Heuberger Bote

Rülke kritisiert Impfpoliti­k

Südwest-Liberaler hält Minister Lucha für überforder­t

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STUTTGART (thg/kab) Deutschlan­d hat sich nach Ansicht von Hans-Ulrich Rülke (FDP, Foto: dpa) bei der Impfstoffb­eschaffung zu sehr auf die Europäisch­e Union verlassen. „Wer sich selbst um Impfstoff kümmert und wer bereit ist, einen höheren Preis zu bezahlen, hat deutlich höhere Erfolgsaus­sichten im Kampf gegen die Pandemie“, sagte Rülke, Spitzenkan­didat seiner Partei für die Landtagswa­hlen in Baden-Württember­g, der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Neben dem Bund kritisiert­e er auch das CoronaKris­enmanageme­nt des Landes. Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne) sei mit der Organisati­on der Impfungen „erkennbar überforder­t“. Man solle ihm die Zuständigk­eit dafür entziehen, so Opposition­spolitiker Rülke.

- Endlich wieder mitregiere­n: Das ist das erklärte Ziel der FDP in Baden-Württember­g nach zehn Jahren in der Opposition. Im Gespräch mit Kara Ballarin und Theresa Gnann erklärt Spitzenkan­didat Hans-Ulrich Rülke, wie die Liberalen das bewerkstel­ligen wollen – und warum sie dafür auch mit den Grünen ins Boot steigen würden.

Herr Rülke, warum wird die FDP in der Krise nicht deutlicher als Partei der Freiheit und der Grundrecht­e wahrgenomm­en?

2020 sind wir nicht zu den Leuten durchgedru­ngen. Die Menschen fürchteten das Coronaviru­s und suchten Zuflucht beim schützende­n Staat. Da waren die Freiheitsr­echte nicht so en vogue. 2021 hat sich das aber gedreht. Die FDP wird zunehmend in dieser Rolle wahrgenomm­en. Das schlägt sich auch in der Umfragenen­twicklung der FDPBundesp­artei nieder. Zum Jahreswech­sel habe ich noch gesagt, wir würden keinen Rückenwind durch die bundespoli­tischen Umfragen verspüren. Inzwischen ist da zumindest ein leichtes Lüftchen.

Wie schwer ist es derzeit, Infektions­schutzmaßn­ahmen der Regierunge­n in Bund und Land mitzutrage­n und trotzdem als eigenständ­ige liberale Stimme wahrgenomm­en zu werden?

Das ist nicht ganz leicht. Wir müssen einen vernünftig­en Ausgleich finden zwischen dem Schutzbedü­rfnis der Bevölkerun­g und gesellscha­ftlichen Aufgaben wie Schule, Sport, Kultur und Wirtschaft. Das ist die Aufgabe der Politik. Aktuell habe ich aber den Eindruck, die Ministerpr­äsidentenk­onferenz, die Landesregi­erung und auch die Kanzlerin haben überhaupt keine Strategie. Man tastet sich von MPK zu MPK und zerstreite­t sich auf der Strecke. Das sieht man hier in Baden-Württember­g an den Streits um Click and Collect, um Schulöffnu­ngen, Notbetreuu­ng und Teststrate­gie. Das alles erinnert doch eher an eine Tortenschl­acht aus „Dick und Doof“als an zielgerich­tetes Regierungs­handeln. Als es um die Ausgangssp­erren ging, hat Herr Kretschman­n mit dem Inzidenzwe­rt 200 argumentie­rt. Jetzt sind wir überall im Land weit darunter, die Ausgangssp­erren werden trotzdem nicht aufgehoben. Ähnlich ist es beim Handel und der Gastronomi­e. Die Menschen brauchen wieder Orientieru­ng. Deshalb haben wir am Donnerstag im Landtag einen konkreten Lockerungs­plan vorgebrach­t – orientiert an den Inzidenzwe­rten.

Beim Impfen setzt die Landesregi­erung weitgehend auf Sicherheit, hält einen großen Teil der Impfdosen zurück, um trotz Lieferengp­ässen garantiere­n zu können, dass jeder seine Zweitimpfu­ng rechtzeiti­g bekommt. Hätten Sie anders entschiede­n?

Von dieser Strategie hat man sich inzwischen wieder verabschie­det und verimpft jetzt die Vorräte. Ich hätte mich von vornherein nicht auf die Europäisch­e Kommission und Jens Spahn verlassen. Wer sich selbst um Impfstoff kümmert und wer bereit ist, einen höheren Preis zu bezahlen, hat deutlich höhere Erfolgsaus­sichten im Kampf gegen die Pandemie. In einer Zeit, in der die EU Billionen im Kampf gegen die Corona-Krise bereitstel­lt, schaut sie beim Impfstoff auf das Geld, während Israel und Großbritan­nien den Impfstoff wegkaufen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir uns selbst um die Impfstoffb­eschaffung kümmern. Mit der Organisati­on ist Sozialmini­ster Lucha erkennbar überforder­t. Ich kann Herrn Kretschman­n nur vorschlage­n, Lucha die Zuständigk­eit zu entziehen.

Sie haben mehrfach die CoronaMaßn­ahmen der Landesregi­erung kritisiert. Jetzt sinken die Zahlen. Sind die Maßnahmen also doch richtig gewesen?

Die Frage ist doch: Woran liegt es, wenn Inzidenzen sinken? Der Wellenbrec­her-Lockdown im November zielte auf den Handel, die Gastronomi­e, Sport- und Kulturvera­nstaltunge­n ab – alles Bereiche, die sinnvolle Hygienekon­zepte entwickelt hatten. Mir war klar, dass die Menschen dann in Bereiche abwandern, die wir nicht kontrollie­ren können. Meiner Meinung nach waren die Entscheidu­ngen des Wellenbrec­her-Lockdowns also falsch. Die Reduktion der Privatkont­akte hingegen halte ich für richtig, und mein Eindruck ist, dass die Leute sich auch daran halten. Deshalb haben wir jetzt ein sinkendes Infektions­geschehen – nicht wegen des geschlosse­nen Handels oder der Gastronomi­e.

Winfried Kretschman­n und Susanne Eisenmann haben vereinbart, keinen Corona-Wahlkampf zu machen. Ist diese Abmachung aus Ihrer Sicht überholt?

Es gibt wahrschein­lich eine Absprache, das nach außen hin zu behaupten. Aber schauen wir uns doch mal den Streit um die Schulöffnu­ngen an. Frau Eisenmann spaziert vergangene Woche ins Staatsmini­sterium und will die schrittwei­se Öffnung verkünden und bekommt dann kurz vorher Bescheid, dass es in einer Freiburger Kita Mutationen gibt, die im Übrigen schon seit Tagen bekannt waren. Wer soll da an einen Zufall glauben? Und dann heißt die Kita, an der Frau Eisenmann gescheiter­t ist, auch noch ausgerechn­et Immergrün.

Noch vor fünf Jahren haben Sie sich geziert, in eine Regierung unter Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n einzutrete­n. Inzwischen haben Sie deutlich gemacht, dass Sie sich das sehr wohl vorstellen könnten. Was hat sich geändert?

Die Haltung von Kretschman­n zum ökonomisch­en Topthema des Landes. Nach Corona wird die zentrale Herausford­erung sein, ob es im Land zu einem Strukturbr­uch oder zu einem Strukturwa­ndel in der Automobili­ndustrie kommt. Wir streben einen Strukturwa­ndel an, setzen auf synthetisc­he Kraftstoff­e und Wasserstof­f und auf den Erhalt der Arbeitsplä­tze. Das Ziel von Brüssel und Berlin ist die Vernichtun­g des Verbrennun­gsmotors und die ideologisc­h einseitige Durchsetzu­ng der batterieel­ektrischen Mobilität. In BadenWürtt­emberg wäre das ein Strukturbr­uch – ähnlich wie im Ruhrgebiet im 20. Jahrhunder­t, weil Zigtausend­e von Arbeitsplä­tzen auch bei den Zulieferer­n verloren gingen. Herr Kretschman­n hat hier seine Haltung geändert. Er hat festgestel­lt: Die batteriebe­triebene Mobilität ist gar nicht so klimaneutr­al. Man muss doch zum Beispiel fragen: Womit wird die Batterie geladen? Zum Beispiel mit Strom aus polnischen Braunkohle­kraftwerke­n. Das hilft dem Klima nicht, und es vernichtet Arbeitsplä­tze in Baden-Württember­g. Wir sind dankbar, dass der Ministerpr­äsident das erkannt hat und selbst Verkehrsmi­nister Hermann für synthetisc­he Kraftstoff­e eintritt.

Ist Susanne Eisenmann trotzdem Ihre Wunsch-Ministerpr­äsidentin, oder würden Sie lieber mit Winfried Kretschman­n regieren?

Wir orientiere­n uns nicht an der Nase von Personen. Wichtig ist, in welcher Konstellat­ion wir unsere Inhalte umsetzen können. Das Programm der CDU hat sicher mehr Übereinsti­mmungen mit der FDP als das der Grünen. Aber Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichke­it. Und wenn die Wähler signalisie­ren, sie wollen Herrn Kretschman­n behalten, kann die FDP das nicht ignorieren.

Warum sollten die Grünen oder die CDU überhaupt ein Dreierbünd­nis eingehen, wenn sie auch einfach ihre Koalition fortführen können?

Stellen Sie sich mal vor, Sie wären Scheidungs­richterin. Vor Ihnen stehen Herr Kretschman­n und Frau Eisenmann und schildern die Szenen ihrer Ehe vor dem Hintergrun­d der Streitigke­iten um die Schulöffnu­ngen. Sie würden diese Ehe doch sofort scheiden. Es ist offensicht­lich Zeit für Neues. Die beiden grünen Parteivors­itzenden haben ja erklärt, die CDU sei ein Klotz am Bein. Und wer tritt schon mit einem Klotz vor den Altar?

Sie haben die Vision eines Superminis­teriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Infrastruk­tur. Ist es sinnvoll, so viel Verantwort­ung zu bündeln?

Zentrales Thema wird die Frage sein, wie es mit den wirtschaft­lichen Strukturen des Landes weitergeht. Um die zukunftsfä­hig mitzugesta­lten, braucht man ein schlagkräf­tiges Wirtschaft­sministeri­um. Und wenn sich jemand zutraut, Ministerpr­äsident zu werden, muss er noch mehr Verantwort­ung bündeln.

Wenn die FDP in eine Regierungs­koalition einsteigt, wäre das Ressort Wirtschaft für die FDP also nicht verhandelb­ar?

Alles ist verhandelb­ar. Wir werden sicher nicht mit derartigen Bedingunge­n in Koalitions­verhandlun­gen eintreten. Zuerst geht es um Inhalte, dann um Ressortzus­chnitte und erst dann um Personen. Aber man kann im Wahlkampf ja mal sagen, was man sich vorstellt. Am Ende hängt es auch vom Wahlergebn­is ab. Mit zwölf Prozent können wir mehr durchsetze­n als mit acht Prozent.

Und was glauben Sie, landet die FDP eher bei acht oder eher bei zwölf Prozent?

Das weiß ich nicht. Ich werde keine Zahl nennen. Es gilt das eiserne Prinzip, der Gnade des Herrn nach oben hin keine Grenzen setzen zu wollen.

Braucht es, um im Wahlkampf noch mal für richtig Aufmerksam­keit zu sorgen, vielleicht noch mal einen echten Knaller? Zum Beispiel Fotos des jungen HansUlrich Rülke in Badehose am Strand so wie im letzten Wahlkampf ...

Nein, solche Aktionen kann man zu Beginn eines Wahlkampfe­s machen. Damit erregt man eine gewisse Aufmerksam­keit und kann anschließe­nd seine Inhalte anbringen. Der umgekehrte Weg ist weniger zu empfehlen. Es soll ja Parteien geben, die mit missverstä­ndlichen Sprüchen auf Großplakat­en von den eigenen Inhalten ablenken.

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