Regierung streitet über Impfstrategie
Union verteidigt Minister Spahn gegen Kritik – Zweite Impfung womöglich später
(dpa/AFP/thg) - Die Strategie bei den Impfungen gegen das Coronavirus hat einen Streit innerhalb der Berliner Regierungskoalition ausgelöst. Am Montag verteidigte Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) gegen die harsche Kritik aus den Reihen der SPD, allen voran von Generalsekretär Lars Klingbeil. „Es sterben jeden Tag Menschen. Und da stelle ich mich nicht hin und mache Koalitionsspielchen“, sagte Brinkhaus. Alle Entscheidungen würden im Corona-Kabinett getroffen und da säßen „auch SPD-Minister drin“. Wenn etwas falsch gelaufen sei, müsse man gemeinsam schauen, wie es besser gehen könne. Klingbeil hatte zuvor erklärt, Deutschland stehe im Vergleich mit anderen Ländern schlechter da. „Wir sehen in diesen Tagen, dass es chaotische Zustände gibt“, so der SPD-Generalsekretär.
Zuvor war angesichts des schleppenden Starts Kritik laut geworden, die EU habe vorab zu wenig von dem schließlich als ersten zugelassenen Impfstoff der Firmen Biontech und Pfizer bestellt. Dazu sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag: „Wir sind überzeugt, dass das der richtige Weg war und ist.“Der europäische Zusammenhalt habe sich gerade in der Pandemie als wichtig erwiesen. Hanno Kautz, der Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums,
sagte, das Problem sei nicht die Bestellmenge, sondern die Produktionskapazität.
Auch die Pharmaindustrie verteidigte das Vorgehen. EU und Bund hätten sich „sehr rechtzeitig mit der Beschaffung von Impfstoffen auseinandergesetzt“, sagte Hans-Georg Feldmeier, der Vorsitzende des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen habe niemand voraussehen können, wann welche Firma eine Impfstoffentwicklung erfolgreich abschließt, so Feldmeier.
Spahns Ministerium sucht unterdessen nach weiteren Lösungen. So soll geprüft werden, ob die beim Biontech/Pfizer-Impfstoff vorgesehene zweite Impfung zeitlich gestreckt werden kann. Die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts solle dazu eine Empfehlung abgeben, heißt es in einem Schreiben des Gesundheitsministeriums. Zudem wird angeregt zu prüfen, ob es möglich ist, beim Biontech/PfizerImpfstoff aus jedem Fläschchen jeweils Dosen für sechs statt bis dato fünf Impfungen zuzulassen. Dies hatte auch Feldmeier vorgeschlagen. Außerdem wird in dem Papier auf die erwartete Zulassung weiterer Impfstoffe verwiesen. Am Mittwoch wird die Europäische Arzneimittelbehörde EMA über die Freigabe des Vakzins der US-Firma Moderna entscheiden.
- Wer älter als 80 Jahre alt ist, kann sich gegen Corona impfen lassen – zumindest theoretisch. Praktisch gibt es jedoch Probleme. Der Impfstoff ist knapp, die Plätze sind zum Großteil ausgebucht, Beschwerden sind die Folge. Nächste Woche sollen in Baden-Württemberg zudem die rund 50 Kreisimpfzentren starten. Kann das gut gehen? Die wichtigsten Antworten.
Warum gibt es Kritik?
Menschen, die sich gleich nach Impfstart um einen Termin bemüht haben, bekamen meist zügig und problemlos in einem der Zentralen Impfzentren des Landes einen Termin. Inzwischen häuft sich jedoch die Kritik. Viele klagen über stundenlange Wartezeiten bei der Hotline für die Terminvergabe oder fühlen sich mit der Anmeldung im Internet überfordert. Wer einen Termin für eine Impfung ergattert hatte, musste zuletzt auch damit rechnen, für die zweite Impfung in ein anderes Impfzentrum fahren zu müssen – unter Umständen viele Kilometer entfernt. Insgesamt sei vor allem die Kommunikation des Landes misslungen, sagen Betroffene.
Wie viel Impfstoff gibt es?
Viel weniger als der Bund den Ländern zunächst in Aussicht gestellt hatte. Baden-Württemberg hat bisher nach Angaben des Gesundheitsministeriums knapp 170 000 Impfdosen erhalten. Rund 27 000 Menschen wurden bis Montag geimpft. Jeden Tag kommen mehrere Tausend hinzu. „Doch es gab zu Beginn und auch jetzt noch zu wenig Impfstoff und damit Impftermine“, bestätigt Claudia Krüger, Sprecherin des Gesundheitsministeriums. Am 8. Januar erwartet das Land die nächste Lieferung.
Wann und wie erfahren die betroffenen Gruppen, wann sie dran sind?
Anders als in Bayern gibt es in Baden-Württemberg keine personalisierte Einladung. Das baden-württembergische Gesundheitsministerium hielt dies angesichts mangelnden Impfstoffes für „nicht zielführend“und verweist stattdessen auf die Öffentlichkeitsarbeit, also zum Beispiel die Internetseite des Landes Baden-Württemberg. Termine für die Erst- und Zweitimpfung gibt es dann über die Telefonnummer 116 117 oder über eine zentrale Anmeldeplattform (www.impfterminservice.de).
Macht es derzeit überhaupt Sinn, bei der Hotline anzurufen oder es im Internet zu probieren?
Theoretisch ja. Ob man dann allerdings wirklich einen Termin bekommt, ist nicht sicher. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums hat man die Wartezeiten der Hotline inzwischen im Griff. „Mittlerweile liegen die Wartezeiten im Schnitt bei unter einer Minute“, sagt Krüger. „Das hilft jedoch nur bedingt weiter – wir können nur so viele Termine anbieten wie Impfstoff vorhanden ist.“Wartelisten gibt es aus organisatorischen Gründen nicht.
Bekommen Menschen aus anderen Bundesländern Termine in Baden-Württemberg?
Das ist eigentlich so nicht gedacht und wird laut Gesundheitsministerium vor der Impfung abgefragt. „Dennoch ist es schon vorgekommen, dass Menschen, die in anderen Bundesländern wohnen, in Baden-Württemberg einen Termin erhalten haben“, so die Sprecherin.
Was ist mit Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen kein Impfzentrum aufsuchen können?
Wer im Pflegeheim lebt, wird über ein mobiles Impfteam versorgt. In die eigene Wohnung bestellen kann man ein solches Impfteam aber derzeit noch nicht. Wer also für den Transport keine Angehörigen oder einen Hilfsdienst zur Hand hat, kann momentan nicht geimpft werden. „So bitter das ist, aber diese Menschen müssen dann leider warten, bis der Impfstoff in der Regelversorgung angekommen ist“, sagt Ministeriumssprecherin Krüger. In den Impfzentren gebe es zumindest Rollstühle für weniger mobile Menschen.
Wenn der Impfstoff schon jetzt nicht ausreicht, wie sollen dann die Kreisimpfzentren planen können?
Noch muss das Land den Mangel verwalten. „Wir erarbeiten gerade ein Verfahren zur Verteilung des Impfstoffs an die Kreisimpfzentren“, sagt eine Sprecherin. „Gleichzeitig erwarten wir die Zulassung des Impfstoffs des Herstellers Moderna, der hoffentlich zu einer gewissen Entspannung führen wird.“In einigen Landkreisen wie etwa in Biberach hat man bereits auf den Mangel reagiert und angekündigt, zunächst nur an einzelnen Wochentagen im Kreisimpfzentrum zu impfen.
Was sagen Landratsämter aus der Region?
Die Landkreise haben in den vergangenen Wochen am Aufbau der Kreisimpfzentren gearbeitet, damit ab dem 15. Januar dort die ersten Impfungen stattfinden können. „Die Infrastruktur steht“, sagt etwa Verena Miller, Sprecherin des Landkreises Biberach. „Jetzt steht und fällt alles mit der Anlieferung des Impfstoffes.“Erst wenn der geliefert ist, werden die ersten Termine vergeben. Vorwürfe an das Land hat man hier jedoch nicht. „Das ist für alle eine Herkulesaufgabe, auch für das Land“, sagt Miller. „Da passieren natürlich auch Sachen, die im Nachhinein betrachtet anders besser gewesen wären.“Im Kreis Tuttlingen geht man davon aus, knapp 1000 Impfdosen pro Woche zur Verfügung zu haben. Zieht man davon die Hälfte ab, die für die Zweitimpfung zurückgelegt wird, und diejenigen Dosen, die für die Heime reserviert sind, bleiben für das Impfzentrum rund 180 pro Woche – für 12 000 bis 13 000 Menschen, die nach Schätzungen des Landratsamtes Tuttlingen zur ersten priorisierten Gruppe gehören.
Wie ist die Lage beim Impfen in Bayern?
Auch in Bayern läuft nicht alles rund. Wie in ganz Deutschland wird auch hier seit dem 27. Dezember gegen das Virus geimpft. Zunächst sind Bewohner von Seniorenheimen und Bedienstete aus dem Gesundheitsund Pflegebereich an der Reihe. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums waren bis Sonntag mehr als 61 000 Menschen mit der ersten Impfdosis gegen das Coronavirus versorgt. Eine Anmeldung über das Internet ist in Bayern noch nicht möglich. Einige regionale Impfzentren verfügen über eine eigene Hotline, andere können nur über die überlastete bundesweite Hotline erreicht werden. Und auch in Bayern ist der Impfstoff ist knapp. In Regensburg etwa mussten am Sonntag bereits vereinbarte Impftermine auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden, weil der Impfstoff nicht rechtzeitig geliefert wurde.