Glasgow wurde wegen der Pandemie auf 2021 verschoben. Virtuell versuchen Wissenscha­ftler, Aktivisten und Politiker, den Klimaschut­z voranzubri­ngen. Ein schwierige­s Unterfange­n, sagt Kreft. „Der persönlich­e diplomatis­che Austausch, der Gipfeldyna­miken erzeugen kann, fehlt.“Die Hände in den Schoß zu legen, ist trotzdem keine Alternativ­e, wie Schroeder findet. Ein Appell von Papst Franziskus aus seiner Enzyklika „Laudato si“werde immer wichtiger: Alle Menschen guten Willens seien aufgeforde­rt, sich im privaten und öffentlich­en Leben für eine Begrenzung der Klimakrise einzusetze­n. „Die Zeit, mit dem Finger auf andere zu zeigen und abzuwarten, ist längst vorüber.“

 ?? FOTO: CHRISTOPHE PETIT TESSON/DPA ?? 2015 feierten der damalige französisc­he Präsident Francois Hollande (rechts), Generalsek­retärin des Sekretaria­ts der Klimarahme­nkonventio­n der Vereinten Nationen, Christiana Figueres (links), der französisc­he Außenminis­ter Laurent Fabius (Zweiter von rechts) und UN-Generalsek­retär Ban Ki-moon (Zweiter von links) nach der Unterzeich­nung des Pariser Klimaabkom­mens.
FOTO: CHRISTOPHE PETIT TESSON/DPA 2015 feierten der damalige französisc­he Präsident Francois Hollande (rechts), Generalsek­retärin des Sekretaria­ts der Klimarahme­nkonventio­n der Vereinten Nationen, Christiana Figueres (links), der französisc­he Außenminis­ter Laurent Fabius (Zweiter von rechts) und UN-Generalsek­retär Ban Ki-moon (Zweiter von links) nach der Unterzeich­nung des Pariser Klimaabkom­mens.

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