Opposition kontra Wahlrechtsreform
Lieferprobleme, Terminvergabe, Streit um Nachschub – Ein Überblick über die Schwierigkeiten im Kampf gegen Covid-19
(dpa) - FDP, Grüne und Linke wollen die Wahlrechtsreform der großen Koalition mithilfe des Bundesverfassungsgerichts zu Fall bringen. Die drei Oppositionsparteien reichten am Montag in Karlsruhe eine sogenannte abstrakte Normenkontrolle beim höchsten deutschen Gericht ein und stellten einen Antrag auf einstweilige Verfügung. Damit wollen sie die umstrittenen neuen Regelungen vor der Bundestagswahl am 26. September außer Vollzug setzen lassen.
(dpa/sz) Die Hoffnungen waren groß, als die Corona-Impfungen in Deutschland am zweiten Weihnachtstag anliefen – nicht einmal ein Jahr nach Beginn der Pandemie. Doch die Freude ist eingetrübt. Vielen geht es bei der größten Impfaktion der Republik einfach nicht schnell genug voran. Die SPD versuchte zuletzt immer hartnäckiger, Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor sich herzutreiben. Mitten in der Jahrhundertpandemie und acht Monate vor der nächsten Bundestagswahl lieferte sich die Koalition ein Schwarzer-Peter-Spiel. Der Hauptvorwurf: Die jeweils andere Seite setze das Vertrauen der Bevölkerung ins Impfen aufs Spiel. Bei der Videokonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag galt es deshalb, die Wogen zu glätten – und Chancen für mehr Impfungen auszuloten. Die größten Baustellen bei der Impfkampagne im Überblick.
Der Impfstoff-Nachschub: Dass Impfstoff jetzt so rar ist, kommt weder plötzlich noch überraschend. „Wir müssen durch den Winter durchkommen, ohne darauf setzen zu können, dass wir in großem Maße schon Impfstoff zur Verfügung haben“, hatte Merkel bereits Anfang Dezember vorgewarnt. Doch jetzt wird das Problem ganz konkret sichtbar. „Umso wichtiger ist es für die Länder, dass wir genau wissen, wann mit welchen Lieferungen zu rechnen ist, damit wir besser planen können“, fordert Michael Müller (SPD), Berlins Regierender Bürgermeister und Chef der Ministerpräsidentenkonferenz.
Geliefert wurden bisher in Deutschland über 3,5 Millionen Dosen. 2,2 Millionen Dosen wurden gespritzt. Doch Spahns Ministerium bremste allzu forsche Forderungen schriftlich aus: „Obwohl das Bundesgesundheitsministerium eine längerfristige Planbarkeit regelmäßig anmahnt, sehen sich die Hersteller nicht in der Lage, diese aktuell zu gewährleisten.“Einige Länder wie Baden-Württemberg lagern den Impfstoff erst ein, um ihn für die notwendige zweite Spritze sicher zu haben, andere verabreichen im Vertrauen auf kommende Lieferungen gleich alles. Am Freitag wurde das dritte
Vakzin, das von Astra Zeneca, zugelassen. Bis zum 22. Februar werden laut Gesundheitsministerium weitere fünf Millionen Impfdosen oder mehr an die Länder geliefert. Klar ist: Auf die Herstellungskapazitäten kommt es an. Merkel hat betont: „Ich betreibe keine Produktionswerke für Impfstoffe.“
Die Rolle der Hersteller: Bei allem Respekt für die historisch fixe Entwicklung der Corona-Impfstoffe stehen die Anbieter unter verschärfter Beobachtung. Biontech und sein USPartner Pfizer sorgten für Ärger mit einer kurzfristigen Ankündigung, wegen Werksumbauten vorübergehend weniger zu liefern – auch wenn dadurch eine größere Produktion möglich werden soll. Große Erwartungen liegen auf einem neuen Biontech-Werk in Marburg. Am Montagmorgen teilte Biontech mit, man könne im zweiten Quartal möglicherweise bis zu 75 Millionen zusätzliche
Dosen des Vakzins an die Europäische Union ausliefern. Zudem arbeite das Unternehmen an der Erhöhung der Lieferungen ab der Woche vom 15. Februar, um die vertraglich festgelegte volle Liefermenge an Impfstoffdosen im ersten Quartal sicherzustellen.
Mit Astra-Zeneca lieferte sich die EU-Kommission eine scharfe Auseinandersetzung: Der britisch-schwedische Konzern hatte vor gut einer Woche überraschend mitgeteilt, im ersten Quartal statt 80 Millionen nur 31 Millionen Dosen Impfstoff an die EU-Staaten zu liefern. Am Sonntag sagte Astra-Zeneca dann zu, immerhin neun Millionen Dosen mehr zu liefern, also insgesamt 40 Millionen Dosen, wie EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mitteilte. Der Pharmakonzern Bayer teilte am Montagmorgen mit, dass er in die Produktion von Covid-19-Impfstoffen einsteigen wolle. Eine eingehende Prüfung habe ergeben, „dass wir über die erforderlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten verfügen, den mRNA-basierten Impfstoff von Curevac herstellen zu können“. Das Präparat wird vom Tübinger Biotechnologie-Unternehmen Curevac derzeit noch entwickelt und noch nicht zugelassen. Auch das oberschwäbische Biotechunternehmen Rentschler mit Sitz in Laupheim wird Curevac nach eigenen Angaben bei der großvolumigen Herstellung des Impfstoffes unterstützen. „Neben der Produktion des aktiven pharmazeutischen Wirkstoffs und dessen Aufreinigung wird Rentschler Biopharma auch die pharmazeutische Formulierung übernehmen“, heißt es in einer RentschlerMitteilung von Montag. Am Stammsitz in Laupheim laufe zurzeit die Einrichtung der entsprechenden Produktionslinien. Rentschler plant in Laupheim, pro Jahr mehr als 100 Millionen Dosen des Curevac-Impfstoffes herzustellen.
Die Impforganisation: Die Impfungen vor Ort laufen unter Regie der Länder, und einige sind da weiter als andere. Bereitstehen sollen insgesamt mehr als 400 regionale Impfzentren, aber Hochbetrieb herrscht längst noch nicht. Terminbuchungen werden nach und nach angeboten. Bei Impfwilligen gibt es oft Frust, weil viele bei Telefon-Hotlines nicht durchkommen. Über die bundesweite Nummer 116 117 werden Anrufer in den meisten Ländern an Call Center geleitet, die Impffragen beantworten und teils Termine vermitteln. Online geht das meist auch. Aber da kommen regelmäßig Hinweise wie „Aktuell kein Impfstoff mehr verfügbar – derzeit keine weiteren Impftermine buchbar“. Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) beklagt, dass im Südwesten täglich nur 7000 Menschen geimpft werden können, obwohl die Impfzentren deutlich leistungsfähiger wären – wenn es mehr Impfdosen gäbe. Impfberechtigt seien aktuell eine Million Baden-Württemberger. Zuerst geimpft werden sollen Ältere, chronisch Kranke und Pflegekräfte.
Der Impf-Zeitplan:
Bis Mitte Februar sollen alle Pflegeheimbewohner ein Impfangebot erhalten, bis Ende März alle Über-80Jährigen – bis Ende des Sommers dann alle. So hatte es bisher bereits geheißen. Nun teilt das Bundesgesundheitsministerium den Länder noch einmal schriftlich mit, auf Basis von Annahmen sei ein Impfangebot an alle impfwilligen Erwachsenen „im Sommer/3. Quartal“möglich. 96,7 Millionen Impfdosen sollen vom Start der Impfkampagne bis zum Ende des ersten Halbjahres geliefert werden – nach einer von Spahns Beamten auf Basis der Herstellerangaben vorgenommenen Schätzung. Im dritten Quartal sollen 126,6 Millionen Dosen folgen – und im vierten 100,2 Millionen Dosen. Den Großteil sollen bis zum Ende des Sommers Biontech/Pfizer liefern. Spahn nimmt weitere Bestellungen in den Blick, die über das erste Impfangebot hinausgehen – etwa wegen möglicherweise extra nötiger Impfungen gegen Virus-Mutationen. Offen ist, ob bei Covid-19 eine Verstärker-Impfung nach einigen Jahren fällig wird.
Die deutsche Lage im Vergleich: In Israel, Großbritannien und den USA zum Beispiel wurden bisher mehr Menschen pro Einwohner geimpft als in Deutschland. In Großbritannien wurde das Biontech-Präparat auch schon Anfang Dezember zugelassen, auch das in Praxen anwendbare Astra-Zeneca-Produkt wird dort schon gespritzt. In den EUStaaten gibt es weniger große Unterschiede. Weltweit sind die Impfungen ungleich verteilt. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO wurden bisher rund drei Viertel der Dosen in zehn Ländern gespritzt. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus mahnt, es sei nicht richtig, wenn jüngere Erwachsene in reichen Ländern noch vor den Älteren und dem Gesundheitspersonal in den armen Ländern geimpft würden. Experten warnen vor Rückschlägen in der Pandemie durch Impfnationalismus: Gegen die Impfstoffe resistente Virusmutationen könnten vor allem in den Ländern entstehen, wo wenig geimpft wird.