Vom Marktplatz einmal quer durch die Stadt
Tuttlingen ehrt sogar den Zerstörer der Honberg mit einem Straßennamen
- Mehr als 1200 Jahre lang besteht die Stadt Tuttlingen, na ja: Damals noch nicht als Stadt, sondern als kleiner Ort. Klar, dass sich die Stadtgeschichte auch in den Straßennamen niederschlägt. Beginnen wir unseren Rundgang auf dem Marktplatz.
Da, wo sich eine Brunnenpyramide erhebt, wo die Marktstände stehen, wo sich Menschen treffen. Wenn nicht gerade Corona ist. Der Name, so alltäglich er klingt, hat einen konkreten Bezug: Er geht auf das Marktrecht zurück, das Tuttlingen seit dem Jahr 1415 besitzt. Das Marktrecht war seinerzeit ein Privileg, Märkte, Messen oder Volksfeste abzuhalten, verliehen von den jeweiligen Herrschern. Im Fall Tuttlingen war das Kaiser Sigismund, der dem Ort an der Donau das Marktrecht per Urkunde verlieht – die leider dem Brand 1803 zum Opfer fiel; das Datum gilt aber als verbürgt.
Über ein 1415 verliehenes Marktrecht kann man in Möhringen nur mitleidig lächeln. Der badische Ort hatte sein Stadt- und Marktrecht bereits 1308 erhalten. In Möhringen heißt ein Straßenzug noch Am Schafmarkt, der im 18. Jahrhundert überörtliche Bedeutung hatte.
An noch ältere Zeiten erinnert die Alemannenstraße. Die Alemannen oder Alamannen waren eine westgermanischer Ethnie, die im Bereich des heutigen Baden-Württembergs, der Deutschschweiz, des Elsass‘, in Vorarlberg und BayerischSchwaben
lebten und später im fränkischen Reich und im Herzogtum Schwaben aufgingen.
Mit der Stadtgeschichte verbunden ist auch die Oberamteistraße. 1755 wurde die Stadt württembergisches Oberamt – ein Verwaltungsbezirk, dem heute in etwa der Landkreis entspricht. Die Nazis änderten den Namen 1934 in Kreis Tuttlingen und 1938 in Landkreis Tuttlingen, nachdem er um den aufgelösten Kreis Spaichingen vergrößert worden war. Sitz des Oberamtes war die heutige Musikschule.
Die Uberstraße erinnert an den großen Landesbaumeister Carl Leonard von Uber (1768 bis 1834), der Tuttlingen nach dem Brand 1803 wieder aufgebaut und der Stadt die Quadratform gegeben hat. Das erste Gebäude der von ihm entworfenen „klassizistischen Planstadt“war das damalige Schulhaus, heute Sitz von Stadtbibliothek und VHS. Die Anweisung, Tuttlingen nicht nach altem Muster wieder aufzubauen, war von Kurfürst Friedrich 1803 erlassen worden.
Ein Name, der für Tuttlingen von Bedeutung war, ist Berthold. Um 1290 geboren und 1350 gestorben, war er Notar und so genannter Registrator Kaisers Ludwigs des Bayern; zwischendurch arbeitete er auch für Bischof Rudolf von Konstanz. Er gilt als einer der Erbauer eines Kanzleiwesens, also letztlich ein Vorläufer des Beamtentums. Seine Besoldungsgruppe ist nicht mehr bekannt.
Einen wahrlich merkwürdige Namensgebung betrifft die Widerholtstraße. Welche Stadt schafft es schon, den Zerstörer ihres Wahrzeichens zu ehren? Tuttlingen hat eine Widerholtstraße – und Konrad Widerholt (manchmal auch Wiederhold geschrieben, vermutlich 1598 – 1667) hat Spuren in der Stadt hinterlassen, die heute noch sichtbar sind: Er brannte die Burg auf dem Honberg nieder. In württembergischen Diensten verteidigte er im Dreißigjährigen Krieg die Festung Hohentwiel über Jahre – aber zu einem hohen Preis: Um Feinden keinen Unterschlupf zu bieten, zerstörte er umliegende Burgen wie eben die auf dem Honberg. Die heutigen sichtbaren Türme sind übrigens keine Originalreste des Bauwerks, sondern wurden im 19. Jahrhundert von einem Förderverein gebaut, allerdings nicht in der ursprünglichen Form.
Immerhin: Auch der Erbauer der Festung, Graf Eberhard im Bart von Württemberg, wird mit einer Straße gewürdigt. Und um die Ecke liegt die Alexanderstraße – die exakte Namensherkunft
ist hier nicht mehr nachzuvollziehen. Es gab einen Herzog Karl Alexander von Württemberg um 1700; in Stuttgart ist aber auch eine Straße nach dem russischen Zar Alexander II. benannt – das wäre auch in Tuttlingen möglich gewesen. Schließlich hatten Russland und Württemberg vielfältige Beziehungen durch Heiraten und Verwandtschaften.