LICHTGESTALT MIT SCHATTENSEITEN
Die EU kämpft um die Freilassung Alexej Nawalnys – doch es gibt auch Kritik am Kreml-Kritiker
- Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny gilt als Vorkämpfer gegen Korruption und für Menschenrechte in Russland. Dabei ist Nawalny selbst unter Oppositionellen streitbar.
Die russische Justiz lässt Nawalny keine Ruhe. Am Freitag musste sich der 44- Jährige nachdem Straflager Urteil erneut vor Gericht verantworten, weile reinen Weltkriegs veteranen beleidigt haben soll. Dieser war Teil eines Werbe videos für das Verfassungs referendum des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Diese Truppe käuflicher Lakaien sei eine Schande für das Land, twitterte Nawalny im Juni 2020 über das gute Dutzend russischer Bürger aus dem Reklame-Clip. Sie seien „Leute ohne Gewissen. Verräter“. Beim Prozess am Freitag in Moskau attackierte er die Staatsanwälte als gewissenlos und die Richter als käuflich.
Nawalny ist der Mann, den Putins Geheimdienst nicht vergiften konnte, den Putins Justiz für 32 Monate eingesperrt hat. Er gilt als Freiheit s held und Friedensnobelpreis kandidat. Doch er ist selbst nicht unumstritten. Als Moskauer Bürgermeister kandidat bezeichne teer 2013 die Industrie kletterer, die im Auftrag der Stadtverwaltung seine Werbebanner von Hochhauswänden entfernten, als usbekische Gastarbeiter, die nebenher auskundschafteten, was sie aus den Wohnungen der Moskauer stehlen konnten. Berüchtigt ist ein Video von 2011, in dem Nawalny rät, schädliche Insekten mit Fliegenklatschen, aggressive Muslime aber mit Revolvern zu bekämpfen.
Gleichzeitig aber pflegte er freundschaftlichen Umgang mit Hassfiguren der russischen Rechten, wie dem später erschossenen Boris Nemzow oder der Jungdemokratin Maria Gajdar. Und der russischdeutsche Grünen-Politiker Sergey Lagodinsky bezeichnete Nawalny nach einem gemeinsamen Stipendien halbjahr an der amerikanischen Universität Yale 2010 als ausgesprochen offen gegenüber allen Nationalitäten. „In unserer Gruppe waren sehr verschiedene Leute. Er fand mit allen eine gemeinsame Sprache“, sagte Lagodinsky dem Staatssender Russia Today.
Längst fordert Nawalny, Familienvater zweier Kinder, für schwule Paare die gleichen Rechte wie für heterosexuelle Paare. Sein Programm für die Präsident schafts wahlen 2018, zu denen er nicht zugelassen wurde, war ein erzliberales. Er verlangte einen freien Markt, mehr Vollmachten für das Parlament und nur noch zwei Vier jahres-Amtszeiten für den Präsidenten; außerdem Dezentralisierung und Entbürokratisierung, unabhängige Gerichte und Pressefreiheit.
Nawalny fährt mit dem Nahverkehrszug zum Vorwahlkampf, steigt in 50-Euro-Hotels ab. Seine Stiftung FBK hat laut Rechenschaftsbericht 2019 umgerechnet gut 970 000 Euro Spenden eingenommen und davon etwa 700 000 ausgegeben. Kremlnahe Medien behaupten, er werde von der CIA finanziert. Das russische Ermittlungskomitee eröffnete Ende 2020 ein Strafverfahren gegen ihn, weil er angeblich vier Millionen Euro Bürgerspenden veruntreute.
In Moskauer Oppositionskreisen wird ihm eher Geiz als Prasserei vorgeworfen. „Ich weiß nicht, hat der Mann Empathie?“, fragt eine Moskauer Ärztin, die jetzt trotzdem für ihn auf die Straße gegangen ist. Andere Demonstranten sagen, sie protestierten nicht für Nawalny, sondern gegen Putin. Der junge Oppositionelle Denis Lebedew, dem bei einer Nawalny-Aktion 2014 das Knie gebrochen wurde, bat Nawalny und sein Team später vergeblich um Geld für die nötige Operation. „Nawalny liebt den Ruf: ,Einer für alle und alle für einen!‘“schrieb Lebedew auf Facebook. „Aber die Parole gilt für ihn nur, wenn er selbst dieser eine ist.“
Nawalny, Sohn eines Offiziers und einer Wirtschaftsfunktionärin aus einem Moskauer Vorort, hat sein eigenes Gerechtigkeitsgefühl. Sein roter Faden ist der Kampf gegen die Korruption und die Schmiergeldreichtümer der Putin’schen Elite. „Ich hasse die Gauner im Kreml wirklich“, sagte der Jurist einst. Die Repressalien, mit denen die Staatsmacht antwortet, die vielen Festnahmen und Prozesse und die mehrjährige Gefängnisstrafe für seinen Bruder, hätten diese Feindschaft noch befeuert, glaubt sein Biograf Konstantin Woronkow. „Er muss sie aus tiefster Seele hassen.“
Nawalny malocht im Marathonmodus. Er hat mit seinen Regionalstäben das einzige flächendeckende Oppositionsnetz aufgebaut. Seine Internetkanäle machen mit inzwischen hundert Millionen Zuschauern den Staatsmedien Konkurrenz.
Nawalny hat für den Kampf gegen den Kreml seine Freiheit geopfert, riskiert auch sein Leben. Selbst auf der Anklagebank erfindet er Spottnamen für Putin: „kleiner Mann im Bunker“, „Unterhosenvergifter“oder einfach „Klobürste“. Das Hauptproblem der russischen Politik laute jetzt Putin, sagt der Politologe Juri Korgonjuk. „Putin, der verschwinden muss. Und dieses Problem hat Nawalny auf die Tagesordnung gesetzt.“
Nawalny sei zur historischen Figur geworden, erklärt sein Petersburger Kollege Dmitri Trawin. „Er hat Russland in eine dunkle und eine helle Hälfte geteilt. Putin ist zum Fürst der Finsternis, er selbst für einige Jahre zum Fürst des Lichtes geworden.“Dabei wisse noch niemand, ob Nawalny wirklich gut oder böse sei.