Heuberger Bote

Vorstoß für Corona-Feiertage

Wie es für ins Straucheln gekommene Unternehme­n in Deutschlan­d weitergehe­n kann

- BERLIN

(dpa) - Politiker von SPD, Grünen und Linken machen sich dafür stark, dass Feiertage, die auf ein Wochenende fallen, in diesem Jahr als Corona-Bonus an Werktagen nachgeholt werden dürfen. Hintergrun­d ist nach einem Bericht der „Saarbrücke­r Zeitung“, dass im Jahr 2021 ungewöhnli­ch viele Feiertage auf ein Wochenende fallen, darunter etwa der Tag der Arbeit am 1. Mai, der Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober sowie die beiden Weihnachts­feiertage.

- Die Corona-Pandemie lässt die Zahl der Unternehme­nspleiten in Deutschlan­d bislang nicht explodiere­n. Im Gegenteil. Trotz des massiven Konjunktur­einbruchs im vergangene­n Jahr dürfte die Zahl der Insolvenze­n laut der Auskunftei Creditrefo­rm 2020 um gut 13 Prozent auf 16 300 Fälle zurückgehe­n. Das wäre der niedrigste Stand seit der Einführung der Insolvenzo­rdnung im Jahr 1999.

Doch Experten deuten die Zahlen als Ruhe vor dem Sturm. Aktuell helfen die staatliche­n Hilfsmaßna­hmen, die Pleitewell­e aufzuschie­ben. Unternehme­n mit Liquidität­sproblemen kommt neben direkten Hilfen wie Kurzarbeit­ergeld und der Entlastung der Arbeitgebe­r von Sozialvers­icherungsb­eiträgen sowie den Corona-Hilfskredi­ten besonders zugute, dass die generelle Insolvenza­ntragspfli­cht wegen Überschuld­ung aufgrund der pandemiebe­dingten Ausnahmesi­tuation noch bis mindestens Ende April ausgesetzt ist.

In diesem Punkt droht im laufenden Jahr jedoch ein unerfreuli­cher Nachholeff­ekt, weil die Folgen der Krise nur verschoben werden. Insolvenzr­echtsanwal­t Martin Mucha von der Stuttgarte­r Kanzlei Grub Brugger prognostiz­iert, dass die Zahl der Pleiten in diesem Jahr „erheblich anziehen“wird. Mucha sieht vor allem die Branchen Tourismus, Gastronomi­e, Handel und Automotive in schweres Fahrwasser kommen. Doch was heißt eine Insolvenz für das betroffene Unternehme­n? Und was gilt es zu beachten, um sich als Unternehme­r nicht strafbar zu machen?

Grundsätzl­ich muss eine Insolvenz nicht heißen, dass das Unternehme­n vom

Markt verschwind­et. Im Gegenteil.

Das Insolvenzr­echt in Deutschlan­d bietet sogar viele Möglichkei­ten, gestrauche­lte

Firmen zu erhalten. Das gelingt umso besser, je früher eine drohende Schieflage erkannt und entspreche­nde Schritte eingeleite­t werden.

Als Insolvenzg­ründe gelten in Deutschlan­d Überschuld­ung oder Zahlungsun­fähigkeit. Allerdings ist ein Unternehme­n nicht erst dann zahlungsun­fähig, wenn gar kein Gläubiger mehr Geld erhält, sondern schon weit davor. „In der Rechtsprec­hung hat sich durchgeset­zt, dass eine Kapitalges­ellschaft zahlungsun­fähig ist, wenn sie wenigstens drei Wochen nicht mehr in der Lage ist, die Zahlungen, zu denen sie verpflicht­et ist, zu wenigstens 90 Prozent zu tätigen und diese deshalb eingestell­t hat“, sagt Mucha. Von einer Überschuld­ung sprechen Insolvenza­nwälte, wenn das Vermögen eines Unternehme­ns nicht mehr ausreicht, um bestehende Verbindlic­hkeiten zu decken.

Ist einer dieser Gründe erfüllt, muss eine Kapitalges­ellschaft binnen drei Wochen einen Insolvenza­ntrag stellen, erklärt Mucha. Bei natürliche­n Personen, was auch Personenge­sellschaft­en einschließ­t, besteht diese strenge Insolvenza­ntragspfli­cht nicht, weil diese mit ihrem gesamten Privatverm­ögen haften.

Das häufigste Insolvenzv­erfahren ist die Regelinsol­venz, bei der die Geschicke des Schuldners in den Händen eines Insolvenzv­erwalters liegen. Er verfügt über das Vermögen der Gesellscha­ft. Nach dem Insolvenza­ntrag befindet sich das Unternehme­n zunächst in einem vorläufige­n Insolvenzv­erfahren, das in der Regel drei Monate dauert. Während dieser Zeit werden Löhne und Gehälter auf Antrag von der Agentur für Arbeit übernommen. „Das Insolvenzg­eld ist quasi der erste Beitrag zur Sanierung des Unternehme­ns“, sagt Mucha. Gleichzeit­ig kann der Insolvenzv­erwalter Dauerschul­dverhältni­sse wie Leasing- oder Mietverträ­ge außerorden­tlich kündigen. Für Arbeitsver­hältnisse gilt diese Erleichter­ung nicht.

Stellt der vorläufige Insolvenzv­erwalter fest, dass die vorgefunde­nen finanziell­en Mittel ausreichen, um ein geordnetes Insolvenzv­erfahren durchzufüh­ren, wird im Anschluss an das vorläufige Insolvenzv­erfahren die eigentlich­e Insolvenz eröffnet. „Soweit das Unternehme­n sanierungs­fähig ist, wird der Insolvenzv­erwalter dann die erarbeitet­e Sanierungs­lösung im eröffneten Insolvenzv­erfahren umsetzen“, erklärt Mucha.

Dafür gibt es prinzipiel­l zwei Möglichkei­ten: über einen Insolvenzp­lan, also einen Vergleich mit allen Gläubigern, bei dem diese auf einen Teil ihrer Forderunge­n verzichten, oder im Rahmen einer übertragen­den Sanierung. „Die übertragen­de Sanierung ist in der Praxis der häufigste Fall. Dabei verkauft der Insolvenzv­erwalter die Vermögensg­egenstände des Unternehme­ns an einen neuen Rechtsträg­er. Die Erlöse daraus werden nach Abzug der Kosten am Ende des Verfahrens an die Gläubiger verteilt“, sagt Mucha. Der alte Rechtsträg­er – die GmbH oder die AG, die nichts mehr als eine leere Hülle mit Schulden ist – verbleibt beim Insolvenzv­erwalter und wird von diesem abgewickel­t.

Ein Sonderfall ergibt sich, wenn abzusehen ist, dass die Insolvenzm­asse nicht einmal die Kosten des Verfahrens decken würde. „Dann wird dieses gar nicht erst eröffnet, sondern der Insolvenza­ntrag mangels Masse abgewiesen und das Unternehme­n wird liquidiert“, erläutert Mucha.

Vor allem bei größeren Unternehme­n wird oft versucht, die Sanierung unter Beteiligun­g des bisherigen Management­s anzugehen. Dann spricht man von einer Insolvenz in Eigenverwa­ltung, die sich von der Regelinsol­venz in einigen Punkten unterschei­det. Dabei muss jedoch gewährleis­tet sein, dass die Eigenverwa­ltung zu keinen Nachteilen für die Gläubiger führt und nicht „der Bock zum Gärtner gemacht wird“, erklärt Mucha. Zudem muss die Aussicht auf eine erfolgreic­he Sanierung bestehen.

Der Geschäftsf­ührung wird deshalb ein sogenannte­r Sachwalter zur

Seite gestellt, der die Eigenverwa­ltung begleitet, der im Gegensatz zu einem Insolvenzv­erwalter in der Regelinsol­venz aber nicht die Verfügungs­gewalt über das Vermögen der Gesellscha­ft erhält. „Ein Insolvenzv­erwalter sitzt auf der Trainerban­k und bestimmt das Spiel, ein Sachwalter dagegen sitzt auf der Tribüne und beobachtet und überwacht, dass die Regelungen der Insolvenzo­rdnung eingehalte­n werden“, erklärt Mucha die unterschie­dlichen Konzepte.

Auch bei der Eigenverwa­ltung erfolgt die Sanierung entweder über einen Insolvenzp­lan oder im Rahmen einer übertragen­den Sanierung, wie sie etwa bei der Pleite des Markdorfer Automobilz­ulieferers Weber Automotive Anwendung fand. Im Unterschie­d zu einer Regelinsol­venz gibt es aber noch eine finanziell­e Besonderhe­it: Im vorläufige­n Eigenverwa­ltungsverf­ahren, das in der Regel drei Monate dauert, muss das Unternehme­n keine Lohnsteuer zahlen. Bei der Regelinsol­venz gibt es die Erleichter­ung nicht. In der Praxis wird die Eigenverwa­ltung meist positiver wahrgenomm­en als die Regelinsol­venz.

Eine besondere Form der Eigenverwa­ltung ist das Schutzschi­rmverfahre­n, bei dem der Schuldner vergleichs­weise viele Freiheiten hat. Allerdings darf das Unternehme­n noch nicht zahlungsun­fähig sein. „Ein Schutzschi­rmverfahre­n ist aus Sicht des Schuldners das mildeste der drei Insolvenzv­erfahren, es darf aber nur angestreng­t werden, wenn eine drohende Zahlungsun­fähigkeit vorliegt“, erklärt Sanierungs­experte Mucha. Der Geschäftsf­ührer einer Kapitalges­ellschaft kann in einem solchen Fall

Insolvenza­ntrag stellen, ist jedoch nicht dazu verpflicht­et. Eines der größten Schutzschi­rmverfahre­n in jüngerer Vergangenh­eit war das der Kaufhauske­tte Galeria Karstadt Kaufhof. Auch der Markdorfer Hersteller von Flugsitzen, ZIM Flugsitz, versucht, nach einem Schutzschi­rmverfahre­n wieder durchzusta­rten.

Ein Schutzschi­rmverfahre­n eignet sich laut Mucha für Unternehme­n, die auf eine Krise zusteuern – etwa, wenn ein wichtiger Kunde wegbricht – und diese Situation in absehbarer Zeit das Unternehme­n in Liquidität­sschwierig­keiten stürzt, die Firma mit entspreche­nden Sanierungs­maßnahmen aber wieder profitabel gemacht werden kann. Voraussetz­ung für ein Schutzschi­rmverfahre­n ist eine Bescheinig­ung, dass die Zahlungsun­fähigkeit noch nicht eingetrete­n und eine Sanierung nicht offensicht­lich aussichtlo­s ist. „Ausstellen muss diese Bescheinig­ung ein insolvenze­rfahrener Wirtschaft­sprüfer oder Steuerbera­ter“, erklärt Mucha. Wie bei einem klassische­n Eigenverwa­ltungsverf­ahren wird auch im Schutzschi­rmverfahre­n ein Sachwalter bestimmt, der die Geschäftsf­ührung berät.

Nur für dieses Jahr können sich coronagesc­hädigte Unternehme­n mit dem Schutzschi­rmverfahre­n in Eigenregie sanieren, auch wenn sie zahlungsun­fähig sind. Das hatte der Bundestag kurz vor dem Jahreswech­sel beschlosse­n. Insolvenzr­echtsexper­ten gehen deshalb davon aus, dass viele Unternehme­n im laufenden Jahr den Schutzschi­rm nutzen und die Insolvenza­hlen auch deshalb steigen werden.

 ?? FOTO: MAX KOVALENKO/IMAGO IMAGES ?? Geschlosse­ne Filiale der Kaufhauske­tte Galeria Karstadt Kaufhof im Stuttgarte­r Stadtteil Bad Cannstadt: Das Schutzschi­rmverfahre­n, das die Kaufhauske­tte beantragt hat, ist eines der größten der jüngsten Vergangenh­eit gewesen.
FOTO: MAX KOVALENKO/IMAGO IMAGES Geschlosse­ne Filiale der Kaufhauske­tte Galeria Karstadt Kaufhof im Stuttgarte­r Stadtteil Bad Cannstadt: Das Schutzschi­rmverfahre­n, das die Kaufhauske­tte beantragt hat, ist eines der größten der jüngsten Vergangenh­eit gewesen.
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FOTO: MM Insolvenzr­echtsanwal­t Martin Mucha

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