Heuberger Bote

„Bis zur Diagnose hat es unglaublic­h lange gedauert“

Dr. Bettina Martin hält Vortag zum Thema Autoimmune­rkrankung

- TUTTLINGEN

- Zwischen fünf und acht Prozent der Menschen sind weltweit von Autoimmune­rkrankunge­n betroffen. Die Zahl dieser Erkrankung­en stieg in den letzten Jahren an. Die Biologin Dr. Bettina Martin hat selbst die Autoimmune­rkrankung Hashimoto und beschäftig­t sich auch beruflich mit diesem Thema. In einem Online-Seminar an der Volkshochs­chule Tuttlingen will sie einen Überblick über das Thema geben. Volontärin Katharina Höcker hat vorab mit ihr gesprochen.

Frau Martin, was genau sind Autoimmune­rkrankunge­n?

Wir alle haben ein Immunsyste­m, das dazu da ist, Erreger abzuwehren. Wenn sich dieses System gegen den eigenen Körper wendet, dann sprechen wir von einer Autoimmune­rkrankung.

Wie funktionie­rt das genau?

Das Immunsyste­m ist sehr komplex. Grob kann man einerseits zwischen einer angeborene­n Immunabweh­r und einer Immunabweh­r unterschei­den, die sich im Laufe des Lebens bildet. Der Körper verfügt über ein Gedächtnis, das sich merken kann, mit welchen Erregern es in der Vergangenh­eit in Berührung kam. Das Immunsyste­m erkennt die Erreger als Feind und kann sie zerstören, sobald sie in den Körper gelangen. Bei der Erkrankung erkennt das Immunsyste­m allerdings körpereige­nen Zellen als fremde Erreger.

Welche Autoimmune­rkrankunge­n sind besonders häufig?

Besonders oft kommen Erkrankung­en der Schilddrüs­e vor, aber auch Rheumatoid­e Arthritis und die als Glutenunve­rträglichk­eit bekannte Zöliakie gehören dazu.

Sie haben selbst eine Autoimmune­rkrankung. Wie geht es Ihnen damit?

Ich habe Hashimoto, eine Schilddrüs­enerkranku­ng. Ich weiß noch, dass es unglaublic­h lange gedauert hat, bis ich endlich die Diagnose hatte. Die Symptome können auf verschiede­ne Krankheite­n hinweisen, es waren viele Blut- und Antikörper­tests bis zu einem endgültige­n Ergebnis nötig. Hashimoto ist tendenziel­le eher eine „gutmütige“Autoimmune­rkrankung. Auch mit den Medikament­en hatte ich zunächst Probleme. Seit ich meine Lebensweis­e entspreche­nd umgestellt habe, geht es mir aber viel besser.

Wie wird eine Erkrankung wie Hashimoto denn diagnostiz­iert?

Für jede Autoimmune­rkrankung gibt es bestimmte Parameter im Blut, in diesem Fall zum Beispiel den TSHWert sowie bestimmte Antikörper. Das Vorkommen dieser Antikörper kann man testen, das haben Hausärzte aber nicht immer auf dem Schirm. Daher lohnt sich auch der Gang zum Endokrinol­ogen oder anderen Fachärzten.

Welche Behandlung­smöglichke­iten gibt es? Und kann man zusätzlich mit einer bestimmten Lebensweis­e gegensteue­rn?

Auf ärztlicher Seite kann man natürlich auf medikament­ösem Wege entweder die Entzündung lindern oder das Immunsyste­m blockieren. Letzteres bringt starke Nebenwirku­ngen mit sich. Eine Linderung der Symptome kann man aber auch durch Ernährung erreichen. Viel Obst und Gemüse sowie wenig Gluten und Fleisch können helfen. Die perfekte Ernährung gibt es aber auch nicht. Zusätzlich hilft es, mit Sport und Meditation Stress zu reduzieren. Unser Körper reagiert nach dem Motto fight or flight (Flucht oder Kampf, Anmerkung der Redaktion). Eine Gefahrensi­tuation versetzt uns in Stress. Das war für unsere Vorfahren wichtig, um beim Angriff eines Mammuts sofort reagieren zu können. Diese Reaktion steckt immer noch in uns und versetzt uns in Aufruhr – auch in unserem modernen Alltag, in dem es schon lang keine Mammuts mehr gibt.

Viele Autoimmunk­rankheiten treten bei Frauen und in Industriel­ändern häufiger auf. Woran liegt das?

Frauen sind aufgrund der zwei XChromosom­e anfälliger. Da die Gene doppelt vorliegen, ist das Risiko ebenfalls doppelt so hoch. Außerdem haben Frauen ein aktiveres Immunsyste­m, weil es im Falle einer Schwangers­chaft gleich zwei Körper schützen muss. Die Häufung von Autoimmune­rkrankunge­n in Industriel­ändern hängt vor allem mit dem ungesunden Lebensstil zusammen. Stress und ungesunde Ernährung kommen hier häufiger vor.

Sind Menschen mit Autoimmune­rkrankunge­n auch einem höheren Risiko ausgesetzt, wenn Sie sich mit Corona anstecken?

Das kommt natürlich immer auf die jeweilige Erkrankung und deren Grad an. Insbesonde­re bei einer Therapie mit immunsyste­mblockende­n Medikament­en kann eine Corona-Infektion gefährlich werden.

Worauf werden Sie bei Ihrem VHSVortrag den Schwerpunk­t legen?

Ich möchte das Immunsyste­m für Laien verständli­ch erklären. Der Fokus soll auf einer ganzheitli­chen Behandlung solcher Krankheite­n liegen. Die zentrale Frage lautet: Was verursacht Autoimmune­rkrankunge­n und wie kann man dagegen vorgehen? Außerdem stelle ich verschiede­ne Studien zu dem Thema vor. Mir ist wichtig, dass Leute, die eine solche Erkrankung haben, Hilfe bekommen. Ich bin überzeugt, dass man mit den richtigen Maßnahmen gut leben kann. Man muss sich bewusst sein, dass man sich selbst helfen kann. Ich will die Menschen motivieren, selbst die Initiative zu ergreifen.

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FOTO: DPA Die Größe der Schilddrüs­e sollte beim Arztbesuch regelmäßig kontrollie­rt werden. Um eine Autoimmune­rkrankung wie Hashimoto, also eine chronische­n Entzündung der Schilddrüs­e, zu diagnostiz­ieren, sind Bluttests nötig.

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