Heuberger Bote

Der Supermarkt im Handy

Apps und Automaten sollen den Lebensmitt­eleinkauf in Zukunft einfacher machen

- Von Helena Golz RAVENSBURG

- Ein Supermarkt passt mittlerwei­le in ein Smartphone. Wenn Brot, Käse, Nudeln, Obst oder Butter zu Hause ausgehen, reichen ein paar Klicks auf dem Handy, um die Produkte nachzubest­ellen. Via App können Kunden bei Anbietern wie Rewe auswählen, welche Lebensmitt­el in den digitalen Einkaufsko­rb wandern. Anschließe­nd können sie entscheide­n, ob die Produkte per Lieferdien­st zu ihnen nach Hause gebracht werden, oder ob sie den Einkauf im nahe gelegenen Supermarkt selbst abholen.

Der Lebensmitt­elhandel steckt im Umbruch. „Die Digitalisi­erung treibt den Wunsch, Einkäufe einfacher, schneller und bequemer zu machen und bietet auch viele Möglichkei­ten, dies umzusetzen“, sagt Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsl­eitung beim Kölner Institut für Handelsfor­schung (IFH). Von den Verbrauche­rn werde das gerne angenommen. Das IFH stelle fest, dass Kunden digitale Angebote im Lebensmitt­elhandel verstärkt nachfragen. Nicht zuletzt die Pandemie mit ihren Abstandsge­boten habe dazu beigetrage­n, sagt Stüber. Vor allem sei dies bei der jüngeren, digitalaff­inen Zielgruppe so. Junge Familien mit Kindern beispielsw­eise wollen im Alltag Zeit sparen und bestellen im Netz.

So ist der Umsatz im Onlinehand­el mit Lebensmitt­eln nach den Zahlen des E-Commerce-Bundesverb­andes bevh von 1,6 Milliarden Euro im Jahr 2019 auf 2,67 Milliarden Euro im Jahr 2020 angestiege­n – ein Plus von satten 67,2 Prozent. Auch Menschen, die bisher skeptisch gewesen seien, ob Onlinebest­ellungen mit der Qualität im Supermarkt mithalten können, oder die eigentlich zufrieden waren angesichts der in Deutschlan­d flächendec­kenden Versorgung mit Einkaufsmö­glichkeite­n, seien in der Pandemie umgestiege­n, sagt Stüber. Die Handelsfor­scherin geht fest davon aus, dass der Trend anhalten wird. „Wer einmal online bestellt hat“, sagt sie, „bestellt auch wieder.“Momentan gebe es sogar eher die Herausford­erung, dass wesentlich mehr Kunden digital einkaufen möchten, „als dass es ein Angebot gibt“.

Auch der Bundesverb­and des Deutschen Lebensmitt­elhandels sieht die Branche im Wandel. „Der Lebensmitt­eleinkauf ist eine regelmäßig wiederkehr­ende Routinehan­dlung, die mindestens einmal wöchentlic­h stattfinde­t“, sagt Verbandssp­recher Christian Böttcher.

Das mache den Onlineeink­auf bei bestimmten Sortimente­n und für Standardpr­odukte, die man immer wieder einkauft, aus Kundensich­t attraktiv. Voraussetz­ung sei allerdings, dass die Kunden das Vertrauen haben, dass Bestellung und Lieferung reibungslo­s funktionie­ren und der Onlineeink­auf nicht teurer ist als der im Geschäft – „zumindest nicht wesentlich und nicht auf Dauer“, sagt Böttcher. Die dafür nötigen Investitio­nen müssten die Unternehme­n tätigen, und zwar in einem hochintens­iven Wettbewerb­sumfeld.

Der neue wachsende digitale Milliarden­markt ist hart umkämpft. Dominieren­d im E-Commerce-Geschäft mit frischen Nahrungsmi­tteln ist nach Einschätzu­ng von Branchenex­perten zurzeit der Kölner Handelsrie­se Rewe, der mit großem Aufwand ein bundesweit­es Liefernetz aufgebaut hat und gleichzeit­ig in immer mehr Läden die Möglichkei­t anbietet, online bestellte Ware fertig verpackt abzuholen. Ziel sei es, 90 Prozent der Haushalte mit Internetan­geboten zu erreichen, sagt Rewe selbst.

Rivale Edeka hat sich beim Onlinehand­el mehr Zeit gelassen, versucht aber inzwischen aufzuholen. Neben dem bislang nur in Berlin und München verfügbare­n Lieferdien­st Bringmeist­er und den regionalen Angeboten vieler Edeka-Händler hat sich Deutschlan­ds größter Lebensmitt­elhändler mittlerwei­le Anteile an dem Düsseldorf­er Start-up Picnic gesichert, das mit selbst entwickelt­en Elektrofah­rzeugen nach dem Milchmannp­rinzip zu festgelegt­en Zeiten online bestellte Lebensmitt­el ausliefert. Zusätzlich gebe es auch Spezialist­en, die sich auf dem Markt tummeln, sagt Handelsfor­scherin Stüber. Das Start-up Flaschenpo­st aus Münster beispielsw­eise hat sich zum Marktführe­r für Getränke-Sofortlief­erung gemausert und wurde Ende vergangene­n Jahres von der Oetker-Gruppe aufgekauft – für angeblich rund eine Milliarde Euro.

Doch Stüber warnt: Bis das Onlinegesc­häft wirtschaft­lich geführt werden kann, dauere es. „Es geht darum, eine komplett neue Infrastruk­tur aufzubauen“, sagt sie, „von der Lieferung bis zur Lagerung, zur Kundenkomm­unikation und natürlich dem Onlineshop an sich. Das bringt entspreche­nde Kosten mit sich.“Bisher sei es schwer flächendec­kend im Digitalges­chäft mit Lebensmitt­eln Geld zu verdienen. Ein Grund, weshalb die großen Discounter Aldi und Lidl bisher zurückhalt­end agieren. „Die Discounter haben eine ganz andere Kostenstru­ktur und Positionie­rung“, sagt Stüber.

Auch der Lebensmitt­elhändler Feneberg aus Kempten musste erfahren, wie hart das Onlinegesc­häft ist. 2018 stellte das Allgäuer Unternehme­n seinen Online-Supermarkt Freshfoods ein. Auch sieben Jahre nach der Einführung schrieb die Sparte dem Vernehmen nach noch immer rote Zahlen. Zu den Hintergrün­den für die Einstellun­g von

Freshfoods hatte sich das Management nicht im Detail geäußert.

„Es braucht eine kritische Masse bei der Auslieferu­ng, damit eine Wirtschaft­lichkeit erreicht werden kann“, sagt Stüber. Von daher würden sich Onlinemode­lle grundsätzl­ich in Städten besser durchsetze­n als auf dem Land. Wenn ein Unternehme­n in einer Straße gleich mehrere Kunden per Direktlief­erung bedienen kann, lohnt sich das Geschäft eher, als wenn lange Strecken zwischen den Kunden zurückgele­gt werden müssen. „Entspreche­nd sehen wir ein starkes Gefälle zwischen Stadt und Land was die Angebotsst­ruktur angeht“, sagt Stüber. Unternehme­n wie Picnic oder Flaschenpo­st beliefern ländliche Gebiete nicht. Rewe und Edeka schon, aber ausschließ­lich per Postpaket und nicht per frischer Direktlief­erung.

Auf dem Land setzen sich deswegen andere Trends durch. Lücken, die hier in der Versorgung­sinfrastru­ktur entstehen, werden von regionalen Erzeugern besetzt. „Bei immer mehr Landwirten kann man direkt online bestellen“, sagt Stüber. Auch Lebensmitt­elautomate­n auf den Höfen selbst werden beliebter und auch hier beschleuni­gt die Pandemie den Trend. „2020 haben wir unseren Umsatz fast verdoppelt“, sagt Landwirt Alexander Martin, der einen 24-Stunden-Automat bei Eriskirch am Bodensee betreibt. Gerade ältere Menschen hätten den Automat in der Pandemie benutzt, denn das Bezahlen erfolge kontaktlos, man könne direkt davor parken und bliebe beim Einkaufen immer an der frischen Luft. Viele Besucher würden mittlerwei­le – statt zum nächsten Supermarkt zu fahren – lieber am Automat stoppen. Deswegen baut Martin sein Sortiment sogar aus. Zusätzlich zu Eiern, Kartoffeln, Obst, Säften oder Milch soll es künftig sogar Backmischu­ngen zu kaufen geben.

Angesichts dieser Entwicklun­gen geht das Institut für Handelsfor­schung davon aus, dass die Zukunft des Lebensmitt­eleinzelha­ndels vielfältig ist, dass sich Online und stationäre­r Handel ergänzen werden. „So ist es bei vielen Konsumenti­nnen und Konsumente­n bereits durchaus gängig, den Vorratskau­f von haltbaren Produkten wie Reis, Nudeln und Co. online zu erledigen und diesen mit frischem Obst und Gemüse vor Ort zu ergänzen“, sagt Stüber. Gerade bei frischen Produkten spiele auch die Sinneswahr­nehmung beim Einkauf eine wichtige Rolle, sagt Christian Böttcher vom Bundesverb­and des Deutschen Lebensmitt­elhandels. „Fühlen, Sehen und Riechen wird auf absehbare Zeit am Smartphone oder Tablet zu Hause auf der Wohnzimmer­couch nicht funktionie­ren.“

Der stationäre Handel werde also nicht verschwind­en, aber er werde sich ändern und durch Onlinehand­el oder Automaten ergänzt. Je nachdem was für den Verbrauche­r gerade am einfachste­n, schnellste­n und bequemsten ist. Denn darauf kommt es am Ende an.

 ?? © SZ/SHUTTERSTO­CK ??
© SZ/SHUTTERSTO­CK
 ?? FOTO: SHUTTERSTO­CK/SZ ??
FOTO: SHUTTERSTO­CK/SZ

Newspapers in German

Newspapers from Germany