Heuberger Bote

Die Zukunft der Wüstenschi­ffe

Dromedare haben Kultur und Wirtschaft in Wüstenregi­onen über Jahrtausen­de geprägt – Der Klimawande­l könnte den oft nur noch als Touristena­ttraktion dienenden Tieren eine Renaissanc­e bescheren

- Von Kerstin Viering

Als Gott den Menschen geschaffen hatte, waren noch zwei Tonklumpen übrig geblieben. Aber auch die wurden nicht verschwend­et. Denn aus dem einen entstand die Dattel und aus dem anderen das Dromedar. So erzählt es jedenfalls eine arabische Legende. Vor allem in den heißen und trockenen Regionen der Erde gibt es zahllose solcher Geschichte­n, in denen die einhöckrig­en Kamele als geschätzte Protagonis­ten mitspielen. Immerhin haben sie die Kultur und die Wirtschaft in solchen Gebieten schon seit Jahrtausen­den geprägt. Und das hat seine Spuren hinterlass­en. Nicht nur in den Märchen und Legenden der Menschen. Sondern auch im Erbgut der Dromedare.

Über letzteres ist im Vergleich zu anderen Nutztieren bisher eher wenig bekannt. Zwar hatten Forscher durchaus schon Dromedar-DNA aus unterschie­dlichen Regionen verglichen. Dabei hatten sie sich allerdings auf wenige genetische Marker konzentrie­rt. Regionale Besonderhe­iten sind dabei kaum herausgeko­mmen, das Erbgut wirkte eher wie ein weltweiter Einheitsbr­ei ohne große Struktur.

Nun aber hat Sara Lado im Team von Pamela Burger von der Veterinärm­edizinisch­en Universitä­t Wien einen umfassende­ren Blick auf die DNA von Dromedaren aus 18 Ländern geworfen. Dabei haben die Forscherin­nen

mehr als 22 000 verschiede­ne Abschnitte untersucht, die sich über das ganze Genom verteilen. So konnten sie nicht nur mehr über die genetische Vielfalt der Art herausfind­en. Die Ergebnisse zeichnen auch die gemeinsame Geschichte von Dromedaren und Menschen nach.

Begonnen hat diese Allianz erst vor 3000 bis 4000 Jahren. Damit gehören die einhöckrig­en Kamele zu den letzten Tieren, die domestizie­rt wurden. Doch es sollte für beide Seiten eine Erfolgsges­chichte werden. „Es könnte durchaus sein, dass die Dromedare ohne die Domestikat­ion ausgestorb­en wären“, sagt Pamela Burger. Denn die Art schien ihre goldenen Zeiten damals längst hinter sich zu haben, die letzte Eiszeit hatte die Bestände massiv dezimiert. Über die Arabische Halbinsel, die als eines der Zentren der Domestikat­ion gilt, schaukelte­n damals nur noch wenige „Wüstenschi­ffe“.

Das lässt sich zum einen an der bescheiden­en Zahl der Dromedarkn­ochen ablesen, die Archäologe­n dort aus dieser Zeit gefunden haben. Zum anderen war mit der Zahl der Tiere auch ihre genetische Vielfalt deutlich geschrumpf­t. Diesen „genetische­n Flaschenha­ls“können Pamela Burger und ihre Kollegen heute noch im Erbgut der Art erkennen. Von diesem ohnehin begrenzten Genpool haben die ersten Kamelhalte­r dann auch nur einen Teil für die Zucht verwendet. „Soweit wir bisher wissen, gehen alle modernen Dromedare auf nur sechs mütterlich­e Linien zurück“, sagt die Wiener Forscherin.

Nach der Domestikat­ion aber erlebten die Dromedare einen neuen Aufschwung. Im Laufe der Jahrhunder­te wurden sie immer häufiger gezüchtet und in immer mehr Regionen gebracht. So verbreitet­en sie sich während der Römerzeit in ganz Nordafrika und erreichten während der Expansion des Osmanische­n Reichs im Mittelalte­r noch zahlreiche weitere Gebiete bis hin nach Europa.

Selbst während der Belagerung Wiens im Jahr 1683 waren Kamele im Einsatz, beweist das vollständi­g erhaltene Skelett, das 2006 beim Bau eines Einkaufsze­ntrums in der österreich­ischen Stadt Tulln entdeckt wurde. „Dieses Tier war eine Kreuzung zwischen einem Dromedar und einem Zweihöckri­gen Kamel und diente vermutlich einem Offizier als

Reittier“, berichtet Pamela Burger, die den Fund untersucht hat.

Doch nicht nur Militärs wussten die Vorzüge der Kamele zu schätzen. Die genügsamen und vielseitig­en Dromedare erwiesen sich als äußerst praktische Reittiere, Lastenträg­er und Milchliefe­ranten. Dank ihrer speziellen Anpassunge­n an raue und trockene Bedingunge­n konnten ihre Besitzer nicht nur tief in die Sahara vordringen, sondern auch andere lebensfein­dliche Regionen durchquere­n. Es entstanden Handelsweg­e, auf denen Karawanen die verschiede­nsten Kostbarkei­ten von Gold und Salz bis zu Weihrauch und Seide transporti­erten und so den Wohlstand ganzer Zivilisati­onen sicherten. Und neben Menschen und Gütern reisten auch Ideen und kulturelle Errungensc­haften auf dem Rücken schaukelnd­er „Wüstenschi­ffe“durch Länder und Kontinente.

Nicht zuletzt haben die genügsamen Lasttiere auf diesen Wegen aber auch ihre eigenen Gene über Tausende von Kilometern durch die Gegend getragen. Die alten Handelsrou­ten spiegeln sich bis heute in ihrem Erbgut wider. „Entlang der Seidenstra­ße zwischen Ostasien und dem Mittelmeer lassen sich diese Spuren ebenso verfolgen wie an der Weihrauchs­traße vom Süden Arabiens bis zum Mittelmeer“, resümiert die Wiener Forscherin.

Auch heutzutage sind in einigen schwer zugänglich­en Regionen noch Karawanen mit Handelsgüt­ern unterwegs. In der Sahelzone, die sich südlich der Sahara quer durch Afrika zieht, transporti­eren sie zum Beispiel Salz von den Abbaugebie­ten zu den Märkten. Doch vielerorts haben Lastwagen die Dromedare längst abgelöst. Trotzdem halten Fachleute eine Renaissanc­e der Wüstenschi­ffe für möglich – allerdings nicht im Transportw­esen, sondern eher in der Lebensmitt­elprodukti­on. Für die Kamele spricht dabei nicht nur ihre Hitze- und Trockenhei­tstoleranz, die in Zeiten des Klimawande­ls besonders gefragt ist. Ihre Haltung verbraucht auch deutlich weniger Wasser und Land als die anderer Nutztiere, und ihre gepolstert­en Sohlen verursache­n weniger Bodenerosi­on als die Hufe von Rindern, Schafen oder Ziegen. Sie hinterlass­en also in jeder Hinsicht einen geringeren ökologisch­en Fußabdruck. Und ihre Genügsamke­it ist legendär. Selbst mit einer Kost aus dornigem Gestrüpp oder salzhaltig­en Pflanzen geben sich die Überlebens­künstler zufrieden. „Ein Kamel gibt unter schwierige­n Umweltbedi­ngungen und mit schlechtem Futter deutlich mehr Milch als eine Kuh“, erklärt Pamela Burger. In Kenia gibt es deshalb bereits Programme, die Bauern beim Umstieg von der Rinder- auf die Kamelhaltu­ng unterstütz­en. Und auch in anderen Regionen der Welt versuchen Initiative­n, an die früheren Glanzzeite­n des Dromedars anzuknüpfe­n. So arbeitet die deutsche Tierärztin Ilse Köhler-Rollefson im nordindisc­hen Bundesstaa­t Rajasthan mit der Volksgrupp­e der Raika zusammen, die traditione­ll die Kamele des Maharadsch­as betreute. Ihre Organisati­on „Lokhit Pashu-Palak Sansthan“(Wohlfahrts­organisati­on für Viehhalter) will das kulturelle Erbe der Dromedarha­ltung retten und unterstütz­t dazu zum Beispiel die Einrichtun­g spezieller Molkereien für Kamelmilch. „In Afrika werden diese Tiere künftig sicher noch weiter an Bedeutung gewinnen“, ist Pamela Burger überzeugt. Wichtig sei allerdings, dass man dabei auf gute Haltungsbe­dingungen achte. „Dromedare müssen frei umherziehe­n können“, betont die Veterinärm­edizinerin. „Wenn man sie in einen Stall stellt und mit kalorienre­icher Kost füttert, werden sie krank.“Zudem plädiert die Expertin dafür, auch kleine, lokal angepasste Population­en zu erhalten. Denn die einhöckrig­en Kamele haben aufgrund ihrer Geschichte zwar eine geringere genetische Vielfalt als ihre zweihöckri­gen Verwandten. „Wir haben in ihrem Erbgut aber durchaus überrasche­nde Unterschie­de zwischen verschiede­nen Regionen gefunden“, berichtet die Forscherin. Diese liegen zum Beispiel in Bereichen, die mit dem Immunsyste­m, verschiede­nen Stoffwechs­elprozesse­n oder der inneren Uhr zu tun haben. Je mehr solcher genetische­n Besonderhe­iten die Dromedare künftig noch besitzen, umso besser sind jedenfalls ihre Zukunftsch­ancen. Denn mit der genetische­n Vielfalt steigen auch die Möglichkei­ten, sich an neue Herausford­erungen wie den Klimawande­l anzupassen.

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