Fasnetshochburg Rottweil sagt Narrensprünge ab
Erster Stich ist der Verzicht aufs Abstauben – das „schuld“ist, dass es in Rottweil keine schönen Christbäume gibt
(sbo) - Es wäre der Auftakt der Rottweiler Fasnet, wenn am Dreikönigstag die Kleidle und Larven aus den Schränken und Körben geholt werden, damit die Abstauber sie von Staub und Spinnweben befreien können. Ein Hochtag nicht nur für die 36 Abstauber, sondern auch für die
Familien, die die Herren in Frack und Zylinder sehnlich erwarten.
Doch in diesem Jahr ist alles anders: Nicht nur Frack und Zylinder bleiben im Schrank, sondern die Narrenkleider gleich mit. Die Narrenzunft Rottweil hat schweren Herzens alle Veranstaltungen abgesagt, wie Narrenmeister Christoph Bechtold und Zunftschreiber Frank Huber im
Interview mitteilen. „Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht, weil wir immer noch einen Funken Hoffnung hatten“, heißt es im Infobrief der Zunft an ihre Mitglieder. Doch da die Anzahl der Infizierten in Rottweil trotz aller Beschränkungen nicht sinke, sei es nicht möglich, die Fasnet „wie gewohnt durchzuführen. Die hochansteckende Krankheit und die damit verbundenen schlimmen gesundheitlichen Folgen hindern uns daran, eine Proklamation oder einen Narrensprung zu organisieren“, heißt es weiter.
Im Jahr 1991 habe man die Narrensprünge wegen des Irakkriegs aus moralischen Gründen abgesagt, doch heute gehe es um die „Gesundheit der Mitbürger“. Deshalb zeige die Narrenzunft Rottweil Verantwortung und handle solidarisch – „zum Schutz aller“. Tränen verdrücken und in Erinnerungen schwelgen sei indes erlaubt.
So geben Christoph Bechtold und Frank Huber im Interview Einblicke in die Geschichte des Abstaubens, die so alt – wie man es in Rottweil vielleicht denken mag – gar nicht ist.
Die Rottweiler Fasnet mag ja von allen Seiten vielfach untersucht und beleuchtet sein, was das Abstauben und seine Geschichte anbelangt, gibt es aber offenbar einige dunkle Flecken. „Es ist in der Tat so, dass die Geschichte des Abstaubens nicht erforscht ist“, sagt Frank Huber. Man gehe aber davon aus, dass der Brauch seit den 1950er-Jahren gepflegt werde. „Mit Pinseln, Kleinbesen, Fegern und anderen Utensilien“, wie Winfried Hecht in seinem Abstauberbericht im Buch „Rottweiler Randnotizen“schreibt, würden „schwarz befrackte Herren im Zylinder dem Staub einen geschlagenen Tag lang unbarmherzig zu Leibe rücken“.
In 16 Teams sind die Herren normalerweise unterwegs, nachdem sie feierlich und mit mahnenden Worten vom Narrenmeister ausgesendet wurden. Sechs bis zehn Häuser hat jedes Team zu bewerkstelligen. Dass die Tradition auch in den Narrenhäusern gerne gepflegt werde und zum Fasnetsbrauchtum unbedingt dazugehöre, zeige sich darin, dass „wir inzwischen auch eine Menge junger Haushalte haben, wo dann die Eltern oder gar Großeltern zum Abstauben hinzukommen. Wir haben da einen echten Generationenwechsel“, erzählt Frank Huber, der betont, dass es auch eine Aufgabe sei, neue Haushalte dazuzugewinnen.
Denn bereits den Kindern zu vermitteln, dass Fasnet mehr ist als nur der Narrensprung, sei ganz wichtig. Oft würden die Kinder anfangs ordentlich Respekt vor den Herren in Schwarz haben. „Doch wenn sie merken, dass es bei unserem Besuch lustig zugeht, man mit ihnen Spiele zur Brauchtumspflege macht und sie ins Geschehen mit einbezieht, ist diese Ehrfurcht schnell weg“, sagt Huber und erzählt von seinen eigenen Kindheitserinnerungen an die Abstauber. „Beim ersten Mal hatte ich große Angst und habe mich auf den Dachboden geflüchtet“, sagt er lachend. Mittlerweile sei er selbst mit Frack und Zylinder unterwegs. „Wenn uns die Kinder an der Tür bereits willkommen heißen, wissen wir, dass wir alles richtig gemacht haben“, so Huber.
Auch die Abstauber haben in ihrem Dienst so manche Hürde zu überwinden, was die eine oder andere Anekdote vom Dreikönigstag zeigt. „So mussten wir schon mal beweisen, dass wir einen Schuttig richtig anziehen können“, erzählen die beiden. Auch den Zylinder im Eifer des Gefechts nicht zu vergessen, sei eine Herausforderung. „Und keinesfalls den Christbaum loben, denn dann gibt es Schnaps und das ist ganz gefährlich“, sagt Christoph Bechtold. Deswegen gebe es für ihn in Rottweil keine schönen Christbäume.
„Wir bringen an diesem Tag Freude in die Häuser und stimmen die Leute auf die Fasnet ein. Deswegen ist es doppelt traurig, dass das Abstauben ausfällt. Das macht uns dieses Jahr allen zu schaffen, da es sich bei Dreikönig um einen emotional sehr aufgeladenen Tag handelt“, betont der Narrenmeister, der appelliert, daheim zu bleiben, solidarisch zu sein und sich auf die Fasnet 2022 zu freuen.
Es werde auch keinen Verkauf von Narrenkarten geben. In Erinnerungen schwelgen sei indes erlaubt, und so wollte Christoph Bechtold in guter Tradition am Dreikönigstag auf sein obligatorisches Fleischsalatweckle zum Frühstück nicht verzichten.