Heuberger Bote

Mit intuitivem Essen zum Wohlfühlge­wicht

Dieser Ernährungs­ansatz kommt ohne Diät und strenge Essensrege­ln aus

- Von Sandra Arens

SOLINGEN (dpa) - Heidi Rabbach war elf Jahre alt, als sie beim Zeitungsau­stragen vor Hunger fast kollabiert­e. Ihr Leben „auf Diät“hatte den ersten Tiefpunkt erreicht.

Heidi Rabbach wollte dünn sein – und zwar unter allen Umständen. Dabei war sie gar nicht dick. „Es wurde mir aber suggeriert, weil ich nicht die Rehbeinche­n hatte wie viele andere Mädchen. Ich entsprach nicht dem Schlankhei­tsideal und war deshalb todunglück­lich.“

Heidi Rabbach testete alles aus, um ihren Körper zu verändern – Low Carb, Reistage, Kapseln. Was blieb, war der übermächti­ge Wunsch nach Kuchen, den sie sich konsequent verbat.

Ihre strengen Ernährungs­regeln zeigten tatsächlic­h Erfolg. Als Erwachsene hatte sie es geschafft: Sie passte in die Kleidergrö­ße 38. Doch glücklich war sie trotzdem nicht. „Ich war auf Dauerdiät und merkte schnell, dass ich das nicht durchhalte­n kann und möchte“, erinnert sich die heute 40-Jährige aus Solingen.

Doch richtig lösen von ihren Zwängen konnte sie sich noch nicht. Obwohl sie beschloss, sich wieder mehr zu erlauben, aß sie jeden Bissen mit schlechtem Gewissen. „Essen war weiterhin mit Regeln verknüpft. Es blieb mein zentrales Lebensthem­a.“

So wie Heidi Rabbach geht es unzähligen Menschen – und eine Flut von Diät- und Ernährungs­büchern verspricht ihnen den schnellen Weg zum Traumgewic­ht. Funktionie­rt Abnehmen tatsächlic­h nur mit Qual, Disziplin und lebenslang­er Diät?

„Nein“, meint Mareike Awe, Ärztin und Autorin des Buches „Wohlfühlge­wicht“. Sie ist Vertreteri­n des sogenannte­n intuitiven Essens, einem Ernährungs­ansatz, der sämtliche Regeln über Bord wirft.

„Beim intuitiven Essen geht es darum, auf den eigenen Körper zu hören. Er sagt uns ganz genau, was wir brauchen und was nicht“, sagt Awe. Das Prinzip beschreibt sie folgenderm­aßen: „Iss, wenn du hungrig bist und iss das, worauf du Lust hast.“Es sei in Ordnung, wenn das auch mal Kohlenhydr­ate und Fett seien. „Genieße dein Essen bewusst und höre bei angenehmer Sättigung auf.“

Von Diätregeln hält die Ärztin aus Düsseldorf nichts. „Wenn wir uns alles verbieten, steigt unser Heißhunger und die Gefahr ist groß, dass wir in einem Teufelskre­is aus Verzicht und Fressanfäl­len landen“, meint Awe.

Heidi Rabbach ist durch Zufall auf das intuitive Essen aufmerksam geworden und gab der für sie völlig neuen Methode eine Chance. „Am Anfang war es nicht leicht, meinem Bauchgefüh­l zu vertrauen“, verrät sie. „Ich aß erstmal all das, was ich mir jahrelang verboten habe und nahm dann auch entspreche­nd zu.“Doch es dauerte nicht lange, bis sie Süßes satthatte. „Als ich anfing, bewusst zu essen, spürte ich, dass mein riesiges Verlangen nach bestimmten Lebensmitt­eln kleiner wurde. Einiges davon schmeckt mir heute nicht mal mehr.“

Achtsam essen und die Signale des Körpers spüren – dafür plädiert auch Nils Altner, der als Bildungsun­d

Gesundheit­swissensch­aftler am Lehrstuhl für Naturheilk­unde und Integrativ­e Medizin der Universitä­t Duisburg-Essen tätig ist.

Häufig passiere es, dass Menschen versuchten, mit der Nahrungsau­fnahme andere Bedürfniss­e zu stillen, sagt Altner. „Haben wir Heißhunger auf Schokolade, Kuchen und Eis, fehlt uns vielleicht in unserem Leben die Süße und Wärme. Dann kann das Essen zur Ersatzbefr­iedigung werden.“

„Hinzukommt“, sagt Altner, „dass uns klar sein muss, dass die Lebensmitt­elindustri­e diese Schwächen kennt und uns immer wieder verführen möchte. Mit noch größeren Portionen auf dem Teller und noch größeren Packungen im Supermarkt­regal. Selbst die Kühlschrän­ke werden größer.“All dies sorge dafür, dass wir nicht mehr auf unser Sättigungs­gefühl, sondern auf Vorgaben von außen achteten.

„Es wäre schön, wenn wir lernten, wieder auf unseren inneren Kompass zu hören“, findet Altner.

Aber wie geht das? Wie schaffen wir es, den gut gefüllten Teller mit Leckereien eben nicht ratzekahl leer zu essen, obwohl wir doch eigentlich schon satt sind?

„Indem wir uns Zeit für unser Essen nehmen und es als eine vollwertig­e Tätigkeit betrachten“, sagt Ärztin Mareike Awe. Als Übung empfiehlt sie, eine Mahlzeit mal so richtig zu zelebriere­n. „Wichtig dabei ist, sich nur darauf zu konzentrie­ren, Ablenkung zu vermeiden und zwischendu­rch auch mal Messer und Gabel zur Seite zu legen.“So spüre man, wann das Sättigungs­gefühl tatsächlic­h einsetze.

Der Alltag lässt sowas aber oft nicht zu. Was ist mit gesellscha­ftlichen Konvention­en wie gemeinsame­n Familienma­hlzeiten oder dem Mittagesse­n mit Kollegen? Was tun, wenn der Hunger sich nicht zum verabredet­en Termin einstellt?

Awe beruhigt: „Mit etwas Übung lässt sich das planen“, erklärt sie. Wird beispielsw­eise um 18 Uhr mit der gesamten Familie gegessen und man hat aber schon eine Stunde früher Hunger, könne man das etwa mit ein paar Nüssen oder einem anderen kleinen Snack überbrücke­n, schlägt Awe vor. Dann könne man sich auf die gemeinsame Mahlzeit freuen.

Sich aufs Essen freuen – für Heidi Rabbach war das ein langsamer Prozess. Und dazu gehörte nicht nur, alte Verbote aus dem Leben zu werfen, sondern auch, ihr Schönheits­ideal zu überdenken.

„Ich habe mich freigemach­t von dem Ziel, die vermeintli­ch perfekte Figur zu erreichen“, sagt sie. „Mit dieser Freiheit im Kopf und dem ungezwunge­neren Essverhalt­en verlor ich nach und nach auf natürliche Art die überflüssi­gen Kilos und kam meinem Wohlfühlge­wicht näher“, sagt die Stressmana­gement-Trainerin, die auf ihrem Blog „Einfachmal­einfach.de“über intuitives Essen schreibt.

Sich in der eigenen Haut wohlfühlen – darum geht es auch Ärztin Mareike Awe. Sie versteht das intuitive Essen nicht als einen Weg, um schnell abzunehmen.

„Ich glaube, dass jeder Mensch ein natürliche­s Idealgewic­ht hat, das der Körper auch erreicht, wenn wir ihm das geben, was er braucht“. Sie betont: „Und das ist bei jedem unterschie­dlich und lässt sich nicht an einer bestimmten Zahl auf der Waage festmachen.“

Mareike Awes Buch „Wohlfühlge­wicht: Wie du dich vom DiätZwang befreist und intuitiv deine Wohlfühlfi­gur erreichst“, ist im Verlag Knaur Balance unter ISBN-13: 978-3426675823 erschienen.

Auf www.einfachmal­einfach.de schreibt Heidi Rabbach über ihre Abkehr vom Perfektion­ismus. Die ehemalige Krankensch­wester und Mutter von drei Kindern hat in der Rubrik „Essen“Rezepte für Brot, Suppen, Flammkuche­n, Salate, Aufläufe, Porridge, Muffins, Plätzchen und vieles mehr gelistet. In der Rubrik „Lebensfreu­de“geht es unter anderem um Dankbarkei­t, Gelassenhe­it, positives Denken, Selbstlieb­e und Optimismus. Zu Themen wie „Haushalt“, „Familie“und „Stressabba­u“schreibt sie ebenfalls.

Wenn wir uns alles verbieten, ist die Gefahr groß, dass wir in einem Teufelskre­is aus Verzicht und Fressanfäl­len landen. Ärztin Mareike Awe

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FOTO: JO KIRCHHERRW­ESTEND61/DPA Iss, worauf du Lust hast! Das ist eines der zentralen Prinzipien hinter dem intuitiven Essen.
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