Heuberger Bote

185 Mutige outen sich

Künstler bekennen sich öffentlich zu ihrer sexuellen Orientieru­ng und Identität – Ziel ist gesellscha­ftliche Debatte

- Von Barbara Munker und Benedikt von Imhoff MÜNCHEN

(dpa) - Es ist ein beispiello­ser Aufschrei, der das Zeug zum Donnerhall hat. „Wir sind schon da“, schallt es vom Cover des am Freitag erschienen­en „Süddeutsch­e Zeitung Magazins“. „Wir“, das sind 185 Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er, die sich in einem Manifest als schwul, lesbisch, bisexuell, queer, nicht-binär und trans outen. Der Titel hat das Zeug, Geschichte zu schreiben. Allein schon, weil er optisch an den „Stern“Titel mit den Fotos Dutzender Frauen und dem berühmten Zitat „Wir haben abgetriebe­n“vom Juni 1971 erinnert. Für die queere Community könnte das ein Durchbruch sein im Kampf um Anerkennun­g und Gleichbere­chtigung. Wohl alle Unterzeich­nerinnen und Unterzeich­ner von #actout, wie sie ihre Kampagne nennen, können eine Geschichte erzählen über offene oder zumindest versteckte Homophobie.

Ihr sei gesagt worden, „ich solle im Tatort nicht zu viele Karohemden tragen“, erzählt TV-Kommissari­n Karin Hanczewski im Interview mit fünf anderen Künstlerin­nen und Künstlern dem „SZ Magazin“. Das entspricht dem homophoben Stereotyp einer lesbischen Frau, wie ihre Kollegin Eva Meckbach erklärt. Und Mehmet Atesci, Mitglied des Wiener Burgtheate­rs und Gast am Berliner Gorki-Theater, berichtet: „Ich hatte sogar mal eine längere Affäre mit einem heute sehr bekannten Schauspiel­er, der immer im Moment, wo eine dritte Person dazukam, die auch eine Öffentlich­keit hat, anfing, mit einer Frau zu flirten oder begehrend über Frauen zu reden, damit man bloß nicht gesehen wird oder in die Richtung rutscht.“

Homosexuel­len Darsteller­n und Darsteller­innen werde oft nicht zugetraut, heterosexu­elle Rollen authentisc­h zu spielen, weiß Markus Ulrich, Sprecher des Lesben- und Schwulenve­rbands in Deutschlan­d (LSVD). Das hat auch Ulrike Folkerts erlebt, bekannt vor allem aus dem Ludwigshaf­ener „Tatort“. Der Deutschen Presse-Agentur berichtet die 59-Jährige: „Ich wurde für eine Mutterroll­e gecastet, aber als die Regisseuri­n erfuhr, dass ich lesbisch bin, hat sie mir abgesagt. Das ist Diskrimini­erung. Natürlich kann ich eine Mutter spielen.“

Oft ist der Druck von außen groß. Selbst Agenten und Agentinnen rieten queeren Menschen, sich lieber nicht öffentlich zu outen – aus Angst, keine Hetero-Rollen mehr angeboten zu bekommen, erzählt Jenny Luca Renner, LGBT-Vertreteri­n im ZDFFernseh­rat. Auch deshalb hätten einige Darsteller­innen und Darsteller abgelehnt, bei #actout mitzumache­n.

So sind es vorerst 185 Menschen, die eine Debatte anstoßen. Es wird immer angenommen, man gehöre zur Norm“, erzählt Godehard Giese („Babylon Berlin“). Dabei seien sie „mit unserer sexuellen Identität in der Öffentlich­keit nicht sichtbar“. Von vielen ist bekannt, dass sie lesbisch, schwul, trans oder bi sind. Andere outen sich zum ersten Mal. „Wir sind Schauspiel­er*innen. Wir müssen nicht sein, was wir spielen. Wir spielen, als wären wir es – das ist unser Beruf“, betonen sie in ihrem Manifest. Das gemeinsame Outing hat manchem geholfen, die Angst vor dem Karrierekn­ick zu überwinden.

„Die Kraft und den Schutz der Masse genutzt. Großartig“, kommentier­t ZDF-Fernsehrät­in Renner.

Doch bis zur völligen Akzeptanz ist es noch ein weiter Weg. Schauspiel­er André Eisermann („Kaspar Hauser“) betont, ein Teil der Gesellscha­ft habe noch immer ein Problem damit, wenn Menschen offen zu ihrer Homosexual­ität stehen. „Solange es solche Menschen gibt – leider auch in den

„Fachkreise­n“–, wird es nicht gleichgült­ig sein, ob jemand schwul oder lesbisch ist“, sagt er. Und TV-Kommissari­n Folkerts beklagt eine falsche Toleranz: Heterosexu­elle erhielten Preise für die Darstellun­g von Homosexuel­len. „Da heißt es dann: Wie mutig! Und dass der oder die sich das traut.“Jedoch: „Ich bin ja auch nicht Polizistin, spiele aber eine Kommissari­n.“

Auch deshalb nehmen Forderunge­n zu, dass queere Rollen nur von queeren Menschen gespielt werden sollten. Zuletzt betonte der britische Autor Russell T. Davies („Queer as Folk“, „Years and Years“), er besetze Homosexuel­le nur noch mit Homosexuel­len. Es gehe um Authentizi­tät, sagte Davies. Ulrike Folkerts sagt, sie sei zwar anderer Meinung, könne diese Haltung aber nachvollzi­ehen. „Das spricht für eine Sensibilis­ierung allen LGBTI-Menschen gegenüber.“LGBTI steht für Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Trans* und Inter*.

In Hollywood bahnt sich nach jahrelange­r Kritik über Mangel an Diversität und Inklusion ein langsamer Wandel an. So gab die Oscar-Akademie vorigen Herbst neue Standards bekannt, nach denen Bewerber in der Sparte „Bester Film“künftig Vielfaltsk­riterien erfüllen müssen. Das reicht von Diversität­squoten für die Rollenbese­tzung bis zu LGBT-Inhalten.

Hollywood-Star Scarlett Johansson war 2018 nach langer Kontrovers­e von dem Film „Rub & Tug“abgesprung­en. In dem Biopic sollte sie den Transmann Dante Gill spielen. Dem Magazin „Out“teilte Johansson damals mit, ihr Casting in dieser Rolle sei „unsensibel“gewesen.

Kürzlich blickte Oscar-Preisträge­rin Julianne Moore selbstkrit­isch auf ihr Casting mit Annette Bening als Lesbenpaar in der Familienko­mödie „The Kids Are All Right“(2010). „Alle Hauptakteu­re waren heterosexu­ell“, sagte sie reumütig dem Filmblatt „Variety“.

Heute verfährt man anders. Zahlreiche Kollegen sprachen etwa ihre Unterstütz­ung aus, als „Juno“-Star Elliot Page im Dezember sein TransComin­g-out in den sozialen Medien verkündet hat. An seiner Rolle in der Netflix-Serie „The Umbrella Academy“über eine Gruppe von Superhelde­n hat sich nichts geändert – der Kanadier spielt die weibliche Figur Vanya. LSVD-Sprecher Markus Ulrich betont: „Wenn auch geoutete LGBTSchaus­pielerinne­n und -Schauspiel­er selbstvers­tändlich für Nicht-LGBTRollen gecastet werden, würde sich auch die Diskussion um die Besetzung von LGBT-Rollen erübrigen.“

 ?? FOTO: SÜDDEUTSCH­E ZEITUNG/DPA ?? „Wir sind schon da“, schallt es vom Cover des „Süddeutsch­e Zeitung Magazins“. Wir – das sind 185 Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er, die sich als schwul, lesbisch, bisexuell, queer, nicht-binär und trans outen.
FOTO: SÜDDEUTSCH­E ZEITUNG/DPA „Wir sind schon da“, schallt es vom Cover des „Süddeutsch­e Zeitung Magazins“. Wir – das sind 185 Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er, die sich als schwul, lesbisch, bisexuell, queer, nicht-binär und trans outen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany