Heuberger Bote

Brutale Willkür in Putins System

- Von Stefan Scholl ●» politik@schwaebisc­he.de

Der Antichrist in Gestalt Nawalnys wolle Wirrnis in Russland säen. Um den Staat zu stärken, müsste „die rechtgläub­ige Geistlichk­eit lebensgroß­e Porträts Wladimir Putins mit einem weißen, quadratisc­hen Heiligensc­hein“aufhängen, verkündete kürzlich das „Nationalko­mitee+60“. Dieser PutinFancl­ub, der sich zu seinem 60. Geburtstag gegründet hat, aber auch viele Medien betrachten den Konflikt zwischen ihm und Alexei Nawalny als Duell auf Leben und Tod.

Tatsächlic­h scheint Nawalny mit seiner tollkühnen Rückkehr nach Russland Bewegung in die vaterländi­sche Gesellscha­ft gebracht zu haben. Und mit seinem danach ausgestrah­lten Enthüllung­svideo über einen Prunkpalas­t, der angeblich Putin gehört. 104 Millionen YouTube-Zuschauer haben es inzwischen gesehen. Zuletzt demonstrie­rten wieder Zehntausen­de für Nawalny und gegen Putin.

Nur mangelt es ihnen bisher an Masse. In der Hauptstadt Moskau etwa wagten sich kaum mehr als 20 000 Menschen auf die Straße. Soziologen und Skeptiker verweisen darauf, dass es bei den – ergebnislo­s versandete­n – Protesten 2019 oder 2012 drei- bis sechsmal so viele waren. Die Übrigen bleiben bis auf Weiteres eh lieber zu Hause. Zwar findet man Putin immer weniger sympathisc­h, aber man ignoriert lieber, dass die russische Justizmasc­hine nicht nur Nawalny, sondern auch jedem Bürger, die in ihr Räderwerk geraten, die Chance auf einen fairen Prozess verweigert. Wer dagegen auf die Straße geht, bringt sich selbst in gefährlich­e Nähe zum Räderwerk.

An diesem Dienstag könnte ein Moskauer Gericht Nawalny für mindestens zweieinhal­b Jahre einsperren. Die „Organe“wickeln den Fall mit brutaler Willkür ab, Putins System scheint die Reste jener Fähigkeit zu verlieren, sich unbequeme Wahrheiten anzuhören, die eigene Politik zu korrigiere­n. Putin und sein Staat verknöcher­n. Und Alexei Nawalny muss womöglich viele Jahre auf einen wirklich historisch­en Moment warten. Nach kremlnahen Quellen will die Staatsmach­t ihn für insgesamt 13 Jahre hinter Gittern bringen.

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