Die Zukunft der Wüstenschiffe
Dromedare haben Kultur und Wirtschaft in Wüstenregionen über Jahrtausende geprägt – Der Klimawandel könnte den oft nur noch als Touristenattraktion dienenden Tieren eine Renaissance bescheren
Als Gott den Menschen geschaffen hatte, waren noch zwei Tonklumpen übrig geblieben. Aber auch die wurden nicht verschwendet. Denn aus dem einen entstand die Dattel und aus dem anderen das Dromedar. So erzählt es jedenfalls eine arabische Legende. Vor allem in den heißen und trockenen Regionen der Erde gibt es zahllose solcher Geschichten, in denen die einhöckrigen Kamele als geschätzte Protagonisten mitspielen. Immerhin haben sie die Kultur und die Wirtschaft in solchen Gebieten schon seit Jahrtausenden geprägt. Und das hat seine Spuren hinterlassen. Nicht nur in den Märchen und Legenden der Menschen. Sondern auch im Erbgut der Dromedare.
Über letzteres ist im Vergleich zu anderen Nutztieren bisher eher wenig bekannt. Zwar hatten Forscher durchaus schon Dromedar-DNA aus unterschiedlichen Regionen verglichen. Dabei hatten sie sich allerdings auf wenige genetische Marker konzentriert. Regionale Besonderheiten sind dabei kaum herausgekommen, das Erbgut wirkte eher wie ein weltweiter Einheitsbrei ohne große Struktur.
Nun aber hat Sara Lado im Team von Pamela Burger von der Veterinärmedizinischen Universität Wien einen umfassenderen Blick auf die DNA von Dromedaren aus 18 Ländern geworfen. Dabei haben die Forscherinnen
mehr als 22 000 verschiedene Abschnitte untersucht, die sich über das ganze Genom verteilen. So konnten sie nicht nur mehr über die genetische Vielfalt der Art herausfinden. Die Ergebnisse zeichnen auch die gemeinsame Geschichte von Dromedaren und Menschen nach.
Begonnen hat diese Allianz erst vor 3000 bis 4000 Jahren. Damit gehören die einhöckrigen Kamele zu den letzten Tieren, die domestiziert wurden. Doch es sollte für beide Seiten eine Erfolgsgeschichte werden. „Es könnte durchaus sein, dass die Dromedare ohne die Domestikation ausgestorben wären“, sagt Pamela Burger. Denn die Art schien ihre goldenen Zeiten damals längst hinter sich zu haben, die letzte Eiszeit hatte die Bestände massiv dezimiert. Über die Arabische Halbinsel, die als eines der Zentren der Domestikation gilt, schaukelten damals nur noch wenige „Wüstenschiffe“.
Das lässt sich zum einen an der bescheidenen Zahl der Dromedarknochen ablesen, die Archäologen dort aus dieser Zeit gefunden haben. Zum anderen war mit der Zahl der Tiere auch ihre genetische Vielfalt deutlich geschrumpft. Diesen „genetischen Flaschenhals“können Pamela Burger und ihre Kollegen heute noch im Erbgut der Art erkennen. Von diesem ohnehin begrenzten Genpool haben die ersten Kamelhalter dann auch nur einen Teil für die Zucht verwendet. „Soweit wir bisher wissen, gehen alle modernen Dromedare auf nur sechs mütterliche Linien zurück“, sagt die Wiener Forscherin.
Nach der Domestikation aber erlebten die Dromedare einen neuen Aufschwung. Im Laufe der Jahrhunderte wurden sie immer häufiger gezüchtet und in immer mehr Regionen gebracht. So verbreiteten sie sich während der Römerzeit in ganz Nordafrika und erreichten während der Expansion des Osmanischen Reichs im Mittelalter noch zahlreiche weitere Gebiete bis hin nach Europa.
Selbst während der Belagerung Wiens im Jahr 1683 waren Kamele im Einsatz, beweist das vollständig erhaltene Skelett, das 2006 beim Bau eines Einkaufszentrums in der österreichischen Stadt Tulln entdeckt wurde. „Dieses Tier war eine Kreuzung zwischen einem Dromedar und einem Zweihöckrigen Kamel und diente vermutlich einem Offizier als
Reittier“, berichtet Pamela Burger, die den Fund untersucht hat.
Doch nicht nur Militärs wussten die Vorzüge der Kamele zu schätzen. Die genügsamen und vielseitigen Dromedare erwiesen sich als äußerst praktische Reittiere, Lastenträger und Milchlieferanten. Dank ihrer speziellen Anpassungen an raue und trockene Bedingungen konnten ihre Besitzer nicht nur tief in die Sahara vordringen, sondern auch andere lebensfeindliche Regionen durchqueren. Es entstanden Handelswege, auf denen Karawanen die verschiedensten Kostbarkeiten von Gold und Salz bis zu Weihrauch und Seide transportierten und so den Wohlstand ganzer Zivilisationen sicherten. Und neben Menschen und Gütern reisten auch Ideen und kulturelle Errungenschaften auf dem Rücken schaukelnder „Wüstenschiffe“durch Länder und Kontinente.
Nicht zuletzt haben die genügsamen Lasttiere auf diesen Wegen aber auch ihre eigenen Gene über Tausende von Kilometern durch die Gegend getragen. Die alten Handelsrouten spiegeln sich bis heute in ihrem Erbgut wider. „Entlang der Seidenstraße zwischen Ostasien und dem Mittelmeer lassen sich diese Spuren ebenso verfolgen wie an der Weihrauchstraße vom Süden Arabiens bis zum Mittelmeer“, resümiert die Wiener Forscherin.
Auch heutzutage sind in einigen schwer zugänglichen Regionen noch Karawanen mit Handelsgütern unterwegs. In der Sahelzone, die sich südlich der Sahara quer durch Afrika zieht, transportieren sie zum Beispiel Salz von den Abbaugebieten zu den Märkten. Doch vielerorts haben Lastwagen die Dromedare längst abgelöst. Trotzdem halten Fachleute eine Renaissance der Wüstenschiffe für möglich – allerdings nicht im Transportwesen, sondern eher in der Lebensmittelproduktion. Für die Kamele spricht dabei nicht nur ihre Hitze- und Trockenheitstoleranz, die in Zeiten des Klimawandels besonders gefragt ist. Ihre Haltung verbraucht auch deutlich weniger Wasser und Land als die anderer Nutztiere, und ihre gepolsterten Sohlen verursachen weniger Bodenerosion als die Hufe von Rindern, Schafen oder Ziegen. Sie hinterlassen also in jeder Hinsicht einen geringeren ökologischen Fußabdruck. Und ihre Genügsamkeit ist legendär. Selbst mit einer Kost aus dornigem Gestrüpp oder salzhaltigen Pflanzen geben sich die Überlebenskünstler zufrieden. „Ein Kamel gibt unter schwierigen Umweltbedingungen und mit schlechtem Futter deutlich mehr Milch als eine Kuh“, erklärt Pamela Burger. In Kenia gibt es deshalb bereits Programme, die Bauern beim Umstieg von der Rinder- auf die Kamelhaltung unterstützen. Und auch in anderen Regionen der Welt versuchen Initiativen, an die früheren Glanzzeiten des Dromedars anzuknüpfen. So arbeitet die deutsche Tierärztin Ilse Köhler-Rollefson im nordindischen Bundesstaat Rajasthan mit der Volksgruppe der Raika zusammen, die traditionell die Kamele des Maharadschas betreute. Ihre Organisation „Lokhit Pashu-Palak Sansthan“(Wohlfahrtsorganisation für Viehhalter) will das kulturelle Erbe der Dromedarhaltung retten und unterstützt dazu zum Beispiel die Einrichtung spezieller Molkereien für Kamelmilch. „In Afrika werden diese Tiere künftig sicher noch weiter an Bedeutung gewinnen“, ist Pamela Burger überzeugt. Wichtig sei allerdings, dass man dabei auf gute Haltungsbedingungen achte. „Dromedare müssen frei umherziehen können“, betont die Veterinärmedizinerin. „Wenn man sie in einen Stall stellt und mit kalorienreicher Kost füttert, werden sie krank.“Zudem plädiert die Expertin dafür, auch kleine, lokal angepasste Populationen zu erhalten. Denn die einhöckrigen Kamele haben aufgrund ihrer Geschichte zwar eine geringere genetische Vielfalt als ihre zweihöckrigen Verwandten. „Wir haben in ihrem Erbgut aber durchaus überraschende Unterschiede zwischen verschiedenen Regionen gefunden“, berichtet die Forscherin. Diese liegen zum Beispiel in Bereichen, die mit dem Immunsystem, verschiedenen Stoffwechselprozessen oder der inneren Uhr zu tun haben. Je mehr solcher genetischen Besonderheiten die Dromedare künftig noch besitzen, umso besser sind jedenfalls ihre Zukunftschancen. Denn mit der genetischen Vielfalt steigen auch die Möglichkeiten, sich an neue Herausforderungen wie den Klimawandel anzupassen.