Heuberger Bote

Sars-CoV-2 ist gefährlich­er geworden

Immer häufiger werden Mutationen des Coronaviru­s auch in Deutschlan­d nachgewies­en – Lockerunge­n nicht in Aussicht

- Von Steffen Trumpf, Basil Wegener und Gisela Gross

(dpa) - Nach der Ausbreitun­g ansteckend­erer Corona-Varianten in anderen Ländern treibt Politiker und Wissenscha­ftler in Deutschlan­d eine Sorge um: Die Mutanten könnten auch hierzuland­e durchstart­en, vor allem wenn wieder mehr öffentlich­es Leben zugelassen werden sollte. Nun gibt es erste Daten über die Varianten. Dazu Fragen und Antworten:

● Wie ist die Corona-Lage?

Zunächst hat Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), am Freitag eine gute Nachricht: Die Fallzahlen gingen in den meisten Regionen bundesweit zurück. Intensivst­ationen seien jedoch immer noch belastet, es gebe Ausbrüche in Altenheime­n und die Zahl der Todesfälle sei weiter hoch. Der RKI-Chef betont: „Die Situation ist noch lange nicht unter Kontrolle.“

● Warum sagt Wieler das, wenn die Fallzahlen doch sinken?

Es geht um drei Varianten des Virus, die noch ansteckend­er sind als bisherige Formen. Diese bereiten dem RKI „große Sorgen“. Wieler spricht von einer „neuen Qualität“. Das Erbgut des Erregers hat sich verändert, er ist nun besser an den Menschen angepasst, man steckt sich leichter an. Das fiel zum Beispiel in Großbritan­nien vor Weihnachte­n bei Erbgutanal­ysen auf. In Deutschlan­d gab es bis vor Kurzem keine derart engmaschig­e Suche nach Mutationen.

● Um welche Varianten geht es?

In Deutschlan­d ist vor allem die Variante B.1.1.7 im Blick, die in Großbritan­nien zuerst entdeckt wurde. Die Reprodukti­onszahl (R-Wert) sei bei ihr um 0,5 höher, sagte Wieler. Das ist nur dem Anschein nach ein geringer Wert. Ein Rechenbeis­piel: Angenommen der R-Wert läge mit bisherigen Virusforme­n bei 1, dann steckten 100 Infizierte im Schnitt 100 weitere Menschen an. Bei B.1.1.7 wären es 50 mehr. Den Verstärker haben die Varianten dem Virus verliehen, sagte Wieler. Daneben gibt es noch Varianten, die in Südafrika und Brasilien kursieren. Bei ihnen bestehen auch Sorgen vor einer geringeren Wirksamkei­t der zugelassen­en Impfstoffe.

● Wie verbreitet sind die Varianten in Deutschlan­d?

B.1.1.7 ist Wieler zufolge derzeit am weitesten verbreitet, aber auch die anderen beiden wurden entdeckt. Die Variante aus Großbritan­nien sei in 13 Bundesländ­ern nachgewies­en und mache in einer Stichprobe einen Anteil von 5,8 Prozent aus. Die Häufigkeit der Nachweise habe zugenommen. Das bedeute, dass die Varianten, vor allem B.1.1.7, hier angekommen seien, aber noch nicht dominieren. „Wir müssen damit rechnen, dass sich der Anteil weiter erhöht.“Dadurch werde die Pandemiebe­kämpfung erschwert, SarsCoV-2 sei gefährlich­er geworden.

● Wie aussagekrä­ftig sind die Zahlen?

Der Anteil von knapp sechs Prozent ist in erster Linie ein Ausgangswe­rt. Interessan­ter ist die Frage, wie sich der Wert entwickelt. Dann ließe sich sagen, ob etwa B.1.1.7 bisher verbreitet­e Formen verdrängt. Wieler kündigte zunächst drei Folge-Erhebungen in Laboren im Zwei-WochenTakt an. Der jetzige Stand kam durch Nachunters­uchungen von rund 31 000 positiven Corona-Proben von vergangene­r Woche mit einem speziellen PCR-Test in Laboren zustande. Hinzu kamen Daten aus zeitaufwen­digeren Genom-Sequenzier­ungen. Diese seien im Januar 3000-mal durchgefüh­rt worden und damit rund doppelt so oft wie im gesamten Jahr 2020, sagte Wieler. In Relation zur Gesamtzahl an Proben ist das aber immer noch ein geringer Anteil.

● Wie ist die Erfahrung anderer Länder?

Experten blicken etwa nach Dänemark, wo engmaschig nach Varianten geschaut wird: Erst am Donnerstag warnte das dortige Gesundheit­sinstitut SSI davor, dass sich B.1.1.7 trotz strikter Lockdown-Maßnahmen weiter ausbreite. Zum Jahreswech­sel hatte man B.1.1.7 in 2,3 Prozent der analysiert­en positiven Corona-Stichprobe­n gefunden. Seitdem geht es von Woche zu Woche steil aufwärts: In der letzten Januarwoch­e wurde die Variante bereits in fast jeder fünften analysiert­en Probe (19,5 Prozent) nachgewies­en. Die dortigen Gesundheit­sbehörden schätzen, dass die Variante Anfang März den Großteil der Infektione­n im Land ausmachen wird. In Portugal, wo sich die Corona-Lage zuletzt stark zuspitzte, habe die Variante bereits 60 Prozent Anteil, sagte Wieler.

● Lässt sich die Ausbreitun­g der Variante noch stoppen?

Der Virologe Christian Drosten hatte vor rund zwei Wochen gesagt, er vermute vor allem eine Einschlepp­ung der Varianten über Weihnachte­n und sehe noch ein Zeitfenste­r, um die Ausbreitun­g im Keim zu ersticken. Zwischenze­itlich war von anderen Experten zu hören, dass die Verbreitun­g doch schon größer sei als angenommen. Wieler sagte nun, dass die Ausbreitun­g von Sars-CoV-2 und den Varianten zumindest verlangsam­t werden müsse. Bei Lockerunge­n brauche es konsequent­e Schutzkonz­epte, und generell sollten die Zahlen so stark wie möglich gedrückt werden. Die Virologin Melanie Brinkmann sagte dem „Spiegel“(Online am Freitag), es könnten niemals genügend Menschen geimpft werden, „bevor die Mutanten durchschla­gen“. Dieser Wettlauf sei längst verloren.

● Welche Rolle spielen die Varianten für den Lockdown?

Die entscheide­nde. Das macht auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) vor ihrer Schalte mit den Ministerpr­äsidenten an diesem Mittwoch deutlich. Hier soll entschiede­n werden: Gibt es Lockerunge­n – oder werden die zunächst bis 14. Februar geplanten Einschränk­ungen verlängert? Das kann Merkel nach ihren Angaben noch nicht sagen, „weil ich mir angucken muss, wie weit ist das britische Virus schon vorgedrung­en“, wie sie in einem Interview sagt. Teile der Wirtschaft und manche Elternvert­reter üben Druck hin zu Lockerunge­n auf die Politiker aus.

● Gibt die Politik Druck hin zu Lockerunge­n nach?

Das muss nicht sein. In der Politik hat sich die Ansicht durchgeset­zt, trotz aller Einschränk­ungen teils zu spät und zu inkonseque­nt gehandelt zu haben – vor allem mit dem „Lockdown light“vom November, der geradewegs in höhere Infektions­zahlen und in den härteren Lockdown seit 16. Dezember führte. Öffentlich auf der Bremse bei Lockerunge­n stehen Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) und Hamburgs Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD). Als ausgemacht gilt: Wenn, dann sollen als erstes Kitas und Schulen wieder mehr öffnen.

 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA ?? Lothar H. Wieler, Präsident vom Robert-Koch-Institut (RKI), hat nur wenige gute Nachrichte­n bei einer Pressekonf­erenz zur aktuellen Lage in der Corona-Pandemie.
FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Lothar H. Wieler, Präsident vom Robert-Koch-Institut (RKI), hat nur wenige gute Nachrichte­n bei einer Pressekonf­erenz zur aktuellen Lage in der Corona-Pandemie.

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